09.08.2023 13:11:56
RUSSLAND-EUROPA
Von Hans Wagner
Zur Person: Peter Gauweiler | |
Dr. Peter Gauweiler ist Jurist und praktiziert in der Münchner Anwaltskanzlei Bub, Gauweiler & Partner als Geschäftsführer. Seit 1968 gehört er der CSU an. Von 1972 bis 2002 war er bayerischer Lokalpolitiker, erst im Münchner Stadtrat, dann als Kreisverwaltungsreferent der Landeshauptstadt. Von 1986 bis 2004 gehörte er als Staatssekretär des Inneren und als Umweltminister der Bayerischen Staatsregierung an. Danach war er bis 2002 Mitglied des Bayerischen Landtags. 2002 zog Gauweiler in den Deutschen Bundestag ein. Im Berliner Parlament ist er Vorsitzender des Unterausschusses „Auswärtige Kultur und Bildungspolitik“. Er wurde am 22. Juni 1949 München geboren, ist verheiratet und hat vier Kinder. |
Dr. Peter Gauweiler |
urasisches Magazin: Der Archäologe Prof. Hermann Parzinger, der soeben mit der Skythenausstellung in Berlin Furore macht, hat erklärt, „die frühen Bewohner Asiens waren Europäer“. Prof. Michael Tellenbach, auch Archäologe und Zweiter Präsident der Reiss-Engelhorn-Museen stellt anhand bedeutender europäischer Funde in Sinkiang fest: „Zentralasien ist eine Wetterecke Alteuropas.“ Wie ist das heute? Wie nah oder fern ist uns gegenwärtig Asien?
Peter Gauweiler: Asien ist uns heute näher denn je. Durch die Globalisierung und die Fortschitte in der Verkehrstechnologie sind heute in einem Tag Entfernungen zurückzulegen, die früher in Jahren nicht zu bewältigen waren. Als der Venezianer Marco Polo im Jahr 1295 von seiner Asienreise zurückkehrte und von einem fernen Land namens China erzählte, galt er als Exot, der Unvorstellbares aus einem fremden Land berichtete, das nur wenige Europäer vor ihm gesehen hatten. Heute ist für viele Europäer der Urlaub in Thailand, Japan oder Indien kein Traum mehr, sondern persönlich erlebte Realität. Nicht so fern, wie vor 40 Jahren der Urlaub in Rimini.
EM: Die Reiterheere der Skythen aus den Steppen Russlands und der Mongolei werden wie selbstverständlich als zu Europa gehörig bezeichnet. Und das heutige Russland? Inwieweit ist es Europa, inwieweit Asien? Wohin gehören diese Räume und die darin lebenden Völker aus Sicht des heutigen Europas?
Gauweiler: Die Beurteilung kontinentaler Prägungen kann nicht ausschließlich räumlich vorgenommen werden. Der europäische und der asiatische Kontinent sind durch aneinanderliegende Landplatten auf breiter Fläche miteinander verbunden. Ohne die wechselseitige kulturelle Beeinflussung ist die Geschichte dieser zwei Nachbarkontinente nicht erzählbar. Im heutigen Russland mit seiner großen Zahl von verschiedenen Kultur-, Sprach- und Religionseinflüssen kommen beide zusammen. Das Zentrum Rußlands, die Hauptstadt und die wirtschaftlichen Kernregionen sind aber heute eindeutig europäisch, wirtschaftlich wie kulturell.
EM: Gehört Russland also zu Europa?
Gauweiler: Ganz klar ja. Eine Abgrenzung Europas gegenüber Russland hat in der Vergangenheit stets geschadet und wäre auch in Zukunft falsch.
EM: 1987, vor 20 Jahren, noch zur Zeit Sowjetrusslands, landete der damalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß in Moskau. Der Flug war spektakulär, nicht nur weil der bayerische Ministerpräsident selbst am Steuerknüppel eines Kleinflugzeugs vom Typ Cessna sitzend während eines Schneesturms auf eisiger Piste ausrollen musste. Es herrschte noch Kalter Krieg. Strauß war so etwas wie ein Eisbrecher. Für ihn hatten die Beziehungen zu Russland einen sehr hohen Stellenwert. Zwei Jahre später fiel die Mauer. Aber in der europäischen Außenpolitik und in den Medien gibt es bis heute noch immer große Vorbehalte gegen Russland. Auch in der christlichen Union. Was sind die Gründe?
Gauweiler: Das hat sehr viel mit der Sozialisation der Entscheidungsträger in Politik und Medien zu tun. Viele Westdeutsche sind mit einem sehr positiven Amerikabild aufgewachsen. Eine ganze Reihe von heutigen Chefredakteuren und Politikern haben einen Teil ihres Studiums in den USA verbracht. Die Nachkriegsgeneration hat die Amerikaner als humane und nicht unsympathische Besatzungsmacht in Erinnerung. Es war noch dazu die Zeit des Kalten Krieges und Russland der Feind. Und vergessen Sie nicht die vielen Menschen im Osten Deutschlands, die die „bruderschaftliche“ Umarmung der damaligen Sowjetunion aus eigener Anschauung erlebt haben.
EM: Es wurde und wird heute oft von einer strategischen Partnerschaft mit Russland geredet. Der außenpolitische Sprecher der CDU, Herr von Klaeden, lässt nichts unversucht, diese Partnerschaft zu relativieren. Russland sei kein Wertepartner, also wohl auch kein echter strategischer Partner. Entwickelt sich die Union zurück?
Gauweiler: Nein. Die Union unter Merkel und Stoiber ist sehr an einem Ausbau des deutsch-russischen Verhältnisses interessiert. Russland ist unter dem Beifall Deutschlands Mitglied des Europarates geworden und hat die europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Auch das war eine ausdrückliche Anerkenntnis von den dort festgelegten gemeinsamen Werten.
EM: Franz Josef Strauß ist auch als einer der ersten deutschen Politiker nach China gereist, hat Gespräche mit dem legendären Deng Xiaoping geführt. China ist heute wirtschaftlich und politisch ein starker Machtfaktor in der Welt, aber noch immer kommunistisch, nach der angeführten Lesart also auch kein Wertepartner. Was nützen solche Relativierungen?
Gauweiler: Zunächst einmal ist der Begriff Wertepartnerschaft nicht mehr besonders aussagekräftig. Nach Guantanamo, dem Irak-Krieg mit der Koalition der Willigen - alles „Wertepartner“ -, und der Entführung von Terrorverdächtigen durch die CIA wird der Westen leider nur noch bedingt ernst genommen, wenn er mit dem Hinweis auf seine „wesentlichen Werte“ kommt. Natürlich müssen wir überall für die Menschenrechte eintreten. Aber wir sind nur glaubwürdig, wenn wir damit vor der eigenen Türe anfangen. China ist auf einem kolossal schnellen Weg der wirtschaftlichen Entwicklung und muss sehr viele Veränderungen in Staat und Gesellschaft in ganz kurzer Zeit verkraften. Das ist nicht ganz einfach. Das Land bietet großartige Schätze an Wissen und Kultur, mit mehr die Kontinente überwölbenden Gemeinsamkeiten, als dies bei uns wahrgenommen wird.
EM: Was schätzen Sie, wie viele Länder innerhalb und außerhalb der EU wirklich europäische Wertepartner sind?
Gauweiler: Die meisten europäischen Staaten - außer Weißrussland - sind Mitglieder des Europarates und haben die europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Das wäre, bei konsequenter Anwendung schon eine sehr gute Basis.
EM: Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik konstatiert, dass die außenpolitischen Eliten Europas überwiegend amerikahörig sind. Russland hingegen werde noch immer mit Misstrauen und nicht selten auch mit Feindseligkeit betrachtet. Ist das noch zeitgemäß?
Gauweiler: Nein, aber Sozialisation und Prägung der einzelnen Menschen brauchen Zeit und hinken daher aktuellen Entwicklungen oft hinterher. Die Bemühungen Russlands werden wohl wahrgenommen, aber die emotionale Nähe zu dem Land, das erst am Anfang seiner demokratischen Tradition steht, ist noch nicht so gefestigt wie zu Amerika bzw. wird langsam wiederentdeckt. Auf der anderen Seite wird aber auch den glühenden Anhängern Amerikas allmählich klar, dass sich Amerika unter der Regierung Bush von vielem verabschiedet hat, was Amerika so liebenswert gemacht hat.
EM: Die Ausgrenzung Russlands ist Europas historischer Fehler, sagt Rahr. Wie sehen Sie das?
Gauweiler: Ich halte diese Aussage für richtig.
EM: Unsere amerikanischen Onkel und Vettern nennen wir Freunde. Unsere eurasischen Nachbarn sind Osteuropa, Russland, China. Nachbarn kann man sich bekanntlich nicht aussuchen. Aber trügt das Gefühl, dass neben den Interessen auch die Sympathien zumindest gegenüber Russland in der Bevölkerung wachsen?
Gauweiler: Einerseits sind viele in Westdeutschland aufgewachsen mit einem Russlandbild, das bestenfalls geprägt war von Doktor Schiwago, mit vielen Kriegserinnerungen und vielleicht noch mit Berichten über Kosmonauten. Und in den alten James-Bond-Filmen waren die Russen immer die Bösen. Aber wer hören wollte, hörte schon damals früh auch von Sacharow und Solschenizyn, Intellektuellen als Heldengestalten, wie es sie im Westen nicht gab und deren christliches Slawentum dem Triumph des polnischen Papstes vorausging. Inzwischen schallt der Ruf: „Die Russen kommen“ nicht mehr furchtsam wie früher, sondern eher erwartungsvoll. Manchmal fast sinnlich, mit Neugier und Erwartungen. Die nachbarschaftliche Nähe Russlands gilt heute weniger bedrohlich als chancenreich – von den Möglichkeiten her sogar fantastisch: Über die Autobahn auf die Krim fahren oder irgendwann mit dem Transrapid nach Moskau. Das alte Europa entdeckt einen neuen Kontinent. Vielleicht wird ja Russland jetzt das neue Amerika.
EM: Warum hassen wir uns nicht? Ist die Sympathie zwischen Russen und Deutschen nicht verwunderlich angesichts von Millionen von Kriegstoten in den beiden Weltkriegen?
Gauweiler: Nur auf den ersten Blick. Sowohl die Deutschen als auch die Russen wissen auch um das erlittene Leid des anderen. Unfriede und Hass entstehen meist dort, wo jeder nur das eigene Leid erkennen mag. Beide Völker teilen zudem die Erfahrung der Irrwege von Diktaturen und die Notwendigkeit ihrer Überwindung. Auch das schafft Verständnis füreinander. In Bezug auf Russen habe ich eine lebenslange Erinnerung meiner Eltern im Ohr, an einen unbekannten „feindlichen“ Soldaten der Roten Armee, der im August 1941 in einer fürchterlichen Schlacht vor Smolensk meinem Vater, dem gerade der Arm von einer Granate zerfetzt worden war, half, über die Linie zu seiner Einheit zurückzurobben. „Hau ab, Kamerad – dawei towarisch.“
EM: Russland war nie eine Demokratie, nicht zur Zeit der deutschen Zarin Katharina der Großen, aber auch nicht vor oder nach ihr. Was bedeutet die Entwicklung, die das Russland der Gegenwart seit Breschnew in Sachen Öffnung, Freiheit und auch Demokratie gemacht hat?
Gauweiler: Ich finde diesen Weg sehr ermutigend. Wir sollten nicht vergessen, dass vergleichbare Wege in den meisten westlichen Demokratien nicht ohne Rückschläge verlaufen sind.
EM: Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier möchte die Seidenstraße neu beleben und sagt, „es darf uns nicht gleichgültig sein, wohin sich die künftigen Eliten Zentralasiens ausrichten“. Die EU hat ein Zentralasienkonzept verabschiedet. Wird damit von Seiten der Europäer jetzt ein neues Tor nach Asien aufgestoßen?
Gauweiler: Ja. Dabei geht es nicht nur um Handel, sondern auch um kulturelle Begegnung. Mit den deutschen Schulen im Ausland, den Goethe-Instituten, - die wir im letzten Jahr durch eine Reform im Bundestag wieder auf einen besseren Weg gebracht haben -, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und der Humboldt-Stiftung gehen wir ja auch schon ganz gezielt auf diese Zielgruppe los und werben dafür, Deutschland kennenzulernen. Ein wichtiger Zwischen-Schritt für diese neue Seidenstraße wird sicher auch die Eröffnung der geplanten deutschen Universität in der Türkei sein, die spätestens 2009 den Betrieb aufnehmen soll.
EM: Herr Dr. Gauweiler, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.
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