„Hammer und Kichern – Eine Galerie osteuropäischen Witzes und Geistes in kommunistischer Zeit und danach“ von Wolf OschliesGELESEN

„Hammer und Kichern – Eine Galerie osteuropäischen Witzes und Geistes in kommunistischer Zeit und danach“ von Wolf Oschlies

„Es ist schlimm, in einem Lande zu leben, in dem es keinen Humor gibt. Aber noch schlimmer ist es, in einem Lande zu leben, in dem man Humor braucht“, heißt es bei Bert Brecht, und was dessen Urteil unter den Bedingungen des „real existierenden Sozialismus“ bedeutete, ist in Oschlies’ Buch in dankenswerter Vielfalt erläutert.

Von Hans-Joachim Hoppe

Witz ist überlisteter Schmerz“,  sagte man in der DDR und meinte Witz als knapp pointierte, anonym weitergereichte Textform oder als älteres Synonym für „gewitzten“ Verstand. Diesem Witz (oder Esprit) gilt Oschlies’ Buch, für das er einen „Kompass“ dem sowjetischen Autor Efraim Sevela entlieh: Spätere Forscher werden den Kommunismus nicht anhand seines verlogenen Schrifttums oder seiner kunstlosen Literatur rekonstruieren, sondern entlang der Witze, die Unterdrückte über die Mächtigen machten.

Als Staatsform und Herrschaftstechnik ist der Kommunismus seit über zwei Jahrzehnten tot – so tot, dass seine Terminologie bereits die Patina unfreiwilliger Komik angesetzt hat: „Arbeiter- und Bauernmacht“, „antifaschistischer Schutzwall“, „führende Rolle der Partei“ etc. klingt mittlerweile so, als hätten es geschworene Antikommunisten zur Decouvrierung des DDR-Systems erdacht. Als 1989 die DDR ihren allseits bejubelten Staatsbankrott erlebte, zeichnete der politische Witz ihre letzte und einzige Perspektive auf: „Die DDR der Bundesrepublik besenrein übergeben...!“ Gibt es einen Deutschen, der diesen Witz nicht verstünde? Kann man ihn so übersetzen, dass jeder Ausländer seine immanente Komik mitbekommt? Zweimal Nein, und eben das sind zwei Merkmale des „roten“ politischen Witzes: konspirative Gemeinschaft der lachlustigen Wissenden plus länderspezifische Flüsterwitz-Kultur.

Wird der klassische Russenhass der Polen durch einschlägige Witze gemildert oder zugespitzt?

Der polyglotte und weitgereiste Osteuropa-Experte Wolf Oschlies kann auf einen gut gefüllten Fundus von Witzen aus (fast) dem ganzen „sozialistischen Lager“ zurückgreifen und so eine übergreifende Witzkultur mit ausgesuchten Proben von Moskau über Warschau bis Sofia und Bukarest vorstellen. Was bliebe zu Ceausescus Rumänien noch zu sagen, wenn man hörte, dass Rumänen ihr Land als „Ceauschwitz“ charakterisierten? Was, wenn nicht sowjetischen Neostalinismus, karikierten jüdische Witze aus der UdSSR? Wird der klassische Russenhass der Polen durch einschlägige Witze gemildert oder zugespitzt? Hat Oschlies nicht recht mit seiner probulgarischen Sympathie, wenn er in seinem Bulgarien-Kapitel kaum Witze erzählt, aber zahlreiche witzige Vorkommnisse schildert?

Diese Pointen-Geographie ist nur der kleinere Teil von Oschlies’ Rundreise, die mit boshaftem Vergnügen die unfreiwillige Komik erhellt, wie sie etwa aus Filmen, Na-mensgebungen („Vladlen – Vladimir Lenin“), Parolen („Es liegt in deine Hände, verhütet Brände“), Reden (Honecker: „Aus unseren sozialistischen Betrieben ist noch viel mehr herauszuholen!“), Appellen (Ulbricht: „Stürmt die Höhen der Kultur“) etc. hervorleuchtete, vor allem aus „Pleiten“ kommunistischer Zensur, die Oschlies mit seltener „Repräsentativität“ auflistet.

Natürlich gab es in der DDR offiziell keine Zensur, aber ein paar lärmende Skandale, von geistvollen Autoren den SED-Aufpassern bereitet. Natürlich arbeiteten in Polen, Bulgarien, der Tschechoslowakei etc. amtliche Zensoren, die aber vielfach so unterbelichtet waren, dass sie von ihren Opfern wie Vaclav Havel der nationsweiten Schadenfreude ausgeliefert wurden. Oschlies hat zu diesem Thema authentische Texte und Bilder in Fülle zusammengetragen, was vor ihm wohl noch niemand schaffte.

„Warum gibt es in Belgrad so wenig Milch? Weil wir hier zu viele Ochsen haben!“ 

Dazu kommen liebevolle Porträts hierzulande unbekannter „Helden“ wie des sowjetischen TV-Spions Schtirlitz, um den sich eine tausendfache Witzkultur rankte, oder Satiriker wie des Bulgaren Radoj Ralin und des Serben Dusko Radovic, geliebte Ombudsmänner ihrer Mitbürger. Radovic (1922-1984) hat 15 Jahre lang die Hauptstadt mit  seiner Sendung „Beograde, dobro jutro“ (Guten Morgen Belgrad) geweckt, in der er fünf Minuten lang eigene Aphorismen verlas. Die sind bis heute in Belgrad, Serbien, Ex-Jugoslawien unvergessen, wie gelegentliche Umfragen beweisen. Favorit: „Warum gibt es in Belgrad so wenig Milch? Weil wir hier zu viele Ochsen haben!“ 

Oschlies’ Gespür für Realsatire ist stets präsent, etwa wenn er in genüsslicher Breite und ohne Zusätze oder Auslassungen die Geschichte des Prager Stalin-Denkmals ausbreitet („Als Stalins linker Fuß 75 Tonnen wog“), wenn er hirnrissige Originaltöne aus Kasernen osteuropäischer „Volksarmeen“ aufspießt oder sich pointensicher über Schnapsetikette von früher („Kumpeltod“) und („Vodka Stalinovy slzy“ /Stalins Tränen/ in Prag) heute amüsiert.

Diese und andere Kapitel seines jetzigen Buchs wurden schon vor Jahren lachgetestet – durch Veröffentlichung im „Eurasischen Magazin“, wo sie das Vergnügen der Leser erregten.

Mit dem Kommunismus starb auch dieser politische Witz, was Oschlies nur unter kulturhistorischem Aspekt bedauert. Einen „postkommunistischen Witz“ gibt es nicht, meint er, wohl aber einen  Esprit, der neue Mängel mit alten Mitteln aufspießt, wie es etwa der Slowene Ivan Godnic mit „Geisteranrufung“ vorführte, legendären Funkinterviews mit dem längst toten Tito (von Godnic in Tonfall und Artikulation meisterhaft nachgemacht). Einen ähnlichen Kunstgriff stellt Oschlies ans Ende seines Buchs, ein fiktives Interview mit dem (2003 ermordeten) Belgrader Politiker Zoran Djindjic, wobei dessen bissige und geistvolle „Antworten“ („Es gibt zwei Arten von Reformen: unpopuläre und gescheiterte“) reiner Originalton aus Reden und Erklärungen dieses charismatischen serbischen Reformers sind.

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Rezension zu: Hammer und Kichern – Eine Galerie osteuropäischen Witzes und Geistes in kommunistischer Zeit und danach“ von Wolf Oschlies, Wieser Verlag, Klagenfurt 2012, 315 Seiten, 12.95 Euro, ISBN-13: 978-3990290095.

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