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LAOS
Von Wilfried Arz | 25.01.2015
Megaprojekte gelten als Symbole und Hoffnungsträger wirtschaftlicher Entwicklung. Bodenschätze und Waldressourcen haben Laos das Etikett einer Schatzkammer Südostasiens verliehen. Wasserkraftpotential des kleinen Landes könnte Thailand und ganz Indochina mit Energie versorgen. Laos als Batterie Südostasiens? Verkehrs- und Wirtschaftskorridore sollen Chinas Südwesten mit dem Indischen Ozean verbinden und Südostasiens Festland durchqueren. Laos als neue Drehscheibe Südostasiens? Es herrscht Aufbruchstimmung am Mekong. Doch regt sich zunehmend Widerstand gegen heikle Entwicklungspläne im marxistisch regierten Laos.
Vier Jahrzehnte nach seiner Staatsgründung (1975) drücken das Land drei Problemkreise: Interessenkonflikte zwischen Laoten und Minderheiten, Entwicklungsunterschiede zwischen Nord und Süd, sowie Kompetenzgerangel zwischen Zentralregierung und Provinzen. Tiefland-Laoten mit rund 60 Prozent Bevölkerungsanteil bekleiden Schlüsselstellungen im Staatsapparat, Minderheiten gelten als Modernisierungsverlierer. Wirtschaftlich ist der Süden besser aufgestellt als der Norden: im Süden konzentrieren sich Bevölkerungsmehrheit, ergiebige Reisanbaugebiete und exportfähige Rohstoffvorkommen. Entwicklungsfortschritte haben zudem Provinzpolitiker mit neuer Machtfülle ausgestattet und sorgen für Spannungen mit Vientiane.
Regionale Wirtschaftsinteressen werfen begehrliche Blicke auf das kleine Laos. Japans Wirtschaftskonzerne nutzen Südostasien als global vernetzten Produktionsstandort. Auch China strebt nach Ankoppelung Südostasiens an seinen Wirtschaftsraum (als Rohstofflieferant, Absatzmarkt und Transitkorridor) und finanziert deshalb Milliarden-Infrastrukturprojekte. Zwei Verkehrs- und Wirtschaftskorridore queren Festland-Südostasien (Greater Mekong Subregion GMS) und kreuzen sich in der Volksdemokratischen Republik Laos.
Ein Ost-West-Korridor zwischen Myanmar, Thailand, Laos und Vietnam verschafft Savannakhet in Laos Anbindung zum Tiefseehafen Danang/Vietnam. Ein Nord-Süd-Korridor soll Chinas Provinz Yunnan im Norden mit Thailand, Malaysia und Singapur im Süden verbinden und ebenfalls durch Laos führen. Konsequenzen für den Binnenstaat könnten einschneidender nicht sein: mit der neu zugedachten Rolle als Transitkorridor rücken laotische Waldressourcen, Rohstoffe und Energiepotential noch stärker in den Fokus seiner energie- und rohstoffhungrigen Nachbarn Thailand, Vietnam und China.
Südostasiens Entwicklungspläne (Verkehrs- und Wirtschaftskorridore, Sonderwirtschaftszonen, Tiefseehäfen) weisen Laos eine grundlegend neue geoökonomische Rolle zu. Die erforderliche Neukonfiguration des Landes konzipierten internationale Finanzorganisationen (Weltbank, Asiatische Entwicklungsbank ADB), Umweltverbände (WWF, IUCN) sorgten für ökologische Flankierung. Ausländische Experten diktieren entwicklungspolitische Diskurse und formulieren nationale Entwicklungsziele mit neuen Spielregeln (investorenfreundliche Gesetze!). Alternative entwicklungspolitische Optionen stehen für die marxistische Regierung in Vientiane faktisch nicht (mehr) zur Disposition. In diesem Kontext bekommen auch Perspektiven politischer Macht im Zeichen von Hammer und Sichel erste Risse.
Laos bildet in jeder Hinsicht das Schlusslicht aller ASEAN-Staaten Südostasiens. Laos ist klein (237.000 Quadratkilometer) und schwach besiedelt (6,7 Millionen Einwohner). Seine Wirtschaftsleistung bewegt sich auf bescheidenem Niveau: das Bruttoinlandprodukt beträgt nur rund acht Milliarden US-Dollar (2012). Lange galt Laos als isolierter Binnenstaat mit einer volkswirtschaftlich schmalen Basis. Perspektiven des laotischen Entwicklungspotentials sind inzwischen revidiert worden: Holzressourcen, Rohstoffe (Kupfer, Bauxit, Gold) und Wasserkraft versprechen nun wirtschaftlichen Aufschwung. Als ergiebige Einnahmequelle nutzt Laos schon seit Jahren Energieexporte ins benachbarte Thailand. Weitere Staudämme sind in Planung und sollen die chronisch klammen Kassen der Regierung in Vientiane füllen.
Staudammprojekte verschlingen hohe Investitionskosten und erfordern technisches Know-how. Über beides verfügt Laos nicht. Doch bietet das Nachbarland Thailand komplette Paketlösungen: Standortsuche, Finanzierung, Konstruktion und Betrieb von Wasserkraftwerken jeder Größenordnung. Thailand garantiert auch langfristige Abnahme laotischer Energie. Das Potential an Wasserkraft in Laos wird auf insgesamt rund 25.000 Megawatt geschätzt. Thailands Unternehmen (Bauwirtschaft, Banken, Energieversorger) erfreuen sich in Laos guter Geschäfte. Soziale und ökologische Schattenseiten der Energieprojekte wurden lange kaum thematisiert. Inzwischen üben internationale Umweltverbände scharfe Kritik an Staudammplänen in Laos.
Kritik richtet sich in erster Linie gegen die Zerstörung von Ökosystemen und Lebensgrundlagen sowie Umsiedlungsaktionen ohne ausreichende Kompensation für betroffene Bevölkerungsgruppen. Einnahmen aus Stromexporten kommen zudem nicht der Armutsbekämpfung im Land zugute. Wasserkraftprojekte wurden bislang an Mekong-Nebenflüssen gebaut. Neue Mega-Staudämme (so der Xayaburi-Damm südlich von Luang Prabang mit 1.280 Megawatt Leistung und 3,5 Milliarden US-Dollar Kosten) werden nun auf den Hauptstrom gesetzt und schaffen grenzüberschreitende Konflikte mit den Mekong-Unteranliegern Kambodscha und Vietnam. Phnom Penh und Hanoi befürchten ökologische Probleme in ihren Ländern. Kontroverse Energieprojekte überschatten Indochinas nachbarschaftliche Beziehungen.
Kambodscha fürchtet um das komplexe Ökosystem seines Tonle-See. Dieser dient den Mekong-Wassermassen in der sommerlichen Monsunzeit als Rückstaubecken. Im jährlichen Rhythmus vergrößert sich die Tonle-Seefläche von rund 5.000 (zum Ende der Trockenzeit im April/Mai) auf rund 15.000 Quadratkilometer (zum Ende der Regenzeit im November). Südostasiens größter und fischreicher Süßwasser-See dient der kambodschanischen Bevölkerung als Proteinquelle. Lao-Staudämme verändern jedoch Mekong-Flutzyklen und fördern eine Versandung des Tonle-See und damit den Rückgang seiner immensen Fischbestände.
Vietnam sorgt sich um sein Mekong-Delta (rund 40.000 Quadratkilometer), dem bedeutendsten Reisanbaugebiet des Landes. Vietnam exportiert über 6 Millionen Reis/Jahr, der im Mekong-Delta Südvietnams wächst. Regelmäßige Zufuhr von Wasser und Sedimentstoffen sind für die Reisproduktion in der flachen Deltaregion unverzichtbar. Eingriffe in das Mekong-Ökosystem können ein tieferes Eindringen salzhaltigen Meerwassers ins Delta bewirken und den Reisanbau gefährden. Hanois Kritik an Energieprojekten in Laos verschweigt: Vietnam baut selbst in Laos und Kambodscha Staudämme, die ökologisch als problematisch bewertet werden!
Kritik an Lao-Staudämmen richtet sich fast ausschließlich gegen das marxistische Regime in Vientiane. Thailands Ressourcenausbeutung seines Nachbarlandes Laos ist kein Thema. Energieprojekte (Wasser, Kohle, Kernenergie) scheitern in Thailand seit Jahren an massivem Widerstand und bleiben dort wohl auch in Zukunft politisch nicht durchsetzbar. Thailand deckt seinen Energiebedarf deshalb durch Importe aus Myanmar (Erdgas) und Laos (Strom aus Wasserkraft). Thailands staatlicher Energieversorger EGAT überweist für Erdgasimporte rund eine Milliarde US-Dollar/Jahr ins Nachbarland.
Auffälliger Weise üben Umweltverbände nur selten Kritik an Thailands Wirtschaft, die sich in Hochglanzbroschüren sozial verantwortungsbewusster Unternehmenspolitik verpflichtet und dennoch umstrittene Energieprojekte in Laos realisiert. Keine Kritik an Thailands Baufirmen Ch. Karnchang und Italian-Thai Development in Bangkok. Kein Druck auf Banken in Thailand (Bangkok Bank, Kasikorn Bank, Krungthai Bank, Siam Commercial Bank), Japan, Australien und Europa, die laotische Staudämme mit Milliarden-Krediten finanzieren.
Ebenfalls kritische Bewertungen erfährt Chinas zunehmender Einfluss in Laos. Mit insgesamt rund 5,2 Milliarden US-Dollar hat sich China seit 2013 als größter Investor in Laos positioniert. Wirtschaftliches Engagement konzentriert sich im Norden des Landes. Chinas Unternehmen pachten dort langfristig riesige Waldflächen: weiträumiger Abholzung folgen Kautschuk- und Bananen-Monokulturen. Im Goldenen Dreieck entstand ein Spielkasino-Komplex. Inzwischen liegen auch zwei Bergbauprojekte (Kupfer, Gold) im Süden in chinesischer Hand. Zuwanderer aus China sorgen zudem für Spannungen mit der laotischen Bevölkerung.
Für China spielt Laos die Rolle eines (kleinen) Mosaiksteins im regionalen Puzzle Südostasiens. China pflegt mit allen ASEAN-Ländern enge Wirtschaftsbeziehungen. Handel und Investitionen verlangen eine moderne Infrastruktur. Beijings Verkehrsplaner wollen Chinas Südwesten mit dem Indischen Ozean verbinden. Seit Jahren führt bereits die Straße No. 3 von Jinghong/ Yunnan durch Laos nach Thailand. Ein weiteres Mega-Projekt soll eine 400 Kilometer lange Schienenverbindung zwischen Yunnan und Vientiane herstellen. Kosten: rund 7,2 Milliarden US-Dollar. Schnellzüge werden dann von China bis nach Singapur durchfahren können.
Mit Vietnam verbindet Laos ein besonders enges Verhältnis. Langjährige Waffenbrüderschaft im Indochina-Krieg und nachfolgende Vietnamisierung von Politik und Wirtschaft haben Hanoi am Mekong großen Einfluss verschafft. Nach 1975 nahmen die politischen Eliten beider Länder gemeinsam sozialistische Experimente in Angriff, die zeitgleich (1986) revidiert wurden und in einer Neuausrichtung der Wirtschaftsmodelle mündeten.
Vietnam liegt heute als Investor nur knapp hinter China an zweiter Stelle, Wirtschaftsprojekte konzentrieren sich in Süd-Laos: auch dort systematischer Raubbau an Wäldern und Pflanzungen von Kautschuk-Plantagen, die mit Vertreibungen lokaler Bauern verbunden sind. Vietnam erlöst über 5 Milliarden US-Dollar mit Möbelexporten (2013) - dank massiver Holzimporte aus dem (noch) waldreichen Laos. An laotischer Energie ist Hanoi sehr interessiert: Hochspannungsleitungen liefern bereits Strom nach Danang und Pleiku.
Muss Vietnam um seinen jahrzehntelangen privilegierten Einfluss in Laos fürchten? Den anstehenden Generationswechsel im laotischen Staatsapparat hofft Beijing nutzen zu können, wirtschaftliches Engagement auch in größeren politischen Einfluss am Mekong umzumünzen. Laotische Revolutionsveteranen des Indochina-Krieges verlassen die politische Bühne, neue Gesichter bestimmen zunehmend das Regierungsprofil in Vientiane. Nachrückende Parteikader werden die enge (ideologische!) Verbundenheit der ersten Führungsgeneration mit Vietnam durch sentimentalitätsfreie Einstellungen ersetzen. Der Notwendigkeit einer ausgleichenden Außenpolitik gegenüber den beiden Rivalen Vietnam und China dürfte dies zugutekommen.
Der Auftakt zum überfälligen Generationswechsel an der Parteispitze war bereits 2006 auf dem 8. Parteikongress mit der Ernennung von Bouasone Bouphavanh (damals 52-jährig) zum neuen Regierungschef vollzogen worden. Ohne revolutionäre Kampferfahrung im Indochinakrieg hatte dieser nicht in Hanoi, sondern in Moskau studiert. Als Reformer vermochte sich Bouasone allerdings nicht zu profilieren. Seine überraschende Entmachtung im Dezember 2010 führte zur Amtsübergabe an den damals bereits 67-jährigen konservativen Partei-Ideologen Thongsing Thammavong, stand jedoch ganz im Zeichen des Aufrückens jüngerer Parteikader ins 11-köpfige Politbüro. Politische Schlüsselpositionen werden ab 2016 (10. Parteikongress) wohl endgültig von Vertretern einer jüngeren Führungsriege bekleidet werden.
Personelle Neubesetzungen auch im Lao-Militär. Offiziersausbildungen haben sich von Vietnam nach Russland und China verlagert. Die sicherheitspolitische Bedeutung des Militärs ist deutlich gesunken. Dafür nutzen Militärangehörige unkontrollierten Raubbau und illegalen Export von Holzressourcen ins benachbarte Vietnam zur persönlichen Bereicherung. Im Mai 2014 kam bei einem Flugzeugabsturz Verteidigungsminister Douangchay Phichit (69) ums Leben. Douangchay, seit 2001 Verteidigungsminister (zudem Politbüro-Mitglied und Vize-Regierungschef), zählte zum engsten Führungszirkel und galt (trotz seines Alters) als Aufsteiger im Staatsapparat. Neubesetzungen im Verteidigungsressort und anderen Ministerien unterstreichen den Trend in Richtung Generationswechsel.
Südostasiens Neuausrichtung seiner Handelsströme auf den Wirtschaftsraum China hat zu einem relativen Bedeutungsverlust der Absatzmärkte USA und EU geführt. Laos kann und will sich diesen neuen Entwicklungen nicht entziehen. Nach Rückzug der Sowjetunion wurde das Land vorübergehend vom Westen finanziert. Inzwischen dominieren China, Vietnam und Thailand Investitionen und Handel mit Laos. Wie im 19. Jahrhundert unter Frankreichs Kolonialherrschaft ist Laos heute Objekt seiner wirtschaftlich starken Nachbarn.
Die in Vientiane regierenden Marxisten stehen unter Druck. Kontroverse Energieprojekte am Mekong rücken Laos in den Fokus regionaler und internationaler Kritik. Der Westen fordert politische Reformen. Laos konnte sich diesem Druck bislang durch enge Beziehungen zu Vietnam und China entziehen. Jenseits ihrer Rivalität in Laos sind Hanoi und Beijing an einem pro-westlichen Regimewechsel in Vientiane nicht interessiert. Noch flattern am Mekong rote Fahnen mit Hammer und Sichel neben der laotischen Nationalflagge. Südostasiens Boom hat in Laos für wirtschaftliche Impulse gesorgt. Viele hoffen nun auf frischen Wind auch in der Politik.
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Wilfried Arz ist Politikwissenschaftler in Bangkok/Thailand.
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