09.08.2023 13:11:56
GEORGIEN
Von Stefan Bernhardt
er Kaukasus und vor allem die Republik Georgien tangieren das russische Interesse sicherheitspolitisch, ökonomisch und insbesondere geopolitisch. Der Blick der Russischen Föderation konzentriert sich dabei auf den gesamten Kaukasus, im Gegensatz zum Westen, der meist in Politik und Wissenschaft den Südkaukasus und Nordkaukasus getrennt im Blickfeld hat.
Russland betrachtet den Kaukasus als eine Art Organismus. Was nach diesem Verständnis im Südkaukasus passiert, hat auch Auswirkungen auf den Nordkaukasus und umgekehrt. Der Nordkaukasus gehört zum russischen Hoheitsgebiet und ist die konfliktreichste und schwierigste Region für die Russische Föderation. Daher ist die Russische Föderation daran interessiert, die Abspaltungs- oder Sezessionskonflikte nicht wieder zum Ausbruch kommen zu lassen. Denn im Abchasien-Krieg wurde deutlich, dass selbst ein regionaler Konflikt in einem anderen Staat direkte Auswirkungen auf den Nordkaukasus der Russischen Föderation besitzt.
Die Strategen in Moskau haben vor allem die instabile Lage im Nordkaukasus im Auge, in Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan, die sich bei einem erneuten militärischen Ausbruch der Sezessionskonflikte weiter verschärfen könnte. Für die Militärs in der Russischen Föderation ist zudem noch der Zugang zum Schwarzen Meer wichtig, der mit dem Einfluss auf Abchasien vergrößert wurde.
Ökonomisch sind der Kaukasus und Georgien weniger wichtig für die Russische Föderation. Umgekehrt verhält es sich anders. Georgien bezieht seine Gaslieferungen aus der Russischen Föderation und georgische Gastarbeiter leisten wichtige Transferleistungen nach Georgien.
Geopolitisch wird die Region vom Westen als bedeutend eingestuft, vor allem als Zugang zu den Energieressourcen des kaspischen Raumes unter Umgehung russischen Territoriums, um Energiequellen für den Westen zu sichern. Hinzu kommt die strategische Lage des Kaukasus zwischen Kaspischem Meer, dem Schwarzem Meer, der Türkei und dem Iran. Die Russische Föderation hat hier das Heraushalten fremder Mächte, vor allem der Vereinigten Staaten, zum Ziel. Zum einen versucht die Russische Föderation die geopolitischen Ziele der Vereinigten Staaten zu verhindern und auf der anderen Seite ihre eigenen Ziele durchzusetzen, in der Selbstwahrnehmung als internationaler Konkurrent zu den USA. Man möchte den Einfluss des Westens minimieren und den eigenen maximieren. Damit soll durch eine erweiterte Kontrolle über Gas und Erdöl aus der kaspischen Region der Einfluss und die Kontrolle der Russischen Föderation insbesondere in Europa vergrößert werden. Konkret bedeutet dies: die Mitgliedsstaaten der EU und die Vereinigten Staaten sind bestrebt sich Energiequellen zu sichern, die Russische Föderation möchte ihr Monopol hingegen weiter ausbauen.
Vielschichtiger ist die Rolle der Russischen Föderation in den Sezessionskonflikten in Georgien. Zum einen ist die Russische Föderation daran interessiert, diese Konflikte nicht eskalieren zu lassen, damit sie nicht auf den Nordkaukasus und damit auf die Russische Föderation übergreifen. Zum anderen nutzt die Russische Föderation die Sezessionskonflikte für die eigene Politik, um nicht von anderen Mächten wie den Vereinigten Staaten verdrängt zu werden. Daher bedient sich die Russische Föderation der Strategie der „eingefrorenen“ Konflikte. Dies bedeutet, dass in den Sezessionsgebieten kein offener Konflikt, also Krieg herrscht, aber auch kein Frieden.
Die Lösung dieser Konflikte kommt auch nur sehr langsam oder gar nicht voran. Damit kann die Russische Föderation einen Gewaltausbruch verhindern und gleichzeitig innenpolitischen Druck auf Georgien ausüben und versuchen, auf diese Weise Zugeständnisse für sich zu erlangen. Die Sezessionsgebiete Abchasien und Südossetien hängen quasi am finanziellen Tropf der Russischen Föderation und wären ohne sie wahrscheinlich wirtschaftlich nicht lebensfähig. Ihnen wird auf diese Weise außerdem noch eine Plattform zur Vernetzung untereinander geboten und mit den anderen Sezessionsgebieten Karabach und Transnistrien. Dabei handelt es sich meist um Separatistengipfel und den Austausch von Kämpfern über russisches Territorium.
Außerdem soll es seit 1994 einen Beistandspakt unter den Separatisten geben. Die Sicherheitsorgane in Abchasien und Südossetien werden auch durch ehemalige Mitglieder russischer Sicherheitsorgane verstärkt. Die russischen Friedenstruppen spielen ebenfalls eine sehr zwiespältige Rolle. Sie fungieren nicht nur als Streitkräfte, die einen neuen Ausbruch der Gewalt verhindern, sondern sie fungieren auch als Schutztruppe für die Separatisten und verdienen an der Schattenwirtschaft wie Schmuggel und Waffenhandel mit. Nichtsdestotrotz sind die russischen Friedentruppen für die Erhaltung des Friedens unerlässlich, was selbst von den Vereinten Nationen bescheinigt wird, die in Abchasien eine Beobachtermission (UNOMIG) unterhält. Denn ohne die russischen Truppen, das hat Abchasien bereits angekündigt, würde es sich selbst verteidigen und die Grenzen verminen. Damit wird deutlich, dass ohne die Unterstützung Russlands für die Separatisten, die Konflikte nicht gelöst, sondern höchst wahrscheinlich wieder eskalieren würden, ohne dass jemand Einfluss auf die Separatisten nehmen könnte.
Dazu kommt aber die schleichende Annexion der Sezessionsgebiete durch die Russische Föderation. Abchasien und Südossetien werden zunehmend in den russischen Wirtschaftsraum integriert, was eine Folge der georgischen Wirtschaftsblockade ist. Die Russische Föderation stellt für diese Gebiete auch russische Pässe aus, so dass Abchasen und Südosseten ungehindert und ohne Visa in die Russische Föderation einreisen können. Durch die Wirtschaftsblockade Georgiens wächst auch die wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber der Russischen Föderation. Davon abgesehen ist Russland wirtschaftlich attraktiver als Georgien, und die Russische Föderation zahlt Pensionen an die Rentner aus, die über dem georgischen Niveau liegen. Zwar streben die Sezessionsgebiete offen an, in die Russische Föderation aufgenommen zu werden und die russische Regierung unterstützt sie auch, dennoch hielt sich Moskau bislang offiziell zurück, was die Anschlussbestrebungen und die Anerkennung der Unabhängigkeit betraf.
Die schlechten Beziehungen zwischen Russland und Georgien bestehen seit Anfang der 90er Jahre. Damals schon hat Georgien der Russischen Föderation die Unterstützung der Separatisten in den Sezessionskriegen unterstellt. Seit 1999 haben sich noch weitere Streitpunkte herauskristallisiert. Da wäre zum einen die russische Weigerung, die letzten zwei Stützpunkte in Batumi (Adschrien) und Achalkalaki (östlich von Adscharien in einem Gebiet, welches mehrheitlich von Armeniern bewohnt wird) zu räumen, sowie die Präsenz der russischen Friedenstruppen, welche den georgischen Regierungen ein Dorn im Auge ist.
Ein weiterer Streitpunkt war der Vorwurf der Russischen Föderation, Georgien würde tschetschenischen Freischärlern erlauben, sich in das georgische Pankisi-Tal östlich von Südossetien zurückzuziehen. Der Vorwurf ging jedoch noch weiter, nämlich, dass die georgischen Sicherheitsorgane die tschetschenischen Freischärler auch direkt unterstützen würden. Dies konnte jedoch von einer OSZE-Beobachtermission nicht bestätigt werden. Ein anderes Problem in Georgien sind jedoch die so genannten „no go areas“, die nicht unter der Kontrolle des georgischen Staates stehen und von privaten Gewaltakteuren und Terroristen als Rückzugsgebiete genutzt werden können.
Die westliche Orientierung Georgiens ist für die Russische Föderation eines der Kernprobleme, da Moskau dadurch befürchtet, aus dem Südkaukasus zu Gunsten der EU oder der Vereinigten Staaten bzw. der NATO verdrängt zu werden. Dies ist für Moskau aus machtpolitischen Gründen nicht akzeptabel.
Nach der „Rosenrevolution“ zeichnete sich die erste Zeit eine Entspannung der Beziehungen ab. Es gab Erleichterungen bei Visa-Anträgen für georgische Gastarbeiter, und russische Firmen sollten in die georgische Energie- und Transportwirtschaft einsteigen können. Der Verbleib der russischen Militärbasen rückte in den Hintergrund, und es sollte eine verstärkte militärische Kooperation geben, die die Ausbildung georgischer Offiziere an russischen Militärakademien, sowie die gemeinsame Bewachung von kritischen Grenzen in Georgien vorsah. Davon zeugte auch die Vermittlung des damaligen russischen Außenministers Iwanow während der „Rosenrevolution“ und im Konflikt mit Adscharien. Saakaschwili war sogar anfangs bereit, die NATO-Mitgliedschaft fallenzulassen und dafür Neutralität anzubieten.
Die Beziehungen zwischen der georgischen Regierung und der russischen Regierung verschlechterten sich aber auch unter Saakaschwili zusehends. Der neue georgische Präsident nutzte bisher jede Gelegenheit die Russische Föderation zu provozieren. Zum Beispiel durch die offene Unterstützung der „Orangen Revolution“ in der Ukraine, durch diverse Ankündigungen, dass Georgien die GUS verlassen werde, durch das vehemente Streben Georgiens in die westlichen Institutionen, insbesondere in die NATO. Unverhohlen unterstützten Saakaschwili und seine Regierung die USA. Georgien wurde neben der Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien Mitglied des unter Anleitung und mit Unterstützung der Vereinigten Staaten gegründeten Bündnisses GUAM und rüstete massiv auf. Das Militärbudget versechsfachte sich (2003 beliefen sich die Ausgaben auf 0,5% des BIP, stiegen auf 3% des BIP im Jahr 2006). Georgien entwickelte eine neue aggressive Rhetorik gegenüber der Russischen Föderation. Der bisherige Tiefpunkt in den russisch-georgischen Beziehungen wurde am 27. September 2006 erreicht, als vier russische Offiziere in Georgien wegen Spionage verhaftet wurden und anstatt sie umgehend an ihr Heimatland, die Russische Föderation, zu übergeben sie zur Schau gestellt und erst am 2. Oktober 2006 an die OSZE übergeben wurden, die sie dann an die Russische Föderation übergab.
Als Reaktion zog die Russische Föderation ihren Botschafter aus Tiflis ab, die Luft-, Wasser-, Schienen und Straßenverbindungen nach Georgien wurden unterbrochen, georgische Gastarbeiter wegen angeblicher Visaverstöße ausgewiesen und der wichtige Geldtransfer von Russland nach Georgien wurde gestoppt, nachdem bereits im Januar 2006 der für die georgische Landwirtschaft wichtige Export von Wasser und Wein in die Russische Föderation von Russland untersagt wurde.
Der russische Botschafter kehrte zwar Anfang 2007 wieder nach Tiblis zurück, dennoch blieben die russisch-georgischen Beziehungen auf einem Tiefpunkt. Die Folgen für die Wirtschaft sind derzeit noch nicht abzuschätzen. 2005 betrug das georgische Wachstum noch 9,3 Prozent. Das Auswärtige Amt schätzt, dass in den Folgejahren wegen der russischen Sanktionen dieses Wachstum deutlich abnimmt.
Der provokante Kurs der Regierung in Tiflis gegenüber der Russischen Föderation, wie auch die heftigen Reaktionen Moskaus machen die russisch-georgischen Verhältnisse auch künftig äußerst problematisch. Eine mögliche friedliche Lösung der Sezessionskonflikte mit russischer Unterstützung wird immer mehr erschwert. Dabei ist die Russische Föderation der einzige Akteur, der die Möglichkeit hat, die Sezessionsgebiete wieder in Richtung Integration in den georgischen Staat zu bringen und ist darüber hinaus für die georgische Wirtschaft einer der wichtigsten Partner und Absatzmarkt vor allem für Agrarprodukte. Fest steht jedoch: mit Provokation und militärischen Aktionen in den umstrittenen Gebieten kann die Russische Föderation nicht überzeugt werden, die Reintegration der Sezessionsgebiete voranzutreiben, sondern diese Politik in Tiflis führt eher zum Gegenteil.
Sollte das primäre Ziel der georgischen Regierung tatsächlich die Reintegration der Sezessionsgebiete sein, muss mit der Russischen Föderation eine Einigung gefunden werden. Dies könnte mit einem Verzicht auf die Integration in NATO und EU erreicht werden, die Georgien bisher keine eindeutige Zusage für die Aufnahme genannt haben. Ein weiterer wichtiger Schritt wäre die Einstellung der anti-russischen Rhetorik, wie zum Beispiel Schuldzuweisungen und der Vorwurf der Einmischung in die georgische Innenpolitik bei Demonstrationen der Opposition, sowie von gezielten Provokationen gegenüber der Russischen Föderation. Parallel müssen stabile politische Verhältnisse geschaffen werden, die Regierungswechsel durch Wahlen (die nächsten sind am 21. Mai) ermöglicht und politische Spannungen mit festen Verfahren und Verhaltensregeln lösen kann.
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Stefan Bernhardt ist gebürtiger Berliner. Er hat an der Philipps–Universität Marburg Politikwissenschaft, Soziologie sowie Friedens- und Konfliktforschung studiert und absolviert gegenwärtig seine weitere Ausbildung an der Staatlichen Lomonossow-Universität Moskau. Der Autor ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V.
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