Der Kampf ums GedenkenKAUKASUS

Der Kampf ums Gedenken

Nahe der kaukasischen Stadt Apscheronsk wurde einer der größten deutschen Soldatenfriedhöfe auf russischem Boden eingeweiht. 3.000 Gebeine wurden allein in den letzten beiden Jahren exhumiert.

Von Tino Künzel

130.000 Angehörige der deutschen Wehrmacht, Opfer und Täter zugleich, sind von Juli 1942 bis Oktober 1943 im Kaukasus gefallen. Ihnen zum Gedenken entsteht derzeit nahe der südrussischen Stadt Apscheronsk bei Krasnodar einer der größten deutschen Soldatenfriedhöfe in Rußland.

Auf drei Hektar finden rund 30.000 Sarkophage Platz. Ende August wurden die ersten 1.000 Gefallenen eingebettet. Neben dem Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, reisten dazu auch einige Kriegsveteranen an. Die meisten der eingeladenen Überlebenden, inzwischen in den Achtzigern, hatten entweder die Anstrengungen gescheut oder sich mehr Vorbereitungszeit gewünscht. Die Veranstaltung war relativ kurzfristig anberaumt worden, nachdem der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nach langem Hin und Her mit den regionalen Behörden schließlich Einigkeit über den Standort des Friedhofs erzielen konnte.

Kreuze ohne Inschrift

Es handelt sich um ein schönes, ein friedliches Fleckchen Erde, auf dem sich nun unfriedliche Geschichte manifestiert. Das Friedhofsgelände befindet sich in den westlichen Ausläufern des Kaukasus zum Schwarzen Meer hin, acht Kilometer von Apscheronsk entfernt, versteckt im Wald, nicht zu sehen von der Hauptstraße. Wolfgang Strojek, Leiter der Moskauer Vertretung des Volksbundes, bezeichnet die – abgelegene – Topographie als „absoluten Kompromiß”. Zehn Jahre habe das Tauziehen um ein Grundstück gedauert. „Wir möchten natürlich, daß der Friedhof erreichbar ist. Also haben wir Randlagen größerer Städte vorgeschlagen. Das ist alles abgelehnt worden. Wir müssen kämpfen, damit wir überhaupt Friedhöfe errichten dürfen. Es wird leider nicht einfacher.”

Die Anlage ist – analog zu den anderen in Rußland – an Bedingungen geknüpft, was das Äußere betrifft. Schlicht hat sie zu sein, soll keinesfalls monumentalen Charakter haben oder persönliche Schicksale darstellen. Außer mehreren symbolischen Kreuzen gibt es folglich keine auf den einzelnen Gräbern und auch keine Grabinschriften. Angehörige erfahren nur auf Anfrage, wo der jeweilige Soldat beerdigt ist.

Der Volksbund hat in den vergangenen 15 Jahren über 20 Soldatenfriedhöfe in Rußland errichtet, die größten in Wolgograd (dem früheren Stalingrad) für 45.000 Gefallene, in St. Petersburg für 35.000 und in Nowgorod für 30.000 Tote. 2001 wurden die Arbeiten auf den Kaukasus ausgedehnt und bisher Hunderte von Grabanlagen aufgespürt. Ortsansässige sind dabei oft die wertvollste Hinweisquelle, doch Menschen, die den Zweiten Weltkrieg bewußt erlebt haben, sterben allmählich aus. Auch deshalb drängt die Zeit. 3.000 Gebeine wurden allein in den letzten beiden Jahren exhumiert.

Viele Gräber wurden längst ausgeplündert

Bei der Bestimmung der Identität hilft die „deutsche Gründlichkeit”, sagt Uwe Sauer, Leiter des Umbettungsdienstes beim Volksbund. Die Wehrmacht hatte eigens Gräberoffiziere, die nicht nur die Koordinaten der Friedhöfe dokumentierten, sondern auch namentlich erfaßten, wer wo liegt. Diese Unterlagen wurden in der sogenannten Wehrmachtsauskunftsstelle in Berlin gesammelt, die Familien der Toten erhielten mit der Sterbeurkunde ein Foto des Begräbnisortes. Aus den Akten läßt sich heute vieles rekonstruieren. Wo vorhanden, geben die metallischen Erkennungsmarken der Soldaten Aufschluß. Manchmal wurden stattdessen auch Grabflaschen mit entsprechenden Notizen verwendet. Doch das Papier zerfällt, sobald der luftdicht verschlossene Behälter geöffnet wird. Zwischen 40 und 70 Prozent der Gräber sind geplündert.

Die deutsche Armee war 1942 binnen weniger Wochen in den Kaukasus vorgedrungen und kontrollierte anschließend einen Großteil seines Territoriums. Nach der Einnahme Rostows am Don am 23. Juli 1942 hatte sich auf Hitlers Befehl die Heeresgruppe Süd geteilt: Die 6. Armee sollte Stalingrad erobern, die 17. Armee gleichzeitig den Kaukasus mit seinen Ölquellen. 500.000 Mann waren an der Operation beteiligt. Am 21. August 1942 wehte die Reichsfahne auf dem 5642 Meter hohen Gipfel des Elbrus. Nach der Niederlage in Stalingrad wurde am 31. Dezember 1942 der Rückzug eingeleitet, um nicht von Zentralrußland abgeschnitten zu sein. Doch bei Rostow war bereits der Sperrgürtel aufgezogen. Die gesamte Truppe mußte übers Asowsche Meer auf die Krim evakuiert werden.

„Wir hatten furchtbare Verluste.”

Auch Helmut Wagner, ehemaliger Gebirgsjäger aus dem baden-württembergischen Balingen und heute 82 Jahre alt, wurde damals in die Schlacht geworfen. Seine Elitedivision kam im April aus Frankreich zur „Frontbewährung” in den Osten, ins Inferno um die Hafenstadt Noworossijsk. Wagner erinnert sich: „Das waren schlimme Tage! Wir hatten furchtbare Verluste. Weit über die Hälfte des Regiments ist ums Leben gekommen.” In den zurückliegenden Jahren haben sich die Veteranen der Gebirgsdivision Balingen mehrfach mit ihren unmittelbaren Kriegsgegnern von der 455. Marine-Infanterie-Brigade der Roten Armee getroffen, sowohl in Rußland als auch in Deutschland. 2006 soll ein Besuch auf dem deutschen Soldatenfriedhof im Kaukasus folgen.

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Tino Künzel ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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