Geschminkt auf TorjagdFRAUENFUßBALL

Geschminkt auf Torjagd

Geschminkt auf Torjagd

Fatmire „Lira“ Bajramaj ist der Superstar des deutschen Frauenfußballs. Die Muslima aus dem Kosovo schoss im aktuellen Sportstudio in Pumps auf die Torwand, geht geschminkt auf den Fußballplatz und engagiert sich für Integration. Ein Porträt der ungewöhnlichen Sportlerin.

Von André Tucic

Fatmire „Lira“ Bajramaj  
Fatmire „Lira“ Bajramaj  

D ie Fußballerin Fatmire „Lira“ Bajramaj ist eine der erfolgreichsten Kickerinnen Deutschlands. In ihren 35 Länderspielen mit der Nationalmannschaft schoss sie sechs Tore.

Fatmire Bajramaj ist das junge und unbekümmerte Gesicht des deutschen Frauenfußballs. Die ereignisreiche Lebensgeschichte der Kosovarin und Muslima erinnert an den englischen Erfolgsfilm „Kick it like Beckham“, in dem junge Frauen mit Migrationshintergrund beherzt und gegen sämtliche Vorbehalte gegen das runde Leder treten.

Denn „Lira“, wie sie alle nennen, floh mit ihrer Familie aus dem Kosovo, landete bei Bekannten in Remscheid, zog nach Mönchengladbach und spielte dort heimlich und gegen den Willen ihres Vaters Fußball. „Er wollte, dass ich Ballett tanze, Fußball sei nur was für Männer“, sagt Lira Bajramaj.

Karrierestart beim FSC  Mönchengladbach

Erst kickte sie auf Bolzplätzen, aber als sie bemerkte, dass sie sich zu behaupten wusste, heuerte sie in der Frauenmannschaft des FSC Mönchengladbach an, dann bei der ambitionierteren Mannschaft des DJK/VfL Giesenkirchen.

Irgendwann ist der Schwindel aufgeflogen, doch sie konnte ihren Vater überzeugen, ihr beim Spielen zuzuschauen. „Seither ist er mein größter Fan“, sagt sie schmunzelnd.

Schon im Alter von 16 Jahren kamen Anfragen aus der Bundesliga und so wechselte sie 2004 zum FCR Duisburg, ein Jahr später debütierte sie bei der Nationalmannschaft und absolvierte seither 35 Länderspiele, bei denen sie sechs Tore schoss. Ihre womöglich wichtigsten waren die beiden Treffer im Spiel um Platz Drei gegen Japan bei den Olympischen Spielen 2008.

Ein bewegtes Leben

Spätestens das bedeutete ihren Durchbruch, denn ein Millionen-Publikum konnte vor den Bildschirmen zusehen, wie trickreich und wendig die Mittelfeldspielerin zu Werke geht.

Seit Beginn dieser Saison wuselt sie nun für den 1. FFC Turbine Potsdam und versucht, erstmals die deutsche Meisterschaft zu gewinnen. Schon jetzt ist die Liste ihrer Erfolge beeindruckend: U19-Europameisterin, UEFA Cup- und DFB-Pokalsiegerin, Bronze bei Olympia, Welt- und Europameisterin.

Bereits in jungen Jahren hat die 22-jährige Lira Bajramaj allerhand erlebt. Daher ist im Oktober 2009 ihre Biografie mit dem Titel „Mein Tor ins Leben – vom Flüchtling zur Weltmeisterin“ erschienen.

Darin wird berichtet, wie sie in Gjurakovc, inmitten des Kosovo-Konfliktes, geboren und aufgewachsen ist. Als die serbischen Übergriffe gegenüber den Kosovaren zunahmen, floh sie 1992 im Alter von fünf Jahren mit ihren Eltern und ihren zwei Brüdern nach Deutschland.

„Nur der Sport hat mir geholfen“

Als die Bajramajs ihren Bauernhof in Richtung Westen verließen, mussten sie österreichische Zöllner schmieren, um die Grenze passieren zu dürfen und landeten bei Verwandten im Bergischen Land. Dort konnten sie nicht lange bleiben und wurden in einem Asylantenheim untergebracht. Nach kurzer Zeit fand der Vater eine Anstellung als Bauarbeiter in Mönchengladbach und die Familie zog in eine kleine Wohnung am Niederrhein.

Ihre Botschaft: „Die Öffentlichkeit soll erfahren, wie schwer es für Flüchtlingskinder ist, sich in Deutschland zu integrieren. Nur der Sport hat mir geholfen, Freunde zu finden. Mit dem Buch will ich junge Migranten ermuntern, denselben Weg einzuschlagen“, erklärt Bajramaj.

Mitunter musste sie auf Schulhöfen ausländerfeindliche Parolen über sich ergehen lassen. Erst als sie sich auf dem Fußballplatz behaupten konnte, verschaffte sie sich Respekt – traurig, aber wahr. „Dann haben auch die blöden Sprüche aufgehört“, erinnert sie sich.

Kein Schweinefleisch, kein Ramadan

Deutschland ist ihre neue Heimat, hier wurde sie zum Star. Ungeachtet dessen ist Lira Bajramaj überaus heimatverbunden. Ihre Eltern und die beiden Brüder leben in Mönchengladbach, der Rest ihrer Familie ist im Kosovo. Einmal jährlich besucht sie Ihre Verwandten, freut sich dort zu sein, aber genauso wieder nach Deutschland zu kommen. Doch ihre Wurzeln will sie nicht kappen, dazu gehört es auch, den muslimischen Glauben zu leben – wenn auch nur gemäßigt.

„Vor dem Schlafen, vor Autofahrten und vor Spielen bete ich. Aber ich trage kein Kopftuch, schminke mich gerne und gehe auf Partys.“ Schweinefleisch ist für sie tabu, der Ramadan ebenso.

„Als Leistungssportlerin kann ich mir das nicht erlauben“, so Bajramaj. Sie ist eben ehrgeizig – so ehrgeizig, dass sie sogar die Ausbildung zur Steuerfachgehilfin abbrach, als klar wurde, dass sie den Durchbruch als Fußballerin schafft. Seither gibt sie alles, um jederzeit in Topform zu sein.

Ehrgeizige Pläne für die Zukunft

Muss sie auch, denn gerade in diesem Jahr hat sie ambitionierte Ziele: „Erst will ich mit Potsdam die Meisterschaft gewinnen, dann im eigenen Land Weltmeisterin werden, anschließend möchte ich Kinder kriegen“, sagt sie.

Nicht nur wegen ihres Wunsches, während der Laufbahn Kinder zu kriegen, steht sie für das moderne Bild der Frauenfußballerin. Vielen denken nach wie vor, Fußballerinnen haben kurze Haare und dicke Beine.

Auch aus diesem Grund genießt sie es, mit ihrem Image als „Tussi“, wie sie sich selber bezeichnet, zu kokettieren: Sie schminkt sich oftmals vor den Spielen, trug im letztjährigen DFB-Pokalfinale pinke Schuhe und schoss im Aktuellen Sportstudio mit Pumps auf die Torwand.

Musterbeispiel für gelungene Integration

„In erster Linie will ich auf dem Spielfeld gewinnen, aber ich möchte dabei auch gut aussehen“, sagt Bajramaj. Doch sie hat mehr zu bieten als nur ihr Aussehen – nämlich ein großes Herz.

Sie war Botschafterin für das Kinderhilfswerk World Vision und wird bald Patin eines Kindes. Zu Beginn dieses Jahres wurde sie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Botschafterin des Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung.

Für DFB-Präsident Theo Zwanziger ist sie ein Musterbeispiel für gelungene Integration. Daher wirbt er gerne mit ihr, unter anderem bei PR-Terminen, wie dem Besuch von Schulen mit hohem Migrationshintergrund. „Ich mache das gerne, denn es ist eine Ehre für mich, ein Vorbild zu sein“, sagt Bajramaj.

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© Qantara.de 2010

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