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EURASISCHE BEWEGUNGEN UND STRÖMUNGEN
Von Kai Ehlers
Ein Bericht von Kai Ehlers
EM - Wer sich heute mit Russlands Entwicklung auseinandersetzt, muss sich mit der Frage des Euroasiatismus befassen. Einverstanden oder nicht - die Frage der Orientierung Russlands zwischen Asien und Europa steht einfach auf der Tagesordnung. Russlands Beziehungen zur europäischen Union, speziell deren Ost-Erweiterung, wird ohne Blick auf die Rolle, die Russland bei den Integrationsprozesssen im sibirisch-asiatischen und zentralasiatischen Raum des euroasiatischen Kontinents einnimmt, nicht verständlich.
Wer sich dabei auf Moskau, auf die Propagandaplattformen des Internet beschränkt, wer sich also Teile für das Ganze anbieten lässt, dem mag es scheinen, als ob es im Bereich dieser Fragestellung zur Zeit nur einen bedeutenden Namen gibt – Alexander Dugin und seine „Euroasiatische Bewegung“, bzw. die daraus im Mai des Jahres hervorgegangene Partei „Eurasia“. Sie verfügt in der Tat über beste Beziehungen zur „Macht“; darüber hinaus behauptet sie, Niederlassungen in allen bedeutenden Städten des Landes zu haben. In den Listen ihrer Mitglieder und bei von ihr durchgeführten Veranstaltungen tauchen Namen auf wie der des höchsten Muftis der russischen Föderation Talgat Tadschugin., des Dordschi Lamas, Koordinator der Vereinigung der Buddhisten, des Paters Johan Mirojubow, Abt der Rigaer Gemeinde der Altgläubigen, der Rabbiners Arie Koran und Sakris Astran und weiterer orthodoxer Geistlicher. Glückwünsche zur Gründung übersandten der Präsident des Präsidial-Amtes des Kremls, Alexander Woloschin und weitere Vertreter des Amtes. (siehe dazu auch EM 02/02 vom 17.06.02: „Partei 'Eurasien' gegründet.“)Angesichts der einschlägigen Positionen Alexander Dugins als national-bolschewistischer Verehrer Hitlers und Mussolinis sind Besorgnisse über den zunehmenden Einfluss, den dieser Mann im Schatten Wladimir Putins auf die Ideologiebildung in Russland nehmen kann, mehr als angebracht, zumal er auch auf die europäische Rechte stimulierend wirkt und überdies mit einer US-kritischen, anti-liberalistischen und pseudo-pluralistischen ideologischen Mimikry auf die globalisierungskritische Bewegung in Russland und Europa Einfluss zu nehmen versucht.
Insofern sind alle Versuche zu begrüßen, die sich mit der von ihm vertretenen national-bolschewistischen Ideologie eines imperial ausgerichteten Euroasiatismus kritisch auseinandersetzen. Zu warnen ist aber zugleich vor einer Mystifizierung Alexander Dugins und einer undifferenzierten Identifikation euroasiatischer Argumentationslinien mit Duginscher Ideologie: Nicht alles, was sich in Russland heute oder auch in Europa, euroasiatisch nennt, ist Duginschen Ursprungs oder Teil seiner Politik; im Gegenteil, manches, was unter euroasiatischen Vorzeichen auftaucht, läuft seiner imperialen Argumentation diametral entgegen. Euroasiatisches Denken ist per se keineswegs Dugins Produkt, sowenig wie die konkrete Lage Russlands zwischen Europa und Asien seine oder überhaupt eine Erfindung ist.
Wer im Lande unterwegs ist, trifft an jeder Ecke auf Euroasiaten, aber viele von ihnen sind von ganz anderem Holz als Alexander Dugin. Ein Zentrum solcher Vorstellungen ist das Wolgagebiet, wo sechs nicht-russische Völker in autonomen Republiken im Herzen Russlands leben: Tataren, Tschuwaschen, Mari, Utmurten, Baschkiren und Mordawier, bis auf die Tschuwaschen und Mari stehen sie heute alle in islamischer Tradition. Sie begreifen den Raum, den sie bewohnen, als Herz Euroasiens und sich selbst als natürliche Vertreter der Euroasiatischen Idee.
In Tscheboksary, der Hauptstadt der tschuwaschischen Republik beispielsweise unterstützt Michail Juchma die örtliche Niederlassung einer „Euroasiatischen Partei Russlands“. Juchma ist tschuwaschischer Historiker und sogenannter Nationalschriftsteller, Gründer und Vorsitzender des tschuwaschischen Kulturzentrums, das sich für die kulturelle Selbstbestimmung des tschuwaschischen Volkes einsetzt und dabei gegen die wieder einsetzende Moskauer Russifizierungspolitik kämpft. Er selbst ist Mitglied in der von Michail Gorbatschow geführten „Sozialdemokratischen Partei“.
Befragt, wie es angehen könne, dass er – Anti-Kolonialist, scharfer Kritiker des tschetschenischen Krieges etc., - einen Alexander Dugin unterstütze, der den Moskauer Zentralismus ebenso wie diesen Krieg verherrlicht - stellte sich heraus, dass es sich bei dieser euroasiatischen Partei zwar auch um eine Moskauer Gründung, aber nicht um Alexander Dugins Partei „Eurasia“ handelt. Als Vorsitzende haben N.A. Njasow , Abgeordneter der Staatsduma und ein S.S. Maigow unterschrieben. Name, Büro, Kontakttelefone sind von Alexander Dugins Partei verschieden. Die Partei sei interessant für ihn, so Michail Juchma, weil sie sich für die wissenschaftliche Unterstützung der unterschiedlichen, vor allem kleinen Kulturen Russlands einsetze. Näheres konnte er nicht angeben; aber mit Alexander Dugin habe sie sicher nichts gemein: Für Faschismus sei in einem Lande, das gerade eben so unter den Faschisten gelitten habe, kein Platz.
Im „Tatarischen Zentrum“ in Kasan, der Haupstadt Tatarstans, mit dem Michail Juchma eng kooperiert, gibt es eine weitere Variante des Euroasiatismus, die hier auch konzeptionell begründet wird: Das Tatarische Zentrum setzt sich für eine Könföderation: „Idel-Ural“ ein, (das bedeutet auf deutsch: „Wolga-Ural“). Sie soll aus der Vereinigung der „nationalen Bewegungen“ der dort siedelnden Völker entstehen, die sich bis heute als kolonisierte Minderheiten fühlen. Die Konföderation „Idel-Ural“ soll außerdem mit Konföderationen anderer kleinerer Völker Russlands etwa einer sibirischen Konföderation oder auch der einer kaukasischen, die aus den dort lebenden kleinen Völkern hervorgeht, eine Russland übergreifende große Koalition bilden.
Die politische Vertretung der Konföderation „Idel-Ural“ soll durch Abgeordnete aus den jetzt existierenden Parlamenten der Wolgarepubliken gebildet werden. Als ihre Aufgaben die Rechte der Selbstverwaltung genannt bis hin zu gerichtlichen Vollmachten. Ihr Ziel ist der Schutz der traditionellen nicht-russischen Kultur gegen die von Moskau heute erneut ausgehende Kolonisierung und Russifizierung der kleineren Völker.
Des Weiteren bemühat man sich noch um eine „Vereinigung der Turanischen Völker“ mit dem Ziel der Zusammenführung der turksprachigen Völker in einem Kulturraum. Das sind die Aserbeidschanis, Usbeken, Tataren, Baschkiren, Chakasen in Sibirien, der finnisch-ugrischen Völker, also der Tschuwaschen, der Mari und sogar der Finnen. Diese Vorstellungen fließen mit den aus der Türkei kommenden pan-türkischen Ideen zusammen. Wie eine staatliche Form dieser turanischen Vereinigung aussehen soll, bleibt dabei offen. Eine erste Konferenz dazu hat in Kasan stattgefunden; wo die nächste stattfinden wird, ob in Aserbeidschan, in Kasachstan oder gar nicht, ist ebenfalls offen.
Die Vorstellung eines „Idel-Ural“, noch mehr die einer Vereinigung aller turksprechenden Völker mögen unrealistisch sein. Sie haben jedoch ihre Wurzel in der kolonialen Geschichte Russlands. Ihre Basis sind zum einen die mit den Hunnen in den Raum eingewanderten Völker, die dort vom siebten Jahrhundert bis zum Mongolensturm im dreizehnten Jahrhundert einen eigenen Staat namens Bolgar bewohnten. Der wurde seinerseits im 13. Jahrhundert von den Mongolen und Tataren zertrümmert, die dort das „Chanat Kasan“ errichteten. Erst 1552 eroberte Iwan IV. von Moskau aus Kasan und eröffnete damit die russische Ost-Kolonisation. Die Tatarische Bevölkerung gedenkt bis heute jährlich mit großen Umzügen des Tages, an dem Kasan fiel. Man fühlt nach wie vor kolonisiert.
Immer wieder musste Kasan, musste Tatarstan, musste der gesamte Wolgaraum von den russischen Zaren „befriedet“ werden: In Umbruchzeiten brachen die alten Wunden jedesmal erneut auf. Die Oktoberrevolution ließ die Völker auf Selbstbestimmung hoffen. Mit Aufkommen der Perestroika wiederholte sich der Vorgang. Ende der 1980er Jahre gab es mehrere Kongresse und Konferenzen der nationalen Bewegungen zum Thema „Idel-Ural“; die letzte fand im Frühjahr 2002 statt, allerdings bereits unter starkem Druck der Putinschen Rezentralisierungspolitik.
Die Vorstellungen dieser Euroasiaten laufen denen eines Alexander Dugin direkt entgegen. Gegen Dugins Anspruch, Russland sei das Herzland Euroasiens und Moskau dessen Zentrum, setzt man dort: „Warum Moskau? Warum nicht Kasan? Und überhaupt geht doch in der ganzen Welt die Tendenz genau anders herum in Richtung Polyzentrismus. Im Weltmaßstab. Und wieso soll dieser Polyzentrismus nicht für Russland gelten, für Euroasien? Wieso muss es nur ein Zentrum geben? Der Sinn der Konföderation ist es gerade, diesem Monozentrismus zu entkommen. Nach dem Motto: Gebt dem Volk so viele Zentren wie es braucht. So wie Jelzin es seinerzeit gesagt hat, nehmt Euch so viel Freiheit, wie ihr braucht.“
Der Ideologe des tatarischen Kulturzentrums, Murtasew, kommentiert Dugins Konzeption des Euroasiatismus mit den Worten: „Diese Konzeption des Euroasiatismus ist eine verlogene Konzeption, um Völker wieder zu beruhigen, die aufgewacht sind. Das geht nach dem Motto: Wir vereinigen uns alle, wir sind ein euroasiatisches Volk, es gibt nur eine Ideologie, niemand wird niemanden beleidigen und so weiter und so fort. Da werden alle Widersprüche unter den Teppich gekehrt. Da heißt es: Turkvölker, slawische Völker, andere Völker – alles ein euroasiatisches Volk! Christentum und Islam werden sich vereinigen etc. Nein, so etwas gibt es nicht. Wir sagen erstens: Die Natur liebt die Vielfalt und man muss nichts in dieser künstlichen Weise erzwingen. Deshalb haben wir in unserem Programm auch einige Absätze darüber, was Euroasiatismus ist, wie sie ihn verstehen und wie wir ihn verstehen. Wir gehen davon aus, dass der Ursprung der Natur im Prinzip vielgestaltig ist. Diese Art von Vereinigung ist gegen die Natur, sie ist unlebendig. Sie gefällt vielleicht den Politikern im Zentrum; aber eine solche Theorie hat keine Zukunft.
Im geistlichen Zentrum des Islam von Kasan erklärt der Assistent des obersten Kasaner Mufti, Valjulla M. Yaghub zudem noch, dass Talgat Tadschugin keineswegs für DEN Islam der russischen Föderation spreche, wenn er Alexander Dugin unterstüze, weil in Russland von einer einheitlichen Führung des Islam keine Rede sein könne. Die Kasaner geistliche Führung jedenfalls, so, Valjulla Yaghub, sehe sich durch Talgat Tadschugin nicht repräsentiert und habe mit Alexander Dugins agressiven antiwestlichen Vorstellungen nichts gemein.
Die eigentliche euroasiatische Dimension Russlands, das wird hier deutlich, liegt nicht in seiner Ausdehnung von einem Ufer des Kontinentes zum anderen, vom Atlantik bis zum Pazifik, und nicht darin, der Führer dieses kontinentalen Blocks zu sein, der sich gegen die „Atlantiker“ richtet und was dergleichen Mystizismen mehr sind, die von Alexander Dugin vorgebracht werden, sondern in seiner historischen Gewordenheit als Vielvölkerstaat, dessen aktuelle Aufgabe darin liegt, die autoritäre Klammer, mit der diese Vielfalt bisher zusammengehalten wurde, durch eine zeitgemäße kooperative zu ersetzen. Das ist heute, wenn man so will, Russlands Botschaft zwischen China und Europa.
Mehr von Kai Ehlers finden Sie unter http://www.kai-ehlers.de.
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