Herrschaft ohne OrdnungIRAN

Herrschaft ohne Ordnung

Nach allgemeiner Ansicht ist Ordnung ohne Herrschaft eine angenehme Form der Anarchie, in der jeder Teil der Gesellschaft sich um das Gemeinwohl bemüht, ohne dass seitens der Regierung Zwang ausgeübt werden muss. Eine Herrschaft ohne Ordnung ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass trotz Ausübung von Macht keine Ordnung entsteht und die Gesellschaft die Regierung nicht akzeptiert. Betrachtet man die gegenwärtige Situation im Iran, so scheint letzteres zuzutreffen. Der folgende Beitrag analysiert die Gründe für die nicht vorhandene Ordnung im Iran. Um der Komplexität des Themas gerecht zu werden, fließen innen- und außenpolitische sowie ökonomische Aspekte in die Untersuchung mit ein, da nur so ein vollständiges Bild der Situation im Iran wiedergegeben werden kann.

Von Behrooz Abdolvand und Heinrich Schulz

Behrooz Abdolvand und Heinrich Schulz
Behrooz Abdolvand und Heinrich Schulz
Zur Person: Behrooz Abdolvand
Behrooz Abdolvand, Dr. rer. pol., geboren 1956 im Iran, arbeitet seit 1998 am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin als Dozent für internationale Beziehungen und Energiepolitik der Staaten der Greater-Middle-East-Region. Seit 2002 ist er Berater im Energiesektor.
Zur Person: Heinrich Schulz
Heinrich Schulz, Magister Artium, geboren 1981, ist Doktorand an der Forschungsstelle für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin. 2007 schloss er sein Magisterstudium in den Fächern Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin ab. Seit 2010 arbeitet er an seiner Dissertation zum Thema „Die energiepolitische Integration Turkmenistans in den Weltmarkt seit dem Zerfall der Sowjetunion“.

D ass es sich beim Iran um eine Herrschaft ohne Ordnung handelt, zeigt sich einmal mehr in den jüngsten Bemühungen der iranischen Führung hinsichtlich ihrer Beziehungen zur iranischen Exilgemeinde. Es gibt dafür eine neue Behörde, die unter Aufsicht des Büroleiters des Präsidenten Mashaie steht. Sie ist für die Kommunikation mit im Ausland lebenden Iranern zuständig. Für August hat sie zum zweiten Mal 2000 Exiliraner eingeladen, damit diese in Teheran mit iranischen Regierungsvertreternüber die Entwicklung des Landes diskutieren. Dabei sollen Möglichkeiten erörtert werden, wie das Wissen und die Beziehungen der iranischen Exilgemeinde zum Vorteil des Landes zu nutzen sind.
Es drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass diese Begründung nur vorgeschoben ist. In der iranischen Exilgemeinde finden sich zahlreiche Oppositionelle bzw. Personen, die aus der Islamischen Republik geflohen sind. Die iranische Regierung, die gegenwärtig unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft steht, möchte sie instrumentalisieren und eine scheinbare nationale Einheit demonstrieren. Offensichtlich haben die Anhänger der iranischen Führung die Situation noch nicht ausgiebig analysiert und den Ernst der Lage nicht verstanden. Die iranische Exilgemeinde ist nicht bereit, für einen scheinbaren Nationalkonsens herzuhalten. Eine Kostprobe davon, dass diese Rechnung nicht aufgeht, zeigt ein Treffen von Mashaie mit der iranischen Exilgemeinde in Berlin im März dieses Jahres, im Rahmen dessen sich trotz vorhandener Dialogbereitschaft deutliche Diskrepanzen offenbarten. Anlass des Treffens waren Gespräche bezüglich der Gründung eines Kulturzentrums, welches unter anderem dem Zweck dienen soll, den Kontakt der iranischen Diaspora mit dem Heimatland zu ermöglichen bzw. zu vertiefen.

Die iranische Diaspora besteht vor allem aus Vertriebenen

Der Grund für das stetige Bemühen um einen kontinuierlichen Dialog mit den aufgeschlossenen Teilen der iranischen Diaspora seitens der iranischen Regierung liegt auf der Hand. Teheran hat registriert, dass andere Staaten den Dialog mit ihrer jeweiligen Diaspora suchen, damit sich diese im Ausland für die Interessen des Heimatlandes einsetzt und verteidigt, wie es beispielsweise die armenische oder israelische Diaspora tun. Im Gegensatz zu anderen Staaten ist die iranische Regierung in diesem Bemühen allerdings nicht sehr erfolgreich, denn die Angehörigen der Diaspora anderer Staaten in der Regel mit der politischen Entwicklung im Land weitestgehend zufrieden sind, ist beim Iran das Gegenteil der Fall. Die iranische Diaspora besteht zu einem nicht unwesentlichen Anteil aus Vertriebenen. Ihre Beziehung bzw. ihre emotionale Bindung zu ihrem Heimatland ist insbesondere durch die gegenwärtige Regierung aber auch durch Praktiken der vorigen Regierungen seit 30 Jahren gestört. Sie lehnen die Innen- und Außenpolitik der iranischen Regierungzumindest partiell oder sogar grundsätzlich ab.
So nutzten die eingeladenen Iraner besagte Veranstaltung, um massive Kritik gegenüber den jüngsten Vorgängen im Iran zu äußern und somit ihr Verständnis von politischer Kultur zu offenbaren, ging es doch bei der Veranstaltungum die Gründung eines Kulturzentrums. Sie verurteilten die Repression der Bevölkerung, die Unterdrückung von politischen Aktivitäten, die Todesfälle während der Demonstrationen und die Todesurteile danach sowie die vermutete Vergewaltigung von Festgenommenen.
Mashaie reduzierte die geäußerten Vorwürfe auf den Wahlprozess und auf die Auseinandersetzung mit Mussawi und Karubi, bzw. auf Anschuldigungen gegen die grüne Bewegung im Allgemeinen, obwohl diese nur am Rande von den Kritikern erwähnt worden war.
Diese Kritik und die Reaktion von Mashaie deuten darauf hin, dass die Diaspora trotz der Bereitschaft zum Dialog mit der iranischen Regierung, eine komplett andere Auffassung von politischer Kultur als die iranische Regierung hat. Anscheinend sind die Angehörigen der iranischen Diaspora in der eigenen Heimat fremd. Sie finden heute im Ausland ihr kulturelles Zuhause, was allerdings nicht notwendigerweise bedeutet, dass dies in der „neuen Wahlheimat“ auch immer so verstanden wird.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die Berichterstattung ausländischer Medien über besagte Veranstaltung, wie die des vom US-Kongress finanzierten und in Prag ansässigen Radio Farda, das Exiliraner zur Zielgruppe hat. Der Sender berichtete lediglich über die Äußerungen Mashaies bezüglich Israel, obwohl das eigentliche spannende Statement des Abends von Mashaie die Vorgänge im Iran selbst zum Gegenstand hatte.

Dem Ansehen von Ahmadinedschad sollte geschadet werden

Hierzu ließ er verlauten, dass Ahmadinedschad mit der Vorgehensweise gegenüber den Demonstranten nicht einverstanden sei und er auch nicht glaube, dass der Einsatz von exzessiver Gewalt seitens der Sittenpolizei gegenüber Frauen bzw. Gewalt gegenüber Studenten notwendig sei. Ahmadinedschad habe nicht die notwendige Macht über die verantwortlichen Instanzen. Mashaie beschuldigte diese „Instanzen“ durch ihr überhartes Vorgehen, dem Ansehen von Präsident Ahmadinedschad schaden zu wollen.
Die jüngsten Vorgänge im Land scheinen diese Behauptung zumindest teilweise zu stützen. Ungeachtet von seinen sonstigen Äußerungen zur Außenpolitik oder ähnlichem sprach sich Präsident Ahmadinedschad in den letzten Wochen wiederholt gegen das harte Vorgehen der Sittenpolizei gegenüber Frauen aus, die nicht „angemessen“ gekleidet oder verschleiert waren und befahl ihr sogar, dieses Vorgehen zu unterlassen, womit er vermutlich Sympathien in den jüngeren Bevölkerungsschichten für sich gewinnen wollte. Sein Befehl blieb allerdings ohne Wirkung, da die Großajatollahs im Freitagsgebet diesen für null und nichtig erklärten. So wird deutlich, dass Ahmadinedschad tatsächlich keine Kontrolle über die Gewaltorgane hat, die eigentlich unter seiner Aufsicht stehen sollten.
Im Vorfeld von Veranstaltungen der iranischen Botschaft gibt es seitens der Exilopposition häufig Proteste. Die Teilnehmer solcher Veranstaltungen werden ob ihres Zusammentreffens mit iranischen Regierungsvertretern verurteilt oder als Handlanger der Islamischen Republik verunglimpft, anstatt sie als besorgte Staatsbürger zu sehen, die nach pragmatischen Lösungen für die politischen Probleme des Landes suchen.

Gelegenheit um offen Kritik zu üben

Bemerkenswert war im Rahmen dieser Zusammenkunft, dass die Teilnehmer selbst während und nach der Veranstaltung die Gelegenheit nutzten, um offen Kritik an der Situation im Iran zu üben. Sowohl die Botschaftsangehörigen als auch Mashaie setzten sich den Vorwürfen geduldig aus. Es herrschte Respekt gegenüber der anderen Seite und man versuchte im gegenseitigen Einvernehmen zu diskutieren.
Man fühlte sich erinnert an ein Zitat des Ex-Bundeskanzlers Willy Brandt, der einst sagte: „Mit meinen Freunden brauche ich nicht zu verhandeln, verhandeln tue ich mit meinen Gegnern. Mit meinen Freunden gehe ich einen trinken.“Die Frage ist also nicht mehr, ob man sich mit den Vertretern dieses Systems treffen kann, um zu diskutieren, sondern ob es die politische Lage erlaubt auf solche Kontakte zu verzichten. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Mehrheit der Botschaftsangehörigen bei den letzten Wahlen die grüne Bewegung Mussawis gewählt hat. Dies in Verbindung mit der geschilderten Bereitschaft, sich mit kritischen Stimmen zur Lage im Iran auseinanderzusetzen, legt den Schluss nahe, dass große Teile der iranischen Elite der Situation im Land selbst kritisch gegenüberstehen, sich aber bedingt durch die mit den Jahren gewachsene Abhängigkeit nicht offen äußern können. Das Gleiche war in der Sowjet-Union zu beobachten.

Viele „Spätdemokraten“ waren Teil des Unterdrückungsapparats

Es wird deutlich, dass mit allen Parteien dieses Systems ein konstruktiver Dialog geführt werden muss, ganz gleich ob der jeweilige Ansprechpartner zur grünen Bewegung oder zum gegnerischen Lager gehört. Bei gründlicher Analyse der Situation im Iran wird deutlich, dass viele „Spätdemokraten“, die sich jetzt der grünen Bewegung zugehörig fühlen, Teil des Unterdrückungsapparates in den ersten zwei Dekaden der Islamischen Republik waren und ihre politisch motivierten kriminellen Machenschaften gegenüber denen der heutigen Machthaber in nichts nachstehen.
Von diesen „Spätdemokraten“, Mussawi inklusive, wird erwartet, dass sie eine Rolle wie die des ehemaligen südafrikanischen Präsidenten de Klerk übernehmen. Man könne ihnen sogar den Nobelpreis verleihen, basierend auf dem Motto:„Seelig sind die, die Frieden stiften.“
Aber um die zarte Pflanze der Demokratie im Lande gedeihen zu lassen, darf nicht vergessen werden, dass die „Spätdemokraten“ auch an den Schandtaten in den ersten Jahren der Islamischen Republik maßgeblich beteiligt waren. Die gegenwärtige Unterdrückung im Iran  steht in Kontinuität mit der jüngeren iranischen Geschichte, lediglich mit dem Unterschied, dass sich die handelnden Personen von damals jetzt als Reformer betrachten und ihre Hände in Unschuld waschen. Sie tun sich immer noch schwer offen zuzugeben, dass es nicht reicht die Taten heutiger Machthaber zu verurteilen, sondern dass am Anfang eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Person stehen muss, will man als glaubwürdiger Demokrat anerkannt werden.

Es handelt sich nicht um „Fehler“, sondern um Verbrechen

Darüber hinaus ist es notwendig, dass auch die europäische proisraelische Friedensbewegung nicht mit zweierlei Maß misst und von der iranischen Bevölkerung verlangt, die Taten der Protagonisten der grünen Bewegung einfach zu vergessen, nur weil diese vorgeben, sich zur Demokratie zu bekennen und in ihren Äußerungen gegenüber Israel zurückhaltender sind. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an den ehemaligen österreichischen Präsidenten und UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim. Seine Taten während des 2. Weltkriegs wurden im Rahmen seiner Präsidentschaftskandidatur aufgearbeitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, woraufhin eine gesellschaftliche Diskussion um seine Person losgetreten wurde. Auch Mussawi und seine Gefolgschaft müssen sich ihrer Vergangenheit stellen, handelte es sich bei ihren Taten doch nicht um politische Fehler sondern um politische Verbrechen. So kann von der iranischen Bevölkerung seitens der proisraelischen Friedensbewegung nicht verlangt werden, dass die Verbrechen der Vergangenheit im wahrsten Sinne des Wortes totgeschwiegen werden. Stattdessen gilt es sie aufzuarbeiten, wie jedes Verbrechen der Menschheitsgeschichte aufgearbeitet werden muss, damit es sich nicht wiederholt.
Die folgende Analyse wird verdeutlichen, dass die Anführer der grünen Bewegung nicht so unschuldig sind, wie sie gerne wahrgenommen werden wollen. Sie müssen sich offen über die Gretchenfragen der iranischen Innen- und Außenpolitik äußern. Dazu gehören beispielsweise das Existenzrecht Israels, die Atomfrage, der Umgang mit religiösen Minderheiten (z.B. der Bahai) oder die Vorstellungen bezüglich der ökonomischen Zukunft des Landes. In Bezug auf die Nutznießer der geplanten Privatisierung ist zu klären, wie groß die Unterschiede zwischen grüner Bewegung und der herrschenden Elite sind. Erst dann weiß man, ob es sich lohnen würde Erstere bedingungslos zu unterstützen. Wobei hier natürlich zwischen den Anführern und den Studenten sowie Demonstranten auf der Straße differenziert werden muss.
Letzteren gebührt voller Respekt für ihren Mut, sich gegen das Regime aufzulehnen. Darüber hinaus darf man konservative Kräfte bedingt durch ihre gesellschaftlichen Wurzeln nicht ignorieren, repräsentieren sie schätzungsweise doch noch einen großen Anteil der iranischen Bevölkerung. Des Weiteren deuten die Demonstrationen der Opposition aber auch der Regierung daraufhin, dass sich eine Spaltung der gesamten Gesellschaft quer durch alle Schichten vollzogen hat.

Der Feind meines Feindes ist nicht mein Freund

In der Schwarz-Weiß-Darstellung der Gegner der Islamischen Republik taucht immer wieder der Vorwurf auf, dass jeder, der mit Angehörigen dieser Regierung Kontakt aufnimmt, unbedingt dem feindlichen Lager zugeschrieben werden muss, wohingegen im Umkehrschluss angenommen wird, dass jeder, der sich mit den Gegnern solidarisiert zum eigenen Lager gehört. Doch wie sieht es in der Realität aus?
Ein kurzer Blick in die Geschichte des Irans macht deutlich, dass die Anführer der grünen Bewegung keineswegs eine weiße Weste haben.1988 wurden tausende Iraner im Gefängnis Ewin hingerichtet und in Massengräbern in Khawaran, einem Vorort im Südosten Teherans, begraben. Dies geschah nach einer Rede(sie ist auf YouTube abrufbar) des verstorbenen Revolutionsführers Khomeini, in dessen Rahmen er zu einer radikalen Verjüngung und Islamisierung aufrief. Er zitierte in diesem Zusammenhang auch Überlieferungen des Propheten Mohammedund legitimierte mit deren Hilfe seinen Befehl, hart gegen inhaftierte Andersdenkende vorzugehen, die auf ihren Standpunkten und Positionen beharrten. Tausende Gefängnisinsassen wurden daraufhin hingerichtet, obwohl sie nach der Verfassung, basierend auf ihren Grundrechten nicht hätten verhaftet werden dürfen, doch ob der ungerechtfertigten islamischen Gesetzgebung zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden.
Die Protagonisten der grünen Bewegung, Mussawi, Rafsanjani, Rezai und Karubi gehörten zu den einflussreichsten Politikern in den Jahren nach der Revolution und auch noch 1988, als die Hinrichtungen durch Ajatollah Khomeini angeordnet wurden. Mussawi fungierte als Premierminister, Rezai war oberster Revolutionsgardist, Rafsanjani Parlamentspräsident und Karubi der Vizepräsident des Parlamentes. Sie alle standen Ajatollah Khomeini nahe und sie alle tragen für den oben erwähnten Massenmord zumindest indirekt die Verantwortung, wie auch für die intellektuelle und kulturelle Repression, die durch sie initiiert wurde und bis in die Gegenwart anhält.

Man hätte damals protestieren sollen

Mussawi bestreitet jedwede Verantwortung für die damaligen Geschehnisse, da er sie nicht angeordnet habe, ihm wird allerdings in diesem Zusammenhang vorgeworfen, dass er sie in seiner Funktion als Premierminister nicht zumindest missbilligte. Einer seiner damaligen und heutigen Mitarbeiter, Mohammed Atrianfar, rechtfertigt das Verhalten Mussawis mit der verniedlichenden Aussage „Freunde, zu Beginn der Revolution waren wir alle wie Ahmadinedschad. Aber wir haben unseren Weg und unser Verhalten geändert."
Ein anderer Weggefährte Mussawis, Tadschzadeh, der die Repressionen am eigenen Leib erfahren hat und eigentlich im Gefängnis sitzt, erklärte vor kurzem in einem Interview, das er während eines Hafturlaubs geben konnte, dass man damals gegen die Hinrichtungen in Khawaran hätte protestieren sollen. Das seinerzeitige Schweigen sei ein Grund für die gegenwärtige Situation im Iran. Diese Äußerungen haben eine landesweite Debatte verursacht.
Auch Reformer wie Mussawi müssen endlich diese Courage zeigen und dementsprechend handeln, um die eigene Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen. Eines wird in diesem Zusammenhang deutlich. Eine Schwarz-Weiß-Darstellung der iranischen gesellschaftlichen Verhältnisse wird der Wirklichkeit nicht mal ansatzweise gerecht und sowohl die Regierung als auch die Opposition wollen nicht die Verantwortung für historische und aktuelle Vorgänge im Land übernehmen. Doch wer trägt sie dann?  Wodurch sind diese Unwissenheit und dieser angebliche Unwille zur Gewaltanwendung begründet, die trotzdem geschah und tagtäglich geschieht?

Die Islamische Republik Iran - eine Republik der Unschuldigen?

Die Gründe für derlei Unschuldsbehauptungen sind in der Grundstruktur der Islamischen Republik zu suchen. Die jeweiligen Regierungen lehnen die Verantwortung für die Untaten ab und möchten das Regierungssystem als solches beibehalten und auch weiterhin in dem gegebenen Verfassungsrahmen handeln, wobei Mussawi großzügiger Weise erklärte, dass es in der iranischen Verfassung noch ein nicht ausgeschöpftes Reservoir für eine Demokratisierung der Gesellschaft gäbe. Ahmadinedschad geht sogar so weit zu behaupten, dass es im Iran die am besten funktionierende Demokratie weltweit gäbe.
Grundsätzlich wollen also alle an dem bestehenden System festhalten, lediglich in der Art der Ausübung offenbaren sich Diskrepanzen. In der Verfassung ist festgelegt, dass der Revolutionsführer der Oberbefehlshaber aller Gewaltorgane ist. Er ernennt alle Befehlshaber, wie beispielsweise der Armee, der Revolutionswächtereinheiten, der Luftwaffe, der Marine sowie der Landespolizei. Gleiches gilt für die Ernennung der Leiter des Informationsministeriums (Geheimdienst), des Innenministeriums und der Justizbehörde, wobei es sich in der Regel um Geistliche im Rang von Ajatollahs handelt, die Fatwas aussprechen dürfen. Ob der internen Machtverteilung, wie von der Verfassung vorgesehen, ist es so, dass die Regierungschefs nicht direkt für Repressionen verantwortlich gemacht werden können, dafür aber sehr wohl die Revolutionsführer.
Auf Grund dieses Umstandes bestreitet Mussawi seine Verantwortung für die Ereignisse von 1988, wie auch gegenwärtig Ahmadinedschad jedwede Verantwortung für die gegenwärtigen Gewaltexzesse ablehnt und darüber hinaus erklärt, er sei damit nicht einverstanden.Trotzdem können beide zur Verantwortung gezogen werden. Schließlich hätten beide zurücktreten können, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen, wie es beispielsweise damals Ajatollah Montazeri tat, doch stattdessen regierten bzw. regieren sie weiter, ohne jedoch Verantwortung für die Vorgänge im Land übernehmenzu wollen.
Mussawi ließ wiederholt verlautbaren, dass er die Verwirklichung von demokratischen Rechten nur im Rahmen der Verfassung anstrebe. Fraglich ist allerdings, warum er dies nicht bereits während seiner achtjährigen Amtszeit als Premierminister tat. Fraglich ist auch, wie er, sollte er tatsächlich zum Präsidenten gewählt werden, die Gewaltorgane unter seine Kontrolle bringen will. Dafür bietet die Verfassung, an der er festhalten will, keinen Spielraum.Es wird deutlich, dass beide Parteien grundsätzliche Veränderungen im Sinne der Bevölkerung nicht anstreben. Dies lässt sich auch an den Positionen der beteiligten Akteure zum Umgang mit Israel, zu Menschenrechtsfragen oder zum Atomprogramm ablesen.

Die Israel-Frage

Menschenrechtsorganisationen und die westliche Öffentlichkeit reagieren stets zu recht empört, wenn Ahmadinedschad zum wiederholten Male in einer seiner Reden das Existenzrecht Israels in Frage stellt und den Holocaust leugnet. Von Mussawi und der grünen Bewegung erhofft man sich hingegen, dass ein neues Kapitel im Nah-Ost-Konflikt aufgeschlagen und der Friedensprozess vorangetrieben wird. Allerdings erklärte die Reformbewegung, dass sie zu einer Anerkennung des Existenzrechtes Israels nicht bereit sei. Dennoch stellte Mussawi im Gegensatz zu Ahmadinedschad klar, dass er den Massenmord an den Juden durch die Nationalsozialisten als historische Tatsache anerkenne und verurteile, wie auf der Webseite der Süddeutschen Zeitung nachzulesen war. Während der Amtszeit Mussawis als Premierminister war der erste Innenminister Ali Akbar Mohtaschami, ein Anwalt des Revolutionsexports in der jungen Islamischen Republik, Botschafter in Syrien und Begründer der libanesischen Hisbollah-Bewegung. Darüber hinaus fungiert er jetzt als Wahlbüroleiter von Mussawi. Bis Anfang April 2010 war Mohtaschami sogar Generalsekretär der Kommission zur Unterstützung des palästinensischen Widerstandes, zu der auch Khaled Meshaal (Hamas) sowie Hassan Nasrallah (Hizbollah) gehören. Seine Absetzung durch Ahmadinedschad wurde durch mangelnde Radikalität begründet, der wahre Grund dürfte allerdings in seiner Zugehörigkeit zum Mussawi-Lager liegen.
Somit ist nicht zu erwarten, dass Mussawi eine andere Israel-Politik als Ahmadinedschad betreiben würde. Selbst wenn beide einen anderen Kurs gegenüber Israel einschlagen wollten, stießen sie auf Widerstand der Revolutionsführer, denn letztere bestimmen nach der iranischen Verfassung die Leitlinien der Außenpolitik. Syrien, die Hisbollah und die Hamas sind noch immer strategische Partner des Iran und werden von ihm unterstützt. Begründet wird die Unterstützung mit der Besetzung Jerusalems durch Israel und solange diese anhält, wird sich die Islamische Republik verpflichtet fühlen, weiter gegen Israel zu kämpfen, unabhängig davon, wer an der Macht ist.

Eine andere Israel-Politik ist nicht zu erwarten

Wenn in drei Jahren die Regierungszeit Ahmadinedschads abgelaufen ist oder gar Mussawi zum Präsidenten gewählt wird und sich der Westen die Frage stellt, ob im Anschluss basierend auf der gegenwärtigen Verfassung mit einer anderen Israel-Politik zu rechnen sei, so lautet die Antwort nein. Denn wie bereits erwähnt bestimmt nicht der Präsident sondern der Revolutionsführer die Leitlinien der Außenpolitik.
Der Spielraum des Revolutionsführers ist in diesem Zusammenhang allerdings auch sehr begrenzt. Er bezieht seine Legitimität aus dem Schiitentum und aus Gründen der Staatsräson kann der Revolutionsführer keine Zugeständnisse in der Jerusalem-Frage machen. Solange also die Verfassung nicht grundlegend geändert worden ist, wird es keine Fortschritte hinsichtlich der iranisch-israelischen Beziehungen geben.
Dass der Iran durchaus in der Lage ist eine pragmatische Außenpolitik zu verfolgen, zeigt jedoch das Beispiel Armenien. Armenien hat im Berg-Karabach-Konflikt Aserbaidschan angegriffen, ein muslimisches Land mit überwiegend schiitischer Bevölkerung. Es hält nach wie vor rund 20 Prozent des aserbaidschanischen Territoriums besetzt. Die aserbaidschanische Bevölkerung wurde aus diesen Gebieten vertrieben. Und dennoch genießt Armenien die Unterstützung des Irans. Beide Staaten unterhalten gute Beziehungen und Armenien wird sogar durch den Iran mit Öl, Gas und Nahrungsmitteln versorgt. Warum sollte nicht also eines Tages auch gegenüber Israel eine pragmatische Außenpolitik des Iran möglich sein?

Die Atomfrage

Die westliche Öffentlichkeit hofft, dass Mussawi, so er denn an die Macht käme, eine neue Atompolitik betreiben würde. Nach der Wiederwahl von Ahmadinedschad hat sich der Iran im Rahmen der Verhandlungen über sein Nuklearprogramm dazu bereit erklärt, auf die Anreicherung von 20 prozentigem Uran zu verzichten und sich dieses statt dessen für den Reaktor in Teheran liefern zu lassen. Dieses Angebot der Regierung Ahmadinedschad stieß auf Widerstand von Mussawi, da es nach seiner Auffassung einen Verrat an den Leistungen iranischer Wissenschaftler bedeuten würde, woraufhin die iranische Regierung ihr Angebot zurückzog, um nicht innenpolitischem Druck ausgesetzt zu sein. Nichtsdestotrotz ließ Mussawi verlautbaren, dass er über das iranische Atomprogramm mit „voller Transparenz“ mit sich reden lasse, stellte aber gleichzeitig klar, dass er die Uran-Anreicherung ebenso wenig einstellen lassen würde, wie der jetzige Präsident. „Kein Mensch im Iran würde das akzeptieren“, so Mussawi.

Die Menschenrechtsfrage

Wie bereits geschildert, gab es während der Amtszeit Mussawis als Premierminister in den 80er Jahren massive Menschenrechtsverletzungen im Iran. Auch während der Amtszeit seines Nachfolgers Rafsanjani wurde gegen Oppositionelle vorgegangen, und das auch im Ausland. So gab es beispielsweise einen Bombenanschlag auf eine Synagoge der jüdischen Gemeinde in Argentinien. Darüber hinaus wurden Vertreter der Oppositionsparteien durch Anschläge in Berlin, Wien, Hamburg und Paris umgebracht.
Auch unter Khatami setzten sich die Menschenrechtsverletzungen fort. Journalisten, Schriftsteller und Politiker der Opposition wurden verhaftet oder sogar umgebracht, wie beispielsweise der Oppositionelle Foruhar und seine Frau, die mit hunderten Messerstichen in der eigenen Wohnung ermordet wurden. Auch die damalige gewalttätige Unterdrückung von Studentenprotesten zeigt, dass Khatami nicht in der Lage war, die Gewalt einzudämmen.
Gegenwärtig wird die Weltöffentlichkeit Zeuge der beispielslosen Unterdrückung von Demonstranten, Journalisten und Studenten im Iran. Sie werden mit verschiedensten Verboten konfrontiert, Medien werden geschlossen, Studenten und Professoren werden aus den Universitäten rausgeschmissen und zu Gefängnisstrafen oder sogar zum Tod verurteilt. Iranische Studenten im Ausland werden angehalten „in die Arme des Islams zurückzukehren, statt auf dem Schoß des Imperialismus zu verharren.“ Ebenso wie Khatami damals, könnten auch Mussawi und Ahmadinedschad, selbst wenn er tatsächlich wollte, die aktuelle gewalttätige Eskalation nicht verhindern, da sie wie gesagt keine direkte Befehlsgewalt gegenüber den Gewaltorganen haben.

Worauf basiert die Unschuldsrepublik Iran?

Dass man sich in diesem Zusammenhang nicht zu viel von einem Regierungswechsel versprechen sollte, verdeutlicht ein kurzer Blick in die Vergangenheit. Während des besagten Massakers von Ewin waren Pourmohammadi und Edschaie in ihrer Funktion als oberste Richter verantwortlich. Heute ist Pourmohammadi Leiter der obersten Aufsichtsbehörde (sie kontrolliert die Geheimdienste) und Edschaie oberster Staatsanwalt. Falls Mussawi gewählt werden würde, könnte er sie nicht absetzen, wie er es auch damals nicht konnte und wollte, weil sie im Auftrag des damaligen Revolutionsführers Khomeini handelten. Es ist nicht etwa der Premierminister oder Präsident, der über die Besetzung solcher Stellen entscheidet, sondern der Revolutionsführer.
Es wäre allerdings zu einfach nun zu glauben, die Revolutionsführer würden sich zu ihrer Verantwortung bekennen. Sie sehen sich als Stellvertreter des verborgenen Imams Mahdi und handeln in seinem Namen, so dass auch die Revolutionsführer eine persönliche Verantwortung ihrer Taten ablehnen. Letztendlich ist also niemand in der Islamischen Republik für die Geschehnisse im Land verantwortlich oder gar schuldig. Doch worauf basiert diese Unschuldsrepublik?

Wo die Wurzeln allen Übels liegen

Die Wurzeln allen Übels liegen in der Anfangsphase der Islamischen Republik. Die iranische Bevölkerung wollte der Macht des Schahs ein Ende setzen, gleichzeitig versprach Ajatollah Khomeini, damals noch im Exil, die Wiederherstellung der islamischen Gesetzgebung, die Gleichheit aller Menschen auf Grundlage des Begründers des Schiitentums Ali und eine politische Struktur, in der ein demokratisches System verwirklicht werden kann.
Nachdem Khomeini die Macht übernommen hatte, etablierte er hingegen eine Machtstruktur in der Fachwissen und Kompetenz dem Glauben untergeordnet sind. Es dürfen nur gläubige und dem Islam gegenüber loyale Moslems Macht ausüben. Auf Basis der neu geschaffenen islamischen Verfassung wurden Sozialisten, Kommunisten und Liberale verfolgt. Alle, die nicht den Ansprüchen des neuen Regimes genügten wurden und werden aus den Machtstrukturen des Landes entfernt, wie beispielsweise der erste Präsident Banisad oder Ajatollah Montazeri. Die totalitäre Ausprägung des Regimes geht sogar so weit, dass sich politische Gruppierungen, die sich ganz deutlich zum Gewaltverzicht bekannt haben und als absolut friedlich einzustufen sind, aus Furcht vor der Unterdrückung und Verfolgung durch das Regime vorsorglich selbst auflösen bzw. aufgelöst haben.
Seit der Machtübernahme Khomeinis deutet alles darauf hin, dass der jeweilige Präsident der grenzenlosen Macht des Revolutionsführers ausgeliefert ist. Trägt er nicht die Politik des Revolutionsführers, muss er damit rechnen aus dem Amt verjagt zu werden, oder er ist wie im Fall Khatami zur Regierungsunfähigkeit verdammt. Die Unterschiede zwischen den jeweiligen Präsidenten sind also in ihrem Grad an Unterwerfung gegenüber der Macht der Revolutionsführer zu suchen. So wie sich Ahmadinedschad gegenwärtig absolut der Macht Ajatollah Khameneis unterwirft, so unterwarf sich seiner Zeit Mussawi absolut der Macht Ajatollah Khomeinis. Folglich ist die Lösung der Probleme mit dem Iran nicht in einem Demokratiebestreben möglicher Präsidenten zu suchen. Es gilt vielmehr das iranische Verfassungssystem zu berücksichtigen, das seine Revolutionsführer mit absoluter Macht ausstattet. Falls man also die politischen Strukturen im Iran verändern will, setzt dies eine umfassende Reform der Verfassung voraus.

Khomeini versprach  die Gleichheit aller Menschen

Die Regierung Khamenei will sich nicht dem Willen der Demonstranten fügen. Zur Durchsetzung ihrer Interessen instrumentalisiert sie Fragen von nationaler Bedeutung, wie beispielsweise die Debatte um das iranische Atomprogramm oder das Existenzrecht Israels und versucht dadurch ihre Gegner zu entmachten.
Obwohl Ajatollah Khomeini die Gleichheit aller Menschen versprach, wird die Kluft zwischen arm und reich immer größer. Im Rentierstaat Iran bereichert sich die Elite auf Kosten der Bevölkerung und Korruption ist weit verbreitet im Land. Seit der Revolution hat sich ein patrimoniales System etabliert, das vor allem die Interessen bestimmter Gruppierungen berücksichtigt. Dies war bereits während der Amtszeit Rafsanjanis der Fall, ist gegenwärtig zu beobachten und würde sich auch bei einer etwaigen Wahl Mussawis nicht ändern, nur die Profiteure würden anders definiert. Bei näherer Betrachtung der Vorgänge im Iran wird deutlich, dass es weniger um Moral oder islamische Gesetze bzw. Prinzipien geht, als vielmehr um die Teilhabe am Allokationssystem und um Vetternwirtschaft.

Eine Republik in moralischer Krise
Einmal jährlich, am 12. Tag des Frühlings, wird im Iran der Tag des Referendums über die Abschaffung der Monarchie und die Gründung der Islamischen Republik gefeiert. Ajatollah Khomeini nannte diesen Tag den Tag der Beseitigung satanischer Kräfte bzw. den Tag des Sieges Gottes und seiner Gläubigen. Die neue Führung propagierte die Beseitigung von Armut und bezog sich hierbei auf Überlieferungen des Gründers des Schiitentums Ali. Ferner versprach die neue Regierung gegen Korruption vorzugehen und führte eine Verfassung ein, die alle Lebensbereiche regeln soll. So ist der Verzehr von alkoholischen Getränken verboten, auf Prostitution droht die Todesstrafe, Diebstahl soll auf Basis der Scharia bestraft werden etc.
Gegenwärtig scheint sich die Islamische Republik Iran jedoch in einer moralischen Sackgasse zu befinden. Die Diskrepanz zwischen arm und reich im Land hat stark zugenommen und die Elite, die sich in Tradition Alis eigentlich dem Gemeinwohl verpflichtet hat, bereichert sich schamlos, während weite Teile der Bevölkerung in beispielloser Armut leben. Die jüngsten Debatten im iranischen Parlament sowie zwischen dem Parlament und der iranischen Regierung waren von gegenseitigen Anschuldigungen geprägt. Insbesondere Vizepräsident Rahimi wird der Vetternwirtschaft und krimineller Machenschaften beschuldigt. Die Regierung hingegen wirft dem Parlament vor, lediglich Lobbyarbeit zu Gunsten von Geschäftemachern zu betreiben.

Privilegien für gläubige Anhänger der Revolution

Es macht in diesem Zusammenhang keinen Unterschied welche politische Gruppierung regiert, genauso wenig ist es eine Frage von Korruptionsbekämpfung. Die Ursache liegt in einem fehlenden Check- und Balance-Mechanismus, der nach der Revolution von Anfang ignoriert und vernachlässigt worden ist und in den Rahmenbedingungen der iranischen Ökonomie. In ihr ist es nur den gläubigen Anhängern der Revolution gestattet, wirtschaftliche Aktivitäten auszuüben, die wiederum durch günstige Kredite des nationalen Bankensystems oder durch die unkontrollierte Verteilung der heiligen Schreine und Boniade finanziert werden.
Es ist in der Tat so, dass die bisherigen Regierungen, unabhängig davon aus welchen politischen Flügeln sie bestanden, immer Vetternwirtschaft auf Kosten des Staates betrieben und die eigene Anhängerschaft begünstigt haben. Dies ist von der obersten Etage der Entscheidungsträger bis in die unteren Schichten der politischen Struktur nachweisbar. Genau wie die Elite vor der Revolution, schützt die neue Elite ihr Vermögen in Auslandskonten.
Auf der Webseite des Fernsehsenders CNN befindet sich eine Liste über Konten von verschiedenen Personen der Islamischen Republik, in denen Milliarden von Dollars deponiert worden sind. So wurde beispielsweise bekannt, dass Moshtaba Khamenei (ein Sohn des gegenwärtigen Revolutionsführers) in England ein Privatkonto mit einem Volumen von 1,6 Milliarden Dollar unterhielt. Auf der Liste sind auch die Namen der Familien Rafsanjani, Ahmadinedschad etc. zu finden. Dies geschieht in einer Gesellschaft, in der nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) 60 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, während die Revolutionäre der ersten Stunde zu den Multimilliardären der Welt gehören. Konfrontiert mit solchen Nachrichten, begnügen sich die Kleriker und die Regierung mit Dementis. Anstatt ein transparentes System zu etablieren, das ermöglicht Korruption zu verhindern und zu bekämpfen, scheinen die Revolutionäre der ersten Stunde den Iran als erobertes Land durch den Islam zu betrachten, dass nun verteilt werden soll. All jene, die nicht zum harten Kern der systemtreuen Gläubigen gehören, sind Außenstehende und nach den islamischen Gesetzen können und dürfen sie nicht Gleichbehandlung in der islamischen Gesellschaft verlangen. Nach dem Ranking der Organisation Transparency International belegt der Iran den 168. Rang von 180 Ländern und ist somit einer der korruptesten Staaten weltweit.
Darüber hinaus ist das Ausmaß der ausufernden Prostitution in allen Städten des Landes sichtbar und auch was den Alkoholgenuss betrifft, übt man alles andere als Verzicht. So wurde bekannt, dass im Rahmen des iranischen Neujahrsfestes binnen zwei Wochen 5.000 Liter Alkohol in der nördlichen Provinz Mazandaran von der Polizei konfisziert worden sind, wobei die Dunkelziffer weit höher liegen dürfte.
So wird klar, dass sich die Islamische Republik ob ihrer selbst gestellten Normen in einer Sackgasse befindet. Konfrontiert man die Anhänger dieses Systems mit der Realität und fragt, was aus den Normen, insbesondere was aus der Gleichheit und der Gerechtigkeit nach Ali, dem ersten Imam der Schiiten, geworden ist, wird entgegnet, dass das System trotz aller Widrigkeiten immer noch das Beste sei. Zweifellos trifft das für jene Teile der Bevölkerung zu, die das System zu ihren Gunsten mittels Vetternwirtschaft und Selbstbedienung bestens auszunutzen verstehen.
So mancher Oppositioneller glaubt, dass die westliche Wertegemeinschaft ein gutes Vorbild sei. Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass dies nicht notwendigerweise zutrifft. Auf falschen Vorstellungen und eigenen Lügen basierend sucht die westliche Wertegemeinschaft keinen Partner sondern Marionetten, wie beispielsweise in Afghanistan.

Westliche Wertegemeinschaft oder Fata Morgana der Demokratie

Volker Perthes, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, erklärte in einem Interview mit der persisch sprachigen Deutschen Welle am 30. März 2010, dass man nachdem Ahmadinedschad erstmals zum Präsidenten gewählt wurde, auf konstruktive Verhandlungen im Anschluss gehofft habe, da die Erfahrung gezeigt habe, dass man mit konservativen Kräften (in diesem Fall Ahmadinedschad) besser verhandeln könne. Er sei ferner der Auffassung, dass diese Hoffnung enttäuscht wurde, weil Ahmadinedschad innenpolitisch die Hände gebunden waren. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Ahmadinedschad erst zur Persona non grata erklärt wurde, nachdem der Westen erkannte, dass er anscheinend nicht zum Verhandlungspartner tauge.
Die Verbreitung von Demokratie im Nahen Osten bzw.im Iran ist nicht die oberste Priorität der westlichen Welt. Die demokratischen Kräfte im Iran können lediglich genutzt werden, indem sie als Druckmittel gegen die Islamische Republik eingesetzt werden, um politische und wirtschaftliche Konzessionen herauszupressen anstatt die Demokratie voranzutreiben, die mehr verspricht als die Lösung der Atomfrage.
Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass es dem Westen in Afghanistan, im Irak oder eben im Iran nicht um die Verbreitung von Demokratie geht, sondern um die Durchsetzung strategischer Interessen. Nach zehn Jahren in Afghanistan ist man bereit sechs südliche Provinzen den Taliban zu überlassen unter der Voraussetzung, dass sie neun Basen der US-Armee akzeptieren. Selbstverständlich beinhaltet das Angebot auch eine indirekte Regierungsbeteiligung.

Der Westen wird seinen eigenen Werten nicht gerecht

Nimmt man die formalen Werte der Demokratie im Westen als Maßstab, so wird deutlich, dass der Westen den eigenen Werten nicht gerecht wird, die er versucht zu verteidigen. Als in den 90er Jahren die islamische Opposition unter der Führung von Madani in Algerien die Wahl gewann, förderten anschließend westliche Kräfte einen Militärputsch, der das Land in bürgerkriegsähnliche Zustände stürzte. Der gewählte Präsident Madani wie auch viele seiner Mitstreiter wurden verhaftet und ermordet. Im Gegenzug rächten sich islamische Fundamentalisten und ihre Anschläge forderten viele zivile Opfer.
Die Anerkennung des Putsches durch den Westen zeigte, dass dieser Wahlergebnisse oft nur anerkennt, wenn sie im eigenen Interesse sind. Als die Hamas die Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten für sich entscheiden konnte, wurde diese von den westlichen Regierungen  mit der Begründung, dass es sich bei der Hamas um eine Terrororganisation handele, nicht anerkannt. Anschließend wurden der Autonomiebehörde die Gelder gestrichen und Sanktionen verhängt, während die Fatah weiter Unterstützung seitens des Westens genoss. Hier zeigt sich einmal mehr das beliebige Demokratieverständnis des Westens, handelt es sich bei der Fatah doch ebenfalls um eine Gruppierung, die Terroranschläge verübt hat und somit nicht unbedingt die Werte der Demokratie verteidigt. In den 70er Jahren führte die Fatah unter der Führung von Arafat in Verbindung mit einer Gruppe um George Habash mehrere Terroranschläge durch. Daran beteiligt war u. a. auch die Top-Terroristin Leila Khaled. Doch während sie eine Gefängnisstrafe in Oslo verbüßte, bekam Arafat eben dort den Friedensnobelpreisüberreicht.

Es wird mit zweierlei Maß gemessen

Auch in Afghanistan hat sich gezeigt, dass das westliche Demokratieverständnis auf Interessen beruht, wurde mit Karzai doch ein Präsident etabliert, der durch massive Manipulation und Wahlfälschung an die Macht gekommen ist. Während der Westen in Afghanistan darüber hinweg sieht, wird die Wahl im Iran zum Gegenstand eines politischen Machtkampfes. Es wird im Westen also offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen und es wird deutlich, dass die westliche Wertegemeinschaft ihre eigenen Werte respektlos behandelt und somit die eigene Glaubwürdigkeit leichtfertig aufs Spiel setzt.
Nicht zuletzt dieses Verhalten ist die Ursache dafür, dass die Demonstranten im Iran, die für ihre Freiheit einstehen, von den konservativen Machthabern beschuldigt werden, Handlanger des imperialen Westens zu sein. Verschärft wird die Situation noch durch das Versagen der westlichen Wertegemeinschaft im Umgang mit islamischen Gesellschaften, wie der Skandal um das Gefängnis Abu-Ghraib schonungslos offenbarte.Auch die kontinuierlich hohe Anzahl ziviler Opfer, sogenannte Kollateralschäden, im Rahmen von militärischen Operationen in Afghanistan und im Irak tragen nicht zur Glaubwürdigkeit des Westens bei. Es ist also kein Wunder, dass man im Iran nicht von der Gebundenheit des Westens an Demokratie und Menschenrechte überzeugt ist.
Wenn man die letzten 30 Jahre der Islamischen Republik Revue passieren lässt, werden verschiedene Perioden sichtbar. Es gab konservative Regierungen, wie unter Mussawi, die von Pragmatismus geprägte Amtszeit von Rafsanjani und die quasi-liberale Amtsperiode von Khatami. Gegenwärtig regiert Präsident Ahmadinedschad. Bei der Rückschau wird deutlich, dass alles auf Ahmadinedschad reduziert wird, ohne zu berücksichtigen, dass der Westen in seiner Politik gegenüber dem Iran keine Unterschiede machte, egal wer gerade Präsident war. Es stellt sich die sehr berechtigte Frage, warum der Westen mit dem Iran während der Amtszeit Khatamis keine Lösung der Atomfrage fand, obwohl Khatami weite Zugeständnisse gemacht, Verhandlungsbereitschaft signalisiert und die Atomindustrie stillgelegt hatte. Anstatt die Gelegenheit zu nutzen und den Iran durch Integration einzudämmen, setzte der Westen weiterhin auf Druck und Drohungen gegenüber dem Iran und forderte sogar das Studium der Atomphysik im Iran zu verbieten.

Was will der Westen wirklich?

Deshalb muss sich der Westen die Frage gefallen lassen, was seine wahren Gründe für die Präsenz im Nahen Osten sind oder was man von einer iranischen Regierung, ganz gleich ob konservativ oder reformorientiert, erwartet. Im Prinzip erwartet man eine Regierung, die auf Souveränität verzichtet und das Problem des Westens mit den Fundamentalisten im Iran besteht gerade darin, dass Letztere nicht bereit sind auf ihre Souveränität zu verzichten, während die westliche Welt nicht bereit ist eine souveräne Regierung, die nicht die Interessen des Westens vertritt, im Iran anzuerkennen.
Es geht also nicht um Menschenrechte oder die Atomfrage, wie das Beispiel Pakistan verdeutlicht, sondern vielmehr um die Frage von politischer Souveränität und dem Aufbau einer eigenen Machtdomäne. So toleriert man, dass Pakistan, Indien oder auch Israel im Besitz von Atomwaffen sind, weil es für die Balance of Power nützlich ist oder strategische Vorteile bietet. Zusammengefasst geht es hier also um die strategischen Interessen des Westens und die vermeintlichen westlichen Werte lassen sich darauf reduzieren.

Es geht um die Macht in Eurasien

Die USA und die NATO wollen langfristig im Irak, in Afghanistan und im eben auch im Iran ihre Dominanz erweitern, um die Machterweiterung Chinas und Russlands in Eurasien in Grenzen zu halten. Iran als ehemaliges Mitglied der CENTO, der nach der Revolution die Organisation verlassen hatte, muss sich den westlichen Interessen fügen, unabhängig davon, ob das Land durch eine monarchistische, totalitäre, demokratische oder islamisch-fundamentalistische Regierung geführt wird. Aus dieser Perspektive ist es für den Westen nicht relevant, ob ein vermeintlich liberal gesinnter Khatami oder ein Fundamentalist im Iran regiert, sondern vielmehr, welcher von den Amtsinhabern als Verhandlungspartner in Frage kommt, der darüber hinaus bereit und in der Lage ist, seine Versprechen zu halten.
Realität im Iran ist allerdings, dass dort keine homogenen Strukturen vorhanden sind und somit kein einzelner Entscheidungsträger ohne die Zustimmung anderer Organe verhandeln bzw. Entscheidungen treffen kann. Unter diesen Umständen sollte man in der westlichen Welt von einem iranischen Präsidenten nicht erwarten, dass er Entscheidungen trifft, die die Souveränität des Landes einschränken, wie beispielsweise Zugeständnisse in der Atomfrage. Diese würden vom gegnerischen politischen Lager schonungslos ausgeschlachtet.
Andere Länder haben Wege gefunden, sich der Einflussnahme anderer Staaten zu entziehen. Die massive Migrationspolitik der chinesischen Regierung führte dazu, dass Hundertausende von Hanchinesen in die Provinz Xingjiang umgesiedelt worden sind, ein ähnliches Vorgehen war in der Provinz Tibet zu beobachten. In Konsequenz wurde in diesen Provinzen eine Durchmischung zu Gunsten der Titularnation durchgeführt. So schützt sich die chinesische Regierung vor der Einmischung des Westens in innere Angelegenheiten, was zum Beispiel die Uiguren-Frage angeht.
Russland unterstützt die USA zwar gegenwärtig, indem es seine Infrastruktur für logistische Zwecke zur Verfügung stellt, sieht aber gleichzeitig genüsslich dabei zu, wie die USA in Afghanistan mehr und mehr in einen Guerillakrieg verwickelt werden. Russland beliefert sogar die iranische Regierung mit Waffen bzw. versorgt sie mit Produktionsanlagen und ermöglicht es so den Revolutionswächtern, sich auf einen asymmetrischen Krieg vorzubereiten. Sollten die USA einen Krieg gegen den Iran vom Zaun brechen, würden die Folgen schmerzhafter sein als gegenwärtig im Irak oder in Afghanistan. Falls es nicht zur bewaffneten Auseinandersetzung kommt und die Sanktionen ausgeweitet werden, um den Iran in Schach zu halten, hat dies Konsequenzen für den Öl- und insbesondere den Gasmarkt. Nutznießer dieser Politik ist vor allem Russland, das einen Konkurrenten weniger auf dem europäischen Gasmarkt hat.

Sinn und Unsinn von Sanktionen oder „Make Sure it’s HP“

Es muss allerdings zur Kenntnis genommen werden, dass die iranische Wirtschaft nicht auf Öl und Gas reduziert werden kann. Das Bruttosozialprodukt beträgt gegenwärtig rund 900 Milliarden US-Dollar, wovon weniger als zehn Prozent auf Öl und Gas entfallen.
Die bisherigen Sanktionen führten dazu, dass der Iran ein weltumspannendes Netzwerk von Firmen aufgebaut hat, die die Bedürfnisse des Landes decken, aber auch gleichzeitig die Korruption im Land befördern. 11.000 iranische Firmen sind in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässig, 100 in Karatschi und viele weitere in Istanbul, Malaysia, China, Indonesien, Europa und Amerika. Sie alle dienen nur dem Zweck, die Sanktionen zu umgehen, wobei die Selbstbereicherung iranischer Eliten ein für sie angenehmes Nebenprodukt darstellt.
Die Sanktionen der westlichen Welt fördern und legitimieren also den Bereicherungsprozess der korrupten Elite. Viele Oppositionelle verlangen sogar eine Ausweitung der Sanktionen, ohne das globale Netzwerk des Regimes zu berücksichtigen oder zu überschauen.
Gleichzeitig ist es der Westen selbst, der die verhängten Sanktionen missachtet, wie einige Beispiele verdeutlichen. Während sich die deutsche Bundeskanzlerin in der Öffentlichkeit immer wieder für die Ausweitung der Sanktionen gegenüber dem Iran ausspricht und die jüngste Resolution des Weltsicherheitsrates befürwortet, wurde vor kurzem bekannt, dass eine Arbeitsgruppe der Deutsch-Emiratischen Handelskammer gegründet wurde. Die mittlerweile aufgelöste Arbeitsgruppe sollte Geschäfte deutscher Unternehmen im Iran über die Emirate anbahnen, wie auf der Webseite der Zeitung Die Welt im März dieses Jahres zu lesen war. Es fällt sehr schwer zu glauben, dass die deutsche Bundesregierung nichts von der besagten Arbeitsgruppe wusste, obwohl sie jedwede Kenntnis darüber abstreitet.
Um zu zeigen, dass es auch die US-Unternehmen mit den Sanktionen nicht so genau nehmen, genügt ein Mausklick auf die Internetseite der iranischen Nachrichtenagentur Tabnak. Hier findet sich Werbung des Unternehmens Hewlett-Packard, in der darauf hingewiesen wird, dass man seine Produkte jetzt überall im Iran unter der Web-Adresse „www.hpshopping.ir“ erwerben kann. Auch andere US-Unternehmen verkaufen ihre Produkte in den Iran, wie beispielsweise Caterpillar, Cisco-Systems oder Ashcroft, von Großkonzernen wie Haliburton etc. ganz zu schweigen, die ebenfalls zumindest indirekt im Iran tätig sind.

„Während ausländische Unternehmen für ihre Geschäfte mit dem Iran bestraft werden, bekommen US-Unternehmen stattdessen lukrative Staatsaufträge“

Nach einem Bericht der New York Times bekamen US-Unternehmen öffentliche Aufträge in Höhe von 107 Milliarden US-Dollar, obwohl bekannt ist, dass die jeweiligen Firmen Geschäfte mit dem Iran machen. Dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, könnte offensichtlicher nicht sein. Während ausländische Unternehmen für ihre Geschäfte mit dem Iran bestraft werden, bekommen US-Unternehmen stattdessen lukrative Staatsaufträge.
Weitere Folge der Sanktionen ist, dass die iranische Rüstungsindustrie zu einem gigantischen Sektor gewachsen ist. Rund 75 Prozent der iranischen Wirtschaft ist direkt oder indirekt diesem Komplex zuzuordnen.
Sanktionen verhindern also nicht die militärische Aufrüstung noch stoppen sie das iranische Atomprogramm. Sie liefern dem Regime mehr und mehr Gründe jeden Protest unter dem Deckmantel der 5. Kolonne des Imperialismus zu unterdrücken. Auch Sanktionen gegen die Ölindustrie haben bisher nichts bewirkt. Der Iran hat es in den letzten fünf Jahren verstanden seine petrochemische Industrie zu erweitern und umzustellen, so dass er bereit ist, für den Binnenmarkt Benzin zu produzieren anstatt es zu importieren. Sanktionen können daher keine Lösung für das Iran-Problem sein, sondern es werden nur zusätzliche Probleme dadurch verursacht, die das eigentliche Ziel torpedieren. Doch wie könnte eine akzeptable Lösung aussehen?

2.500 Jahre Zivilisationsgeschichte

Die Lösung der Iran-Frage hat sowohl eine innenpolitische als auch eine außenpolitische Dimension. Innenpolitisch müssten alle politischen Gruppierungen nach einer Lösung suchen, die auf einen Nationalkonsens hinausläuft. Dieser darf nicht von der Regierung diktiert werden und bestehende Verhältnisse perpetuieren, vielmehr muss er Folge eines nationalen Entscheidungsprozesses sein.
Spricht man mit Vertretern der iranischen Regierung, wird man sehr schnell mit der Atomfrage konfrontiert. Falls der Iran die Nutzung der Atomenergie für zivile Zwecke anstrebt, kann dieses Zugeständnis nicht losgelöst von der Menschenrechtsfrage gemacht werden. Denn nicht nur der iranische Staat, auch seine Bürger haben Rechte und es muss ein Ende haben, dass Menschen im Iran von der Staatsmacht verfolgt, verhaftet, erschossen oder vergewaltigt werden.
Dies gilt umso mehr für ein Land, das stolz auf seine 2.500jährige Zivilisationsgeschichte ist. Zivilisation zeigt sich aber nicht nur in monumentalen Bauten, es gilt sie Tag für Tag unter Beweis zu stellen, gerade im Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern, deren Rechte keinesfalls unter dem Vorwand der Staatsräson beschnitten werden dürfen. Viele Iraner befinden sich auf der Flucht bzw. im Zwangsexil und trotzdem wird von ihnen erwartet ein loyaler Staatsbürger zu sein. Der iranische Staat muss anerkennen, dass seine Bürger nicht nur das Recht auf die friedliche Nutzung der Atomenergie haben. Vielmehr muss der iranische Staat, wenn er von seinen Bürgern Loyalität in Bezug auf die Atomfrage erwartet, die Einhaltung von Menschenrechten gewährleisten und zusätzlich anerkennen, dass nicht unbedingt alle Iraner mit der Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik des Regimes einverstanden sind.
Die pluralistische Gesellschaft des Iran besteht nicht nur aus den religiös motivierten Anhängern der Regierung. Es gibt zahlreiche Individuen die sich für eine ausgewogene Innen- und Außenpolitik einsetzen, die im Einklang mit der Verwirklichung von Menschenrechten steht. Die gegenwärtige iranische Regierung muss auch zur Kenntnis nehmen, dass ihre antiisraelische Politik nicht von allen Bürgern getragen wird. Sie muss sich verpflichten, internationale Maßstäbe einzuhalten und souveräne Staaten anzuerkennen. Das bedeutet nicht, dass jede Aktion Israels unter dem Deckmantel der Souveränität toleriert werden sollte. Auch Israel ist aufgefordert die Frage der Menschenrechte in die Regionalpolitik mit einzubeziehen, wenn es nicht weiterhin mit seinen Nachbarn in einem dauerhaften Kriegszustand leben will. Die sture Politik Israels führt nur dazu, dass sich muslimische Staatsbürger mit ihren totalitären Regierungen solidarisieren, anstatt sie in Frage zu stellen, während die liberalen Bürger muslimischer Länder um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie sich für die Rechte Israels aussprechen. Die jüngsten Ereignisse im Südlibanon und im Gaza-Streifen haben gezeigt, dass Israel umdenken muss, da seine auf Militär gestützte Politik in der Region keine Zukunft hat.

Ajatollah Khomeini hat die internationalen Medien als Sprachrohr genutzt

Darüber hinaus kann man nicht alle modernen Kommunikationsmittel und den Informationsaustausch im Iran blockieren und von der Bevölkerung verlangen, dass sie Bilderbuchmoslems sind, damit sie überhaupt atmen können. In dem Moment, in dem iranische Bürger mit ausländischen Medien oder Einrichtungen zusammenarbeiten, werden sie zu Verrätern und Handlangern des Imperialismus erklärt. Falls die Nutzung westlicher Medien bzw. Infrastruktur der falsche Weg sein soll, warum hat dann Ajatollah Khomeini seinerzeit in Paris die internationalen Medien als Sprachrohr genutzt?Wenn es als legitimes Mittel genutzt wurde, um eine antimonarchistische Revolution durchzuführen ist es auch jetzt ein legitimes Mittel, um gegen die Entrechtung im Land zu kämpfen.
Wenn sich das System nicht ändert, Druck und Vetternwirtschaftkein Ende haben, wird es kollabieren. Erste Anzeichen waren schon zu erkennen. Millionen von Menschen sind auf die Straße gegangen, um gegen das Regime zu protestieren, aber auch auf der anderen Seite haben sich Millionen Menschen versammelt, um zu zeigen, dass sie dem System loyal gegenüberstehen. Die Demonstrationen von Regimegegnern und Befürwortern zeigen, dass sich eine Spaltung der iranischen Gesellschaft quer durch alle Schichten vollzogen hat.

Nationalkonsens aus dem Dialog

Unter diesen Umständen einen Nationalkonsens herbeiführen zu wollen, bedeutet einen Dialog zu führen, in dem es neben reden vor allem auch um zuhören gehen muss. Diese Bereitschaft ist im Land nicht vorhanden. Gewaltbereite radikale Gruppen verhindern einen gesellschaftlichen Dialog und damit einen Nationalkonsens.
Falls ein friedlicher Systemwechsel vollzogen werden soll, der politisch akzeptable Rahmenbedingungen für die iranische Bevölkerung beinhaltet, wird ein neuer De Klerk benötigt. Dies kann sogar Mussawi sein, wenn er nicht weiter zu seiner Vergangenheit schweigt und damit Zweifel an seiner Integrität aufkommen lässt. Darüber hinaus muss er wirkliche Reformen wagen, die den Verfassungsrahmen sprengen, um tatsächlich Veränderungen im Land herbeizuführen.
Was die westlich Welt betrifft, muss von den Politikern verlangt werden, dass sie den Iran nicht auf die Atomfrage reduziert, ist sie doch eine der wenige Fragen, die in der iranischen Bevölkerung weitestgehend unumstritten ist. Vielmehr müssen auch Demokratie und Menschenrechte ganz oben auf der Agenda stehen, wenn mit dem Iran auf höchster Ebene verhandelt wird.

Internationale Banken müssen die Konten der Machthaber offenlegen

Außerdem reicht es nicht aus, wenn Organisationen wie Transparency International Listen herausgeben, die belegen sollen, wie weit die Korruption im Iran verbreitet ist. Stattdessen sind die internationalen Banken aufgefordert, die Konten der Machthaber offenzulegen, um der iranischen Bevölkerung ganz plastisch zu zeigen, dass ihr Staat von der „islamischen“ Elite ausgeplündert wird.
Die westliche Welt muss des Weiteren glaubhaft machen, dass man mit dem Iran nicht einen Verhandlungspartner sucht, der die Interessen des Westens vertritt, sondern einen Partner, der die politischen Prinzipen des Westens akzeptiert, wie demokratische Grund- und Menschenrechte, dabei aber gleichzeitig nationale Interessen verteidigt. Ein Karzai oder Allawi wäre keine Lösung für den Iran.
Darüber hinaus muss der Westen seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. Die tolerierte Wahlfälschung in Afghanistan oder die Geschehnisse im irakischen Gefängnis Abu Ghraib haben dem Ansehen des Westens massiv geschadet. Welcher iranische Demokrat wünscht sich, dass im Iran der gleiche Job wie im Irak erledigt oder eine Marionette wie Karzai etabliert wird?

Ein konventioneller Krieg gegen den Iran ist nicht zu gewinnen

Die Fortführung der Politik des Ermahnens und Drohens gegenüber dem Iran ist zum Scheitern verurteilt, insbesondere wenn sie zum Ausbruch eines Krieges führen sollte. Ein konventioneller Krieg gegen den Iran ist nicht zu gewinnen, er würde nur zu hohen Verlusten bei allen Beteiligten führen sowie China und Russland bzw. die Schanghaier Gruppe stärken.
Afghanistan hat gezeigt, dass eine militärische Auseinandersetzung nicht notwendiger weise Erfolg verspricht. Vor nunmehr fast neun Jahren sind die alliierten Truppen in Afghanistan einmarschiert, um die Taliban zu vertreiben. Jetzt wird versucht mit den Taliban zu verhandeln. Will man den Iran militärisch bezwingen, bliebe als letztes Mittel nur ein atomarer Schlag. Entscheidet man sich vernünftigerweise dagegen, bleibt nur den Iran mittels Integration einzudämmen und ihm einen Platz an der Seite der westlichen Staatengemeinschaft anzubieten, um Probleme auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln.

Iran

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