„Alphabet der polnischen Wunder“ von Stefanie Peter (Hg.)GELESEN

„Alphabet der polnischen Wunder“ von Stefanie Peter (Hg.)

„Ach, es geschehen keine Wunder mehr!“ jammert Bertrand in Schillers „Die Jungfrau von Orleans“. Und doch ist hin und wieder eines zu vermelden: Im Suhrkamp Verlag sind über 300 Seiten fein säuberlich gelisteter polnischer Wunder erschienen, 130 an der Zahl. Wie kommen die Polen auf diese erstaunliche Mirakeldichte? Ist die Wundersammlung tatsächlich wasserdicht?

Von Thomas Weiler

„Alphabet der polnischen Wunder“ von Stefanie Peter (Hg.)  
„Alphabet der polnischen Wunder“ von Stefanie Peter (Hg.)  

G eografisch versucht sich das „Alphabet der polnischen Wunder“ weitgehend auf Polen zu beschränken, vereinzelten Wildereien in Litauen, Preußen oder Kerneuropa ist eine gewisse Motiviertheit nie gänzlich abzusprechen. Verdächtig ist dagegen schon die Entscheidung, den Wundern in zeitlicher Hinsicht keinerlei Grenzen zu setzen – Wunder gab es unter Wanda (die keinen Deutschen begehrte) genauso wie 1968 oder zu Zeiten der Solidarność. Um aber richtig Masse machen zu können, bedurfte es noch der Lässigkeit, auch thematisch die Zügel schleifen zu lassen. Da wird der Erdapfel dann genauso wunderbar wie der Fiat Polski, die Danziger Post oder Fryderyk Chopin.

Konzise Darstellung statt selbstverliebter Geschwätzigkeit

Eine derartige Zügellosigkeit birgt die Gefahr einer beliebigen, unübersichtlichen Sammlung ohne innere Struktur, die sie zusammenhalten könnte. Die Herausgeberin des „Alphabets der polnischen Wunder“ Stefanie Peter war sich dieses Risikos offensichtlich bewusst, sie hat sich ihm mit einer überzeugenden Mehrkomponenten-Strategie gestellt. Das alphabetische Ordnungsprinzip vollbringt das Kunststück, das bunte Konvolut in eine tradierte Form zu gießen und gleichzeitig die dabei entstehenden Fugen produktiv knirschen zu lassen. Es positioniert Pampers neben Partisanen, Party und Paternalismus, klammert kühn Kassetten, Katyń, Kerneuropa und Klempner zusammen. Die Vielzahl der polnischen und deutschsprachigen Autoren aus unterschiedlichen Bereichen des Kulturbetriebs führte neben der beträchtlichen thematischen Bandbreite der Mini-Essays zu teils erheblichen Unterschieden in Bezug auf Umfang, Duktus und Faktensättigung. Einigkeit schafft hier das bei allen Autoren spürbare Bemühen, selbstverliebte Geschwätzigkeit zugunsten einer konzisen und erhellenden Darstellung der bemerkenswerten bis skurrilen Phänomene hintanzustellen. Autoren, Übersetzer und Lektorat sind für das Ergebnis nicht genug zu loben. Nicht zu vergessen Maciej Sieńczyk, der mit seinen Illustrationen diese so anregend zwischen äußerer Ordnung und immanentem Chaos oszillierende Atmosphäre weiter verstärkt. In seinen auf den ersten Blick verstörend schlichten Kompositionen setzt der Comiczeichner die Wunder subtil ins Bild und stellt seinerseits überraschende Querverbindungen her, wenn er etwa den Wisent vor dem Wunder andächtig die Knie beugen lässt.

Sich lustvoll verlieren in der trügerischen Ordnung des Alphabets

Das Alphabet der polnischen Wunder will dazu anregen, sich jenseits der üblichen Klischees auf Eigenheiten und Absonderlichkeiten des Nachbarn östlich von Oder und Neiße einzulassen. Eingefleischte Polonisten können sich darin ebenso festlesen wie unbeleckte Kerneuropäer. Das Wörterbuch darf in kleinen Happen oder am Stück genossen werden, von vorn nach hinten oder kreuz und quer – Wundernswertes findet der Leser in jedem Fall. Wer sich partout gezielt über einzelne Wunder (etwa den Wurstmenschen) informieren möchte, kann sich immer noch an die ausführlichen Register im Anhang halten. Oder sich lustvoll in der trügerischen Ordnung des Alphabets verlieren.

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Rezension zu: „Alphabet der polnischen Wunder“, von Stefanie Peter (Hg.), Illustrationen von Maciej Sieńczyk, Übersetzungen aus dem Polnischen von Esther Kinsky und Olaf Kühl, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 2007, 328 Seiten, 24,80 EUR ISBN 978-3-518-41933-5

 

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