09.08.2023 13:11:56
RUSSLAND
Von Kristin Brueggemann
Nachdem nun der Sotschi- Effekt verpufft ist, stellt sich heraus: für die Rechte von Schwulen und Lesben in Russland hat sich nichts Wesentliches verändert. |
ie auch immer man sich in der Kontroverse um Russland als Austragungsort der Olympischen Spiele positionierte, eines hat sie zumindest bewirkt: Russland war dadurch lange vor der Krim-Krise in aller Munde. Auf sämtlichen Medienkanälen wurden wir zugeschüttet mit (oft vermeintlichen) Skandalen und Enthüllungen von „hinter der Olympia-Fassade“. Die westlichen Medien berichteten über einen eingeschlafenen Medwedew auf der Eröffnungsfeier und über eine Doppeltoilette als Beweis für die wuchernde Korruption. Der deutsche BILD- Leser konnte mal so richtig herzhaft lachen über abgebrochene Türgriffe, die unser TÜV so niemals abgenommen hätte.
Und in puncto Menschenrechte konnten die Russen auch noch was von den Deutschen lernen. Das schwarz-weiß Schema in den meisten Berichten war denn auch eingängig: In Deutschland gibt es keine Homophobie, in Russland schon. Unser westlicher Überlegenheitsrausch wurde auch nicht getrübt durch den Anblick von hetzenden Schwaben, die gerade gegen „sexuelle Vielfalt“ im Bildungsplan protestierte: In puncto Verdrängung macht den Deutschen so schnell keiner was vor.
Was wirklich nachdenklich macht, ist Folgendes: Nachdem das Journalistenheer die Stadt verlassen hatte und die Empörungswelle abgeklungen war, würde die LGBT- Szene außerhalb von Sotschi kaum etwas gewonnen haben. Schnell erzeugte Aufmerksamkeit alleine bewirkt eben noch keine Veränderungen.
Sind wir noch mitten im Kalten Krieg oder warum bereitet es westlichen Journalisten so viel Freude, hämisch Bilder von Hotel- Pannen zu twittern? Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier viel Schadenfreude mitschwang. Anstatt einem journalistischen Aufklärungsauftrag auch nur ansatzweise nachzukommen und kluge Hintergrundberichte zu verfassen, kratzten viele Artikel an der Oberfläche oder wateten im Sumpf der Banalitäten.
Die FAZ schrieb zum Beispiel über den schwulen Eiskunstläufer Johnny Weir und wie wohl der sich in Sotschi fühle. Schade, dass wir nicht erfahren durften, ob Johnny Weir sich mal mit russischen Schwulen unterhalten hat. Stattdessen lasen wir, wie viele tolle Frisuren der Amerikaner vor den internationalen Kameras zur Schau stellte.
Schön, dass die ZEIT und die Welt immerhin festgestellt haben, dass es in Sotschi zwei Schwulenclubs gibt und man vor Ort eigentlich kaum Material fände, um das Bild über das böse, homophobe Russland zu bestätigen. In der Tourismusmetropole herrschten Las-Vegas ähnliche Zustände- in den zwei Schwulenclubs der Stadt könnten Homosexuelle tun und lassen, was sie wollten. Natürlich nur in der geschützten Atmosphäre der Clubs, nicht in der Öffentlichkeit.
Schlimmer wurde es dann allerdings, als das Russland- Bashing den moralischen Zeigefinger erhob und den Russen eine Lektion zum Thema Menschenrechte erteilen wollte. Die Diskussion, die um das sog. „Anti-Homosexuellen-Gesetz“ entbrannte, hat leider in vielen Medien zu einer eurozentrischen und undifferenzierten Empörungswelle geführt. Anstatt an den mühsamen Weg der Schwulenbewegung in Europa zu erinnern und daran, dass der Parapgraph 175 in (West-)Deutschland erst nach der Wende abgeschafft wurde, gaben sich deutsche Journalisten tief verwurzelten, jahrhundertealten antirussischen Ressentiments hin.
ZEIT-Journalist Steffen Dobbert wollte die Antwort seines Gesprächspartners, des Betreibers des Schwulenclubs „Majak“ in Sotschi, scheinbar nicht akzeptieren. Als Schwuler müsse er unter dem „Anti-Homosexuellen-Gesetz“ doch furchtbar leiden. Kochagow antwortete mit einem Argument, das eine Abgeklärtheit, ein Gefühl von Misstrauen in der russischen Gesellschaft auf den Punkt brachte: In der russischen Gesellschaft gäbe es generell weniger Toleranz für Minderheiten als in Europa.
Diese Aussage weist vielleicht auf den Kern des Missverständnisses hin- dass man dieses Thema nicht isoliert im Rahmen von Sportberichterstattung mal so eben „mitnehmen“ kann. Ein so emotionales und intimes Thema wie sexuelle Orientierung kann niemals losgelöst von dem Wertesystem einer Gesellschaft betrachtet werden. Von allen Menschenrechtsthemen ist es mit Abstand das „heißeste Eisen“.
Ich hatte die Möglichkeit, mir einen tiefen Einblick in die russische NGO-Szene zu verschaffen, als ich 2009 im Rahmen einer Feldforschung mit 16 Aktivisten in St. Petersburg und Moskau aus den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern gesprochen habe. Immer wieder habe ich dabei auch die Frage nach den LGBT-Rechten gestellt. Es war keine Überraschung, dass die ältere Dissidentengeneration das Thema manchmal etwas unwirsch zur Seite geschoben hat. Ja, wir stellen „denen“ unsere Räume zur Verfügung. Aber deren Themen interessieren uns nicht besonders. Selbst unter Menschenrechtlern werden LGBT-Aktivisten mit spitzen Fingern angefasst, wie die Schmuddelkinder der Szene.
Die jüngeren Aktivisten sind da schon aufgeschlossener und vernetzen sich eher mit Schwulen und Lesben. Das Hauptproblem für die Aktivisten – und damit auch für das Fortkommen ihrer Bewegung– ist ihre fehlende Legalität und die daraus resultierende mangelnde Professionalität.
Nuar Netschaew von der Gruppe LGBT Rights Moskau berichtet, dass sie bei öffentlichen Aktionen einen Decknamen für ihre Organisation benutzen. Wenn sie offen als LGBT-Organisation auftreten würden, könnten sie keine öffentlichen Räume mieten. Sogar bei liberalen Menschenrechtsorganisationen wie Memorial hätten sie Probleme gehabt, Räume anzumieten, sagt die Aktivistin: „Also, wenn die Aktion von ‚Menschliche Würde‘ kommt, gilt sie als gut. Aber wenn dieselbe Aktion von LGBT Rights kommt, gilt sie als schlecht. Das ist diese Form der Homophobie wenn die Leute dir sagen, dass du alles ganz leise machen sollst.“
Ihr Mitstreiter Slawa spricht über die alltäglichen Probleme, mit denen die meisten Schwulen in Russland irgendwann konfrontiert werden: „Schwule in Russland haben ein höheres Risiko als andere Gruppen, drogen- oder alkoholabhängig zu werden, weil sie unter größerem Stress stehen. Wir leben ein Leben in Verschlossenheit, in ständiger Sorge.“ Für lesbische Paare sei die Gefahr am größten, in Armut abzurutschen. Die Lohnunterschiede zwischen Männer und Frauen seien auch deshalb immer noch so hoch, weil das heterosexuelle Familienmodell noch nie in Frage gestellt worden wäre.
In der westlichen Berichterstattung und auch in den russischen Medien steht oft die physische, direkte Gewalt gegenüber Homosexuellen im Vordergrund. Doch es gibt auch die indirekte, strukturelle Gewalt. Slawa berichtet: „Wenn man als Homosexueller zum Arzt geht, bekommt man oft zu hören, dass man selbst schuld ist, dass man krank ist. Homosexualität wird als Krankheit bezeichnet. Schwule werden zum Beispiel oft nicht dort untersucht, wo Infektionen auftreten könnten, weil die Ärzte sich weigern. Aber nicht jeder kann für die
medizinische Versorgung privat bezahlen.“
Mit ihrer Arbeit wollen die beiden Aktivisten dieses Problem direkt angehen und juristische Beratung anbieten. Wenn Ärzte die Behandlung verweigern, wenn Vermieter sich weigern an schwule Paare zu vermieten. Sie wollen Präzedenzfälle schaffen, vor Gericht ziehen, ihre von der Verfassung garantierten Rechte durchsetzen.
Es wäre spannend gewesen zu erfahren, wo Nuar und Slawa nun fünf Jahre später mit ihren Bemühungen stehen. Ob sich das neue Gesetz auf ihre Bewegung ausgewirkt hat. Schade, dass wir einen ähnlichen Bericht vergeblich in der deutschen Presse gesucht haben. Immerhin streifte die taz dieses Thema, als LGBT- Aktivisten zum Sotschi- Boykott aufriefen. Die russische Journalistin und Aktivistin Masha Gessen stellte vor allem die russische Regierung an den Pranger, nicht die 88 Prozent der Russen, die das Gesetz nach offiziellen Regierungsstatistiken angeblich befürworten: „Der Kern dieser Gesetze liegt nicht in einer tiefen Homophobie des russischen Volkes, sondern im faschistischen Wesen der amtierenden Machthaber“.
Ähnlich argumentiert Dmitrij Makarow, ein Aktivist der jungen Menschenrechtsorganisation „Youth Human Rights Movement“. In unserem Interview liefert er eine treffsichere Analyse der Logik des „Putinismus’“ und beschreibt, wie sehr das System der Vetternwirtschaft die Menschen schon korrumpiert habe: „Diese Aufteilung in ‚seine Eigenen’ und ‚die Fremden’, die ist sehr krass sichtbar und manchmal einfach ungeheuerlich. ‚Die Eigenen’ (die, die zum System dazugehören, sind Polizisten, Rechtsschützer, Beamten, der Geheimdienst) muss man schützen, auch wenn sie die hässlichsten Dinge getan haben. Darauf stützt sich der ‚Putinismus’, den wir lange nicht totkriegen werden. Das ist kein totalitäres Regime, das auf einer Ideologie basiert, sondern das ist ein Clan, ein halbes Gangstersystem mit einer strikten Trennung zwischen ‚den Eigenen’ und ‚den Fremden’“.
Eine solch kluge Ursachenanalyse, ein fundierter - geschweige denn gut recherchierter - Hintergrundbericht war in der allgemeinen Sportberichterstattung leider die Ausnahme. Die russischen Medien hingegen haben die westliche Berichterstattung über Sotschi mit Argusaugen beobachtet und ganz genau analysiert. So kritisierte Radio Svoboda die einseitige Zuspitzung der Berichte auf Putin, anstatt den Bürgermeister Sotschis, den Gouverneur oder andere Lokalpolitiker zu porträtieren.
Sotschi wäre die einmalige Gelegenheit für westliche Journalisten gewesen, ein differenziertes Bild von Russland zu gewinnen. Stattdessen hielten sich von Ressentiments geprägte Feindbilder aus dem Kalten Krieg hartnäckig. Mit dieser Haltung kann man nicht in den Dialog gehen, mit so einer Haltung kann man auch nicht glaubwürdig Menschenrechte einfordern. Schon gar nicht bei so einem sensiblen Thema wie LGBT-Rechten.
*
Kristin Brüggemann hat Politikwissenschaft, Osteuropastudien und Journalistik an der Universität Hamburg studiert. Sie hat ihre Abschlussarbeit zum Thema „Strategien zivilgesellschaftlicher Akteure in Russland“ geschrieben und die letzten zwei Jahre als Lektorin der Robert Bosch Stiftung an der Polytechnischen Universität Tomsk gearbeitet.
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