Nordkorea wird nicht den chinesischen Weg gehenEM-INTERVIEW

Nordkorea wird nicht den chinesischen Weg gehen

Nordkorea wird nicht den chinesischen Weg gehen

Für China gilt seit den 80er Jahren: Wenn wir Fortschritte machen und die Entwicklung vorantreiben, dann ist das unser Begriff von Sozialismus. Nordkorea hat ein ähnliches Beispiel direkt vor Augen: die Entwicklung bei seinen südkoreanischen Landsleuten. Sven Horak fragte den Experten Hanns Günther Hilpert von der Forschungsgruppe Asien der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), ob dies auch ein gangbarer Weg für das darbende Nordkorea wäre. Hilpert hält dies trotz aller Verlockungen für nicht realistisch. Gorbatschow sprach dazu für die EX-DDR einst das vernichtende Urteil: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Von Sven Horak

  Zur Person: Hanns Günther Hilpert
  Dr. Hanns Günther Hilpert ist Mitarbeiter der Forschungsgruppe Asien bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Von 1999 bis 2002 gehörte Hilpert dem Deutschen Institut für Japanstudien in Tokio an. Davor war er ab 1989 an der Studienstelle Japan / Asien des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, München tätig. Seine Forschungsfelder: Asien in der Weltwirtschaft, Integrationsprozesse in Ostasien, Wirtschaft Japans, Wirtschaft Chinas, Wirtschaft Koreas, Außenwirtschaftspolitik.
  Zur Person: Sven Horak
  Sven Horak, M.Sc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ostasienwissenschaften (IN-EAST) an der Universität Duisburg-Essen. Er war in der Zeit von 2009 bis 2010 für das Ministerium für Wiedervereinigung der Republik Korea tätig und beschäftigte sich in dieser Zeit besonders mit der heutigen innerkoreanischen Beziehung und der deutschen Erfahrung der Einheit vor und nach der Wende. 
Dr. Hanns Günther Hilpert  
Dr. Hanns Günther Hilpert  
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urasisches Magazin: Ist die wirtschaftliche Situation in Nord Korea vergleichbar mit der in der früheren DDR?

Hanns Günther Hilpert: Nein, eigentlich nicht. Diese war vielleicht vergleichbar in den ersten Jahren, als beide Staaten ihre Wirtschaft sozialistisch ausgerichtet haben und anfangs hohe Wachstumsraten erzielten. Aber letztendlich ist der Zusammenbruch der Wirtschaft in Nordkorea noch totaler als das in der DDR der Fall war. In Nordkorea ist die Regierung sogar unfähig, ihre Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Es fehlen jedes Jahr zur Eigenversorgung ein bis zwei Millionen Tonnen Getreide, die importiert werden müssten, wofür das Land aber nicht über die nötigen Devisen verfügt. Zudem ist die koreanische Landwirtschaft durch Überdüngung und Abholzung nachhaltig und dauerhaft geschädigt in einem Ausmaß, wie das in der DDR nie der Fall war. Außerdem wäre im Vergleich auch der Stand der industriellen Produktion zu nennen.

EM: Welche Probleme gibt es hierbei im Vergleich zur ehemaligen DDR?

Hilpert: Kapitalverzehr und Unterauslastung zum Beispiel nehmen Dimensionen an, wie es in der DDR nicht vorkam. Schließlich gibt es auch infrastrukturelle Unterschiede. Die Eisenbahnlinien, das Straßenverkehrsnetz oder die Telekommunikationsinfrastruktur sind entweder sehr schwach ausgebaut oder sehr marode. Zusammen genommen, kann man sagen, dass grundlegende strukturelle Elemente in Nordkorea - verglichen mit der damaligen DDR – wesentlich mehr heruntergekommen und kaputt sind.

Nordkorea rüstet auf, seine Menschen hungern

EM: Wie ist es dazu gekommen, dass im Vergleich zur DDR-Wirtschaft die nordkoreanische Wirtschaft im internationalen Vergleich noch stärker zurück blieb?

Hilpert: Beide Staaten sind bzw. waren Staaten mit einer sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft und den ganzen Defiziten die dies mit sich bring. Die Hauptunterschiede sind aber, dass Nordkorea etwa ab den 60er bzw. 70er Jahren einen starken Schwerpunkt auf Rüstung und Militärwirtschaft gelegt hat. Laut CIA-Schätzung wird von Nordkorea jährlich ein Drittel seines Bruttoinlandsprodukts für Rüstung und deren Instandhaltung ausgegeben. Die Mittel stehen dann natürlich nicht mehr für investive und konsumtive Bereiche zur Verfügung. Die DDR hat nicht in diesem Umfang Geld in seine Rüstung gesteckt.

EM: Ist das der einzige Unterschied?

Hilpert: Nein. Hinzu kommt, dass die DDR besondere Vorteile hatte durch den Handels-, Transit- und Wirtschaftsverkehr mit dem Westen. Innerdeutscher Handel war quasi ein laufender offener zinsloser Kredit. Auch hat der Strauß-Kredit in den 80er Jahren die DDR vor dem frühzeitigen Kollaps bewahrt. Nordkorea hingegen hat seit dem Zusammenbruch des RGW-Handels  mit der Sowjetunion in der 90er Jahren keinen Zugang mehr zu den billigen Rohstoffen und Energielieferungen aus der Sowjetunion. Diese Importe müssen seitdem mit harten Devisen bezahlt werden. Mit China ist es ähnlich. Dies sind die Hauptgründe, warum es Nordkorea wirtschaftlich wesentlich schlechter geht als der damaligen DDR.

Die Perspektive für Nordkorea ist völlig unklar

EM: Welche Maßnahmen wurden in Nordkorea ergriffen, um die Wirtschaft wiederzubeleben und wie beurteilen sie deren Erfolg?

Hilpert: Es gab im Juli 2002 marktwirtschaftliche Reformmaßnahmen auf Initiative der Regierung. Dazu gehörte ein größeres Maß an Autonomie für die Staatsunternehmen und Kombinate, sowie die Einführung eines Preissystems für Nahrungsmittel, verbunden mit einer gleichzeitigen Preisanpassung. Fortan sollte die Versorgung der Bevölkerung wesentlich über dieses Preissystem funktionieren und das öffentliche Verteilungssystem ersetzen. Das hatte man bis 2005 ausprobiert, wobei es zu diesem Zeitpunkt zu einer Gegenbewegung kam, bei der man den Reformen kritisch gegenüberstand. Seitdem versucht man verstärkt, die vorherigen öffentlichen Strukturen wieder zu beleben.

EM: Sie sagen, es sei nach anfänglichen Reformen zu einer Gegenbewegung gekommen. Wie sah diese aus?

Hilpert: Man hat viele internationale Hilfsorganisationen des Landes verwiesen und, wie gesagt, die Reformmaßnahmen teilweise wieder rückgängig gemacht. Private Bauernmärkte wurden geschlossen oder diskriminiert. Diese Maßnahmen sind aber nur teilweise erfolgreich gewesen, da nach wie vor das öffentliche Verteilungssystem nicht ausreicht, um die Versorgungslage der Bevölkerung sicherzustellen. Insofern blieben viele Märkte bestehen. Klar ist aber, dass der Staat sie nicht will. Man kann letztendlich sagen, dass sowohl die beschrieben Reformen, wie auch die Gegenmaßnahmen gescheitert sind. Es ist in großem Maße unklar, in welche Richtung sich die nordkoreanische Wirtschaft nun künftig entwickeln soll.

Sonderwirtschaftszonen bringen Devisen

EM: Wie steht es um die Sonderwirtschaftszonen? Können diese denn die Reformbestrebungen nicht fördern? 

Hilpert: Ja, die Tourismusregion Kumgang und das Industriegebiet Kaesong sind solche Sonderwirtschaftszonen und sie bestehen auch weiter. Sie bringen Devisen, was einer der wichtigsten Faktoren zur Begründung ihrer Existenz ist. Es gibt zwar politische Konflikte deshalb mit der aktuellen südkoreanischen Lee Regierung, aber dennoch haben Sie nicht zu einer Schließung der Sonderwirtschaftszonen geführt. Nicht zu vergessen ist auch der Handel mit China, der Nordkorea wirtschaftlich am Leben hält und das Regime stützt. Dieser ist allerdings in seiner Gesamtheit eher intransparent. Fest steht aber, dass chinesische Unternehmen massiv in Nordkorea investiert haben. Dadurch profitiert zwar in erster Linie die nordkoreanische Elite, aber es finden auch viele Menschen Beschäftigung und die Versorgungslage verbessert sich.

EM: Stichwort China: Oft wird argumentiert, dass auf dem Wege zu marktwirtschaftlichen Reformen China als gutes Beispiel für Nordkorea dienen kann. Wie sehen Sie das?

Hilpert: Zu diesem Punkt gehen die Ansichten auseinander. Meine Meinung ist, dass das chinesische Beispiel eigentlich kein passender Weg für Nordkorea ist. Die Rahmenbedingungen für eine Transformation in Nordkorea sind heute einfach völlig andere als die, die in China 1979 vorgelegen haben, als dort die Privatisierung der Landwirtschaft begann.

Nicht einmal Privatisierungen würden das Grundproblem lösen

EM: Welches sind die Unterschiede zum China von 1979?

Hilpert: Zunächst einmal ist die Landwirtschaft in Nordkorea wegen des schlechten Klimas und der ausgelaugten Böden wenig ergiebig. Außerdem hat die Mechanisierung der Landwirtschaft in der 60er Jahren bereits stattgefunden. Somit lassen sich die Produktivitätsgewinne einer Privatisierung in Nordkorea kaum noch realisieren. Zum Zweiten: Privatisierungen würden in Nordkorea das Grundproblem nicht lösen, nämlich das des Kapitalmangels. Gebraucht wird einfach Kapital zur Restrukturierung und Modernisierung der Landwirtschaft und besonders der Industrie.

EM: Aber welche Möglichkeiten hat Nordkorea dann überhaupt?

Hilpert: Da kommt wieder die Politik ins Spiel, denn das Werben um Investoren auf den internationalen Kapitalmärkten erfordert die politische Verständigung mit den USA. Ein weiterer politischer Aspekt ist, das China zwar geteilt ist in ein kapitalistisches Taiwan und ein kommunistisches Groß-China. Taiwan war aber nie eine Systemalternative für die Menschen in China selbst. In Nordkorea ist das anders. Würde es zu einer Systemtransformation kommen, wäre eine Voraussetzung das Wissen über die Lebensverhältnisse in Südkorea. Das heißt, irgendwann würden die Nordkoreaner erkennen, dass das kapitalistische Original im Süden ein besseres ist, als die unvollständige Kopie im Norden. Sie würden schnell erkennen, dass ihnen das Modell ihrer Landsleute im Süden auch eine bessere Lebensperspektive bieten kann. Sie würden versuchen das System des Südens in den Norden zu holen.

Das Szenario der deutschen Wiedervereinigung vor Augen

EM: Ist das die Parallele zu den ehemals beiden deutschen Staaten?

Hilpert: Hilpert: Das ist im Prinzip das deutsche Szenario der Wiedervereinigung. Das weiß man in Nordkorea natürlich und ist daher so zögerlich mit allen Reformmaßnahmen. Schließlich ist aus nordkoreanischer Sicht eine Transformation durch eine Einführung eines kapitalistischen Systems nicht die einzige Alternative. Es gibt ja immer noch die Möglichkeit, einfach so weiter zu machen wie bisher, um mit innenpolitischer Restriktion, ideologischer Geschlossenheit und militärischer Macht das eigene Überleben zu sichern. Dies wird derzeit anscheinend bevorzugt. Die Idee eines chinesischen Weges der Transformation hat in meinen Augen in Nordkorea keine politische Realität.

EM: Herr Dr. Hilpert, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Asien China Interview

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