Nein zum unabhängigen KosovoRUMÄNIEN

Nein zum unabhängigen Kosovo

Rumäniens Nicht-Anerkennung eines unabhängigen Kosovo gibt einige Rätsel auf. Wie die anderen Kosovo-skeptischen Länder will Rumänien die Schaffung eines Präzedenzfalls verhindern. Aber warum eigentlich? Die ungarische Minderheit in Siebenbürgen, deren separatistische Tendenzen hauptsächlich als Grund für die Abwehrhaltung Bukarests angeführt werden, ist weit von jeglichen ernsthaften Bemühungen um Autonomie entfernt. Hinter den Kulissen spielt eine Reihe anderer Gründe eine Rolle.

Von Jakob Horstmann

I n Rumänien stiftet der Kosovo Frieden. So einig wie in ihrer ablehnenden Reaktion auf die Unabhängigkeitserklärung Kosovos war sich die rumänische Politik lange nicht. Staatspräsident Traian Basescu und Premierminister Calin Popescu-Tariceanu, seit Ewigkeiten heillos zerstritten, stimmen plötzlich genauso überein wie die Parteien aus Regierung und Opposition, seien es Liberale, Sozialdemokraten oder Rechtsextreme. Alle betonen sie unisono, dass mit dem Kosovo keineswegs ein Präzedenzfall geschaffen worden sei und – da liegt des Pudels Kern – dass die Lage der ungarischen Minderheit in Rumänien nicht mit der im Kosovo verglichen werden kann.

Auf der anderen Seite des Grabens stehen einsam die politischen Vertreter eben dieser ungarischen Minderheit. Sofort nach der Unabhängigkeitserklärung in Prishtina Mitte Februar hatten sie sich lautstark zu Wort gemeldet. Ausdrücklich begrüßten sie die Unabhängigkeit des Kosovo. Die größte Partei der ungarischen Minderheit, der in der Regierung vertretene Demokratische Ungarnverband (UDMR), sprach ausdrücklich von einem Präzedenzfall und ließ die Staaten Europas wissen, dass sie sich „nun auch anderen ungelösten ethnischen Problemen widmen müssen“. Die Ungarische Bürgerunion (UCM), die Partei des von den Anfängen der 1989-er Revolution berühmten Pfarrers und jetzigen EU-Parlamentariers Laszlo Tökes, rief die rumänischen Ungarn dazu auf, als Zeichen ihrer Solidarität mit der kosovarischen Bevölkerung Kerzen in die Fenster zu stellen. Der Nationale Szeklerrat (CNS) redete gleich Klartext: Das Szeklerland müsse jetzt von den USA und der EU in seinen Autonomiebemühungen unterstützt werden.

„Der Fall der Szekler fristet im europäischen Bewusstsein eher ein Schattendasein“

Welches Land bitte? Im Gegensatz zu den leidlich bekannten ethnischen Minderheiten in anderen Kosovo-skeptischen Ländern wie Spanien oder Zypern fristet der Fall der Szekler im europäischen Bewusstsein eher ein Schattendasein. Das Szeklerland im Osten Siebenbürgens ist eine historische Region von der Größe Kosovos, in der seit dem Mittelalter die magyarische Volksgruppe der Szekler leben. Zu kommunistischen Zeiten gab es dort ab 1952 eine „Autonome Ungarische Region“, die mit der Einführung einer neuen Verwaltungsstruktur 1968 aufgehoben wurde. Heute belegen die rumänischen Verwaltungskreise Harghita und Covasna den größten Teil des historischen Szeklerlandes. Gemäß der letzten Bevölkerungszählung von 2002 leben dort etwas mehr als eine Million Menschen, von denen gut 79 Prozent ungarisch sprechen. Von der Landfläche und den ethnischen Zahlenverhältnissen her ist das Szeklerland durchaus mit dem Kosovo vergleichbar.

Im Hinblick auf sein Konfliktpotenzial aber spielt das Szeklerland bei Weitem nicht in derselben Liga wie das Kosovo. Gewaltsame Ausschreitungen gab es dort seit der Zugehörigkeit zu Rumänien ab 1918 genau so wenig wie Vertreibungen. Auch gibt es weder – wie in Spanien – Freiheitskämpfer im Untergrund noch eine UN-Friedensmission wie auf Zypern. Die Diskussion im Szeklerland dreht sich eher um relativ weiche Themen wie die Bewahrung kultureller Identität oder die ethnisch proportionale Repräsentanz unter Polizeibeamten. Die lokale Verwaltung ist ohnehin fest in ungarischer Hand. Dementsprechend ist von ernsthaften separatistischen Bewegungen gelinde gesagt wenig zu spüren. Ende Februar versammelten sich auf einer von der UCM und dem CNS veranstalteten Kundgebung zur Selbstverwaltung des Szeklerlandes gerade einmal rund 150 Teilnehmer meist fortgeschrittenen Alters.

Das Misstrauen gegen die ungarische Minderheit

Warum also die harsche Reaktion der rumänischen Regierung? Auch wenn das Szenario eines autonomen Szeklerlandes vollkommen realitätsfern ist, herrscht in der rumänischen Öffentlichkeit doch ein gewisses Misstrauen gegenüber der ungarischen Minderheit im Allgemeinen und ihren sezessionistischen Tendenzen im Speziellen. Begründet liegt das im jahrhundertealten Streit um die Zugehörigkeit Siebenbürgens. Sowohl Ungarn als auch Rumänen halten Siebenbürgen traditionellerweise für einen integralen Bestandteil ihres Landes. Für beide spielt Siebenbürgen im Gründungsmythos ihres Landes – ähnlich wie das Amselfeld für Serben und Kosovo-Albaner – eine herausragende Rolle.

Auch kam es nach der Wende 1990 in der nord-siebenbürgischen Stadt Targu Mures zu kurzlebigen, aber heftigen Ausschreitungen, bei denen mehrere Personen getötet wurden. Die rechtsextremistischen Parteien Rumäniens, allen voran die „Partei Großrumäniens“ (PRM) mit ihrem Vorsitzenden Vadim Tudor, und große Teile der nach Sensationen gierenden Medien halten das anti-ungarische Sentiment vieler Rumänen am Leben. Die häufig plumpe möchtegern-separatistische Rhetorik ungarischer Minderheitenverbände und -parteien ist dabei Wasser auf ihre Mühlen. Präsident Basescu bemerkte dazu ganz richtig, dass sich die PRM und die Ungarnverbände so in gewissem Sinne gegenseitig am Leben erhalten.

Ein gewisser Stolz aus der Reihe der europäischen Großmächte zu tanzen

Abgesehen von der Ungarnfrage hat die rumänische Regierung aber noch eine Reihe anderer Gründe, dem Kosovo die Anerkennung zu verweigern. Zum einen möchte man einen Präzedenzfall auch mit Hinblick auf Transnistrien vermeiden, dem Landstrich zwischen der Republik Moldau und der Ukraine, wo ein rückwärtsgewandtes kommunistisches Regime seit 1992 mit der Unterstützung russischer Truppen einen kleinen Möchtegern-Staat unterhält. Zweitens ist Rumänien daran interessiert, über eine gute Verbindung zu Serbien seinen Einfluss auf dem Balkan zu stärken. Ein erster Erfolg war die Stippvisite des serbischen Präsidenten Boris Tadic, der kurz nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nach Bukarest fuhr und für die Unterstützung dankte. Drittens zeigt die rumänische Öffentlichkeit einen gewissen Stolz, dass ihre Regierung erstmals bei einer Entscheidung von beträchtlicher Tragweite aus der Reihe der europäischen Großmächte tanzt und selbstbewusst eine eigene Position vertritt.

Das Zusammenspiel dieser Gründe erklärt die Abwehrhaltung Rumäniens weit besser als die leicht anachronistische Angst vor ungarischem Separatismus allein. Dass letzterer trotzdem als vornehmlicher Grund herhalten muss, ist vor allem der politischen Tradition Rumäniens geschuldet.

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Der Autor ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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