Religiöse Vielfalt oder Chaos der Religionen in KirgistanRELIGION

Kirgistan: Land der tausend Götter

In der zentralasiatischen Republik sind 3000 Gemeinden und mehr auf der Suche nach Gott. Die Fachleute sind sich nicht einig, ob das Chaos der Religionen zur Unruhe beiträgt, oder ob der vielfältige Glaube insgesamt doch einen stabilisierenden Einfluss auf die Gesellschaft ausübe.

Von Hans-Joachim Hoppe

Feodosy Gaschu, Bischof von Bischkek
Feodosy Gaschu, Bischof von Bischkek

Es gibt kaum ein asiatisches Land, das so viele Religionen aus aller Welt beherbergt und praktiziert wie Kirgistan. Dabei würde zu dem Land in der Mitte Zentralasiens an der Grenze zu China eher das bodenständige Schamanentum,  Buddhismus oder Konfuzianismus passen. Stattdessen wurde es in mehrfachen Wellen von fremden importierten Religionen überflutet: vom Islam, der russischen Orthodoxie, dann durch deutsche und andere Siedler vom Katholizismus und Protestantismus und in neuester Zeit mit seriösen und exzentrischen Sekten aus Amerika, Korea und anderswo. Zum Beispiel reüssieren Baptisten, Mormonen, Evangelikale und Scientologen, deren Anerkennung die kirgisischen Behörden jedoch ablehnten.

2.400 bis 3.000 Gemeinden in Kirgistan

In der Regierung des Landes sind alle Mitglieder Muslims bis auf eines: die frühere Präsidentin Rosa Otunbajewa bekennt sich als ehemalige Marxistin zur Agnostik . Sie wurde übrigens einst auch nach Rosa Luxemburg benannt.

Das Konglomerat an Religionen ist größtenteils an bestimmte Ethnien gekettet oder zieht sich quer durch alle frommen Schichten der Kirgisen. Um die explodierende Vielfalt des Glaubens unter Kontrolle zu halten, wurde eine Staatliche Religionskommission als Chefsache beim Präsidenten Kirgistans angesiedelt. Diese wacht nicht nur über die Rückkehr radikalisierter Studenten aus dem Orient und über den Einfluss fundamental-christlicher Lehren aus dem Westen, sondern auch über die Sittsamkeit der einheimischen Imame. So wurde dem Hauptmufti die Liebe zu einer anderen Frau angelastet, obwohl die Scharia Vielweiberei zulässt. Schlimmer ist noch, dass sich Imame immer wieder an Spenden und den Geldern für Pilgerfahrten bereichern. Pilgerfahrten gehen nicht nur nach Mekka, sondern auch zum Heiligen Berg der Kirgisen namens „Thron Salomons“, der die Stadt Osch überragt und mit seinen alten Festungsgemäuern auch für Touristen eine Attraktion darstellt.

Nach offiziellen Angaben gibt es in Kirgistan 2.400 registrierte Gemeinden, nach inoffiziellen Schätzungen sogar 3.000 einschließlich der Nichtregistrierten.  Nach mehreren Jahrzehnten von kommunistischer Herrschaft verordnetem Atheismus befinden sich die Kirgisen, animiert von der Gipfelwelt im Zentrum Asiens, in einem spektakulären Aufbruch zum Glauben: auf der Suche nach Gott und dem Sinn des Lebens. Aber ausgerechnet eine Gruppe, die sich den Sitten der Ahnen zuwendet, erhält in Kirgistan und in Kasachstan immer mehr Zulauf.

Der Islam – die dominierende Religion

Nach der staatlichen Unabhängigkeit kämpfte auch die kirgisische muslimische Geistlichkeit um Eigenständigkeit und Selbstbestimmung. Das kirgisische Muftiat war nämlich bis Ende der 1980er Jahre der Vereinigten Geistlichen Leitung der Muslime in Mittelasien und Kasachstan mit dem Sitz in Taschkent, Usbekistan, unterstellt. Ein wichtiger Schritt zur Eigenständigkeit erfolgte 1987 mit der Ernennung eines eigenen Geistlichen als Oberhaupt für Kirgistans Muslime Rafik Kamalow. Im Jahre 1993 wurde die „Geistlichen Leitung der Muslime in Kirgistan“, das sogenannte Muftiat, als oberstes Leitungsorgan konstituiert. Gemäß der Einteilung Kirgistans in neun Oblasti (Distrikte) und die beiden Großstädte Bischkek, die Hauptstadt des Landes, und Osch, das Zentrum des Südens, wurde auch das Muftiat in neun Regionalverwaltungen, die Kaziate, eingeteilt.

Die Geistliche Verwaltung gründete im Januar 2012 noch die Vakf-Stiftung als wirtschaftliche Basis, die sich aus Abgaben, Zuschüssen und Spenden finanziert. Die Gelder sollen Bildungseinrichtungen und Moscheen „gemäß ihren wirtschaftlichen Bedürfnissen“ zur Verfügung gestellt werden, die aber damit ins Eigentum der Stiftung übergehen. Die Aufsicht der Stiftung obliegt einem Kollegium, das aus 9 Geistlichen und dem Direktor besteht.

Skandale ohne Ende

Das Muftiat wurde seit seiner Gründung immer wieder von Krisen und Skandalen erschüttert. Seit April 2010 lösten sich in kurzer Zeit fünf Muftis ab. Experten gelangten zu dem Schluss, das Muftiat leide an Reformmangel, an finanzieller Undurchsichtigkeit und geringem intellektuellen Niveau. Man müsse „ein neues Konzept für den Islam in unserem Staat“ entwickeln und die Statute der Geistlichen Verwaltung ändern.

Kaum hatte der Hauptmufti Murataly Schumanow, damals mit 37 Jahren der jüngste seines Amtes in Zentralasien, nach den Unruhen des Jahres 2010 das Trauer-Ritual für die Opfer vollzogen, musste er aus undurchsichtigen Gründen von seinem Amt zurücktreten und kaum zwei Monate später kam er nach einem Überfall um. Auf Schumanow folgte Abdischukur Narmatow, der bereits nach acht Tagen sein Amt niederlegte. Dessen Nachfolger Sujun Kulujew blieb genau eineinhalb Monate im Amt, als auch er von Unbekannten ermordet wurde. Der Vorsteher (Kazy) des Tschui-Distrikts Ruslan Schumagulow hielt sich als Mufti kaum einen Monat. Schließlich wurde Tschubak Schalilow, ein gebildeter und erfahrener Geistlicher, Hauptmufti – der fünfte nach kurzer Zeit im Amt. Jedoch auch er schaffte es nicht bis zum Ende seiner fünfjährigen Amtszeit. Wegen Veruntreuung von Geldern in Millionenhöhe für Pilgerreisen nach Mekka (sogenannte Hadsch) und angeblichen Sympathien für radikalen Islamismus musste er im Mai 2012 gehen. Der im Juli 2012 gewählte Hauptmufti Egemberdiev musste nach dem Sex-Video-Skandal am 8. Januar 2014 zurücktreten. Sein Stellvertreter Maksat Toktomuschew, der zunächst auf Beschluss des Rats der Ulema kommissarisch das Amt des Hauptmuftis ausübte, wurde am 14. März 2014 auf einer außerordentlichen Kurultay, zu der 200 Geistliche aus dem ganzen Land sowie Staatsbeamte, Abgeordnete und gesellschaftliche und religiöse Würdenträger als Gäste gekommen waren, im Amt bestätigt. Endlich wurde auch eine neue Satzung verabschiedet, aufgrund der die wichtigsten Gremien verkleinert und die Amtszeiten der geistlichen Führer verkürzt wurden. Die neue Satzung wurde vom Vorsitzenden der Staatlichen Religionskommission Orosbek Moldalijew gutgeheißen, sie entspreche den Normen des Schariats wie auch der Gesetze Kirgistans! Der Präsident Kirgistans Almasbek Atambajew, mit dem schon vorher alles abgesprochen war, empfing noch am gleichen Tag den neuen Mufti.

Der neue Obermufti Kirgistans

Der neue Obermufti Maksat Toktomuschew, Jahrgang 1973, entstammt einer Händlerfamilie im Osch-Distrikt, ist verheiratet, hat drei Söhne und eine Tochter. Er kann Arabisch, Urdu und Russisch, ob Kirgisisch, wird nicht angegeben. Er machte einen Abschluss als Zoo-Ingenieur, wurde in seinen besten Jahren privat von islamischen Gelehrten unterwiesen, um dann an der unter dem Einfluss der Wahhabi-Ableger „Tablighi Jamaat“ stehnden „Medresse Arabiya“ in Lahore, Pakistan, das „Shariat“ zu studieren. Danach lehrte er ab 2005 selbst an führenden Medressen und absolvierte 2010 noch eine Schule für islamische Wirtschaft und Finanzen. Darauf ging sein Aufstieg rasant: 2010 wurde „Kazy“ (Shariatsrichter) der Hauptstadt Bischkek, 2013 Stellvertretender Mufti und ab Januar kommissarischer Mufti und im März als Hauptmufti bestätigt.

Sein Werdegang lässt eher auf eine konservative Haltung schließen. So verkündete er Ende Januar 2014 eine Fatwa gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen, deren Strafbarkeit 1998 in Kirgistan aufgehoben worden war. Zugleich forderte er Parlament und Regierung zu mehr Wachsamkeit gegenüber Gruppen auf, die durch Verbreitung scheinbar „humanitärer Ideen“ in der Bevölkerung „moralische Verwirrung“ stiften. Seine Fatwa wirkt angesichts der Skandale im Muftiat wie Hohn.

In offiziellen Erklärungen legte Toktomuschev den kirgisischen Islam auf den im Osmanischen Reich verbreiteten sunnitischen Hanafismus in Abgrenzung zum militanten Salafismus fest. Der Islam sei gegenüber den anderen Religionen in Kirgistan tolerant, so der Mufti, der „Islam sei eine Religion des Friedens“, ein sonst überstrapazierter Satz. Zum Skandal seines Vorgängers bekräftigte er, der Islam sei eigentlich auf die Einehe festgelegt, erlaube aber auch Polygamie. Er selbst habe aber nur eine Frau und vier Kinder, drei Jungs und ein Mädchen. Zu den finanziellen Unregelmäßigkeiten in der Vergangenheit teilte er mit, laut neuem Gesetz werde das Muftiat die Einnahmen ab sofort in den Sozialfond einzahlen und auch Steuern abführen. Jedoch für die Pilgerreisen im Zeitraum von 2009 bis 2013 brauche er keine Steuern nachzahlen.

Klage über zu geringe Hadsch-Quote

Sein Stellvertreter Samir Rakijew ist für die lukrative Organisation der Mekka- Pilgerreisen zuständig. Er ist Jahrgang 1978, stammt aus dem Naryn Distrikt, ist verheiratet und hat drei Söhne. Er studierte nach Besuch der Bischkeker Borborduk-Moschee an der berühmten Al Adschara Staatsuniversität in Kairo und machte seinen Magister an der Staatsuniversität Bischkek. 2010 wurde er „Kazy“ (Schariatsrichter) des Naryn- Distrikts, 2011 wurde er Stellvertretender Mufti.

Rakijew beklagte die Reduzierung der der Hadsch-Quote durch Saudiarabien. Für 2014 habe sein Muftiat nur 3.600 Plätze zugewiesen bekommen, die er dann weiter auf die Bezirke verteile. Die Anmeldungen beginnen im Mai. Erstmals sei auch eine Reservierung über Internet möglich. Bei der Anmeldung haben die Pilger 500 Som (70 Euro) pro Person an das Muftiat zu entrichten.

Populär sind auch Reisen zum Heiligen Berg der Kirgisen „Takht-i-Suleyman“ oder Suleyman Too, der Thron Salomons, der mit 1100 Metern die Stadt Osch überragt und den Blick ins Ferghana-Tal Usbekistans gewährt. An muslimischen Feiertagen pilgern Tausende von Besuchern aus ganz Mittelasien dorthin. Auf dem Berg befindet sich eine Vielzahl von Festungsgemäuern und Kultstätten, die zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurden, darunter auch das Haus des Chan Babur, der Nachfahre Timurs, der um 1500 auf dem Berg über die Eroberung Indiens sann und Begründer der Moguldynastie wurde. Der Heilige Berg der Kirgisen ist klein gegenüber den vielen Viertausendern, die Kirgistan den Ruf einer Schweiz Mittelasiens verleihen. Der höchste Berg Kirgistans „Pik Lenin“ ist 7134 Meter hoch und liegt im Süden an der Grenze zu Tadschikistan.

Zu hohe Personalquote im Muftiat

Schon zu Zeiten des Skandalmuftis Schalilow im Jahre 2012 hatte sich ein „paralleles“ oder Alternativ-Muftiat gebildet. So stellte sich in einem Schreiben an die Staatliche Religionskommission eine derartige Initiativgruppe unter Leitung des ehemaligen Milizionärs Schypabek Toitschubekow vor, der sich selbst zum neuen Mufti ernannt habe. In dem Brief heißt es, dass die Unzufriedenheit mit Mufti Schalilow ständig wachse, da dieser den Rat der Ulema ignoriere, nicht zur Arbeit erscheine, seine Pflichten nicht erfülle und Treffen mit Vertretern der Moslems ausweiche. Deswegen sehe man sich gezwungen, ein Alternativ-Muftiat zu schaffen. Man habe dazu vor dem Sitz des Muftiats eine Jurte aufgebaut, um vorübergehend dessen Funktionen zu übernehmen. Die Staatliche Religionskommission bemerkte zu dem Konflikt, man habe zwar anfangs für die Gruppe Partei ergriffen, nehme aber im Interesse der Stabilität der muslimischen Gemeinschaft eine neutrale Haltung ein und appelliere an beide Seiten, den Konflikt untereinander zu regeln.

Mit dem Rücktritt des Muftis schien der Konflikt zunächst beigelegt zu sei, bis auch der nächste Mufti schwere Fehler beging- Auch in neuester Zeit besteht die Moslem-Protestgruppe immer noch. Ihr Vorsitzender Toytschubekow beklagte sich über die unnötig hohe Zahl an Beschäftigten im Muftiat. Der Mufti habe zwei Berater plus einen weiteren für die Ältesten. Ein vierter Geistlicher sei der Vertreter des Muftiats im Parlament. Der sei doch unnötig, da das Parlament doch eine eigene Kommission für religiöse Angelegenheiten habe. Darüberhinaus seien einige Abteilungen im Muftiat unnötig wie die lukrative Abteilung für Wirtschaftsentwicklung und die Halal-Abteilung. Nach seiner Ansicht müsse das Personal des Muftiat um die Hälfte reduziert werden.

Derweil versucht das Muftiat seine gesellschaftliche Rolle wahrzunehmen. Als es am 5. und 6. Juni 2014 zur Zeit, als im Westen Europas des D-Days, der alliierten Landung in der Normandie von 1944  gedacht wird, beim Gedenken an die blutigen Unruhen des Jahres 2010 in der Usbekenhochburg Osch erneut zu Unruhen und Blockaden der Verbindungsstraße zwischen Osch und der Hauptstadt Bischkek kam, gab der Obermufti Toktamuschew an alle Geistlichen im Lande die Anweisung, die Freitagsgebete und die Predigten vom 6. bis 13. Juni zu Appellen an die ethnischen Gruppen im Lande, vornehmlich Kirgisen und Uighuren, zum Gewaltverzicht zu nutzen.

Christliche und andere Religionsgemeinschaften

Die Russisch-Orthodoxe Kirche hatte eine über 130-jährige Geschichte in Kirgistan. Nach der radikalen Dezimierung in der Sowjetära gab es nur noch 25 Kirchen. Doch mit der religiösen Freiheit nach der Wende 1991 wurden wieder neue Kirchen gebaut und alte restauriert. Nach zehn Jahren hatte sich die Zahl der orthodoxen Kirchen fast verdoppelt. Bereits 2002 gab es 44 Kirchen und ein Frauenkloster. Dem Bischkeker Metropolit unterstehen 35 Priester, (von ihnen hatten 18 eine theologische und 17 eine säkulare Ausbildung. Eine missionarische Tätigkeit unter den Kirgisen hatte die in der russischen Bevölkerung verwurzelte Orthodoxe Kirche bewusst vermieden.

Ähnlich wie das kirgisische Muftiat verselbständigte sich auch die orthodoxe Kirche in Kirgistan von ihrer usbekisch-mittelasiatischen Oberkirche. So wurde ziemlich spät erst im Juni 2011 aus der Taschkenter und Mittelasiatischen Eparchie die „Bischkeker und Kirgistaner Eparchie“ herausgelöst. Die Eparchie besteht seitdem aus den Bezirken Bischkek, Chuy-Tokmak, Belowodsk, Issyk-Kul, Osch und Talas. Um ihre Verbindung zur Russisch-Orthodoxen Kirche zu unterstreichen und sich von alt-orthodoxen Ablegern abzugrenzen, nennt sich die Kirche in Kirgistan offiziell „Bischkeker und Zentralasiatische Eparchie der Russisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats“. Neben der offiziellen Russische Orthodoxen Kirche gibt es auch in Kirgistan mehrere Gemeinden der Altgläubigen. 

Seit Oktober 2011 ist Bischof Feodosiy Gaschu Oberhaupt der Bischkeker Eparchie. Er ist Jahrgang 1970, stammt  aus Kischinau, der Hauptstadt des zur Sowjetunion gehörigen Moldawiens, besuchte nach dem Militärdienst das Moskauer Geistliche Seminar und die Moskauer Geistliche Akademie und absolvierte noch ein Jurastudium in Jekaterinburg. Nach einer hervorragenden Ausbildung und der Weihe zum Mönchspriester durch den Moskauer Patriarchen Alexei II. wurde er im Oktober 2011 vom Heiligen Synod zum Bischof von Bischkek und Kirgistan erwählt. Auf den Fotos des Patriarchats macht er eine glänzende Erscheinung.

Die Bedeutung der Jesuiten

In der Mission ist die Russisch Orthodoxe Kirche durchaus aktiv: so kündigte die Missionierungskommission des Diözesanrats in Moskau ein von der russischen Regierung unterstütztes Projekt zur Verbreitung von Bibeln in zentralasiatischen Sprachen an, das den Hunderttausenden von islamischen Arbeitsmigranten aus Kirgistan, Tadjikistan und Usbekistan die Integration in die russische Gesellschaft erleichtern soll. Die Missionskommission arbeitet schon seit zwei Jahren mit dem Staatlichen Migrationsamt beim Angebot von Kursen für Migranten russischer Kultur, Geschichte und Gesetzen. Ob die Orthodoxe Kirche die Bibeln auch zur Verbreitung in Kirgistan nutzt, bleibt abzuwarten.

Auch die Römisch-katholische Kirche in Kirgistan lebte 1991 nach der Wende wieder auf, sie wurde Teil der „Apostolischen Administration für Zentralasien“ mit Sitz in Karaganda/Kasachstan. Nach der Unabhängigkeit Kirgistans nahm der Vatikan im August 1992 diplomatische Beziehungen zu dem Land auf. Der Apostolische Nuntius in Astana, der Hauptstadt Kasachstans, vertritt den Vatikan auch gegenüber Kirgistan, der kirgisische Botschafter in Berlin ist auch beim Vatikan akkreditiert. 1997 gründete Papst Johannes Paul II. in Kirgistan eine Mission unter Leitung von Jesuiten. 2006 errichtete Papst Benedikt XVI. in Bischkek eine Apostolische Administration mit einem Bischof an der Spitze.  

Apostolischer Administrator in Kirgistan ist Bischof Nikolaus Messmer, 1954 in Karaganda geboren. Er entstammt einer Familie nach Kasachstan deportierter Wolgadeutschen. Er durchlief eine wechselhaften Karriere: 1975 Eintritt in den Jesuitenorden, im Mai 1989 Priesterweihe und Pfarrtätigkeit in Bischkek, 2004 Promotion am Vatikan, danach Rektor am Geistlichen Seminar in Novosibirsk und 2006 mit der Ernennung zum Bischof. Sein Bruder, ein Oberer der Jesuiten in Russland wurde übrigens 2008 in Moskau ermordet
 
Kern der Katholiken in Kirgistan ist die Mission der Jesuiten. Die etwa 30 Gemeinden bestehen aus deportierten Russlanddeutschen und deren Nachkommen sowie Katholiken aus Polen, der Ukraine und Litauen, aber auch aus Migranten asiatischer Ländern, Koreanern und einheimischen Kirgisen. 1.500 Katholiken werden von 5 Priestern, 2 Diözesanpriester und fünf Franziskanerinnen betreut, Zentren des Katholizismus sind Bischkek, Dschalalabad und Talas. 

Die Evangelisch-Lutherische Kirche verliert

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in der Kirgisischen Republik besteht seit 1929. Ihre Mitglieder sind hauptsächlich unter Stalin deportierte Wolgadeutsche sowie deutsche Migranten aus anderen Gebieten der UdSSR. 1980 auf ihrem Höhepunkt umfasste die Kirche 50 Gemeinden. Infolge der Ausreisewelle nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sank die Zahl der Gemeinden auf 15 ab. Die evangelische Kirche Kirgistans gehört dem Verbund der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland, der Ukraine, Kasachstans und Mittelasiens (ELKRAS) an. Nach der Rückkehr des Bischofs Alfred Eichholz erlebte die Gemeinde in Kirgistan einen neuen Aufschwung, obwohl ihre Zahl von 100.000 im Jahre 1989 innerhalb von 20 Jahren auf weniger als 10.000 (2009) zurückgegangen ist. Zurzeit gibt es 16 Gemeinden, die beiden größten sind in Bischkek und Osch. Präsident der Synode, des obersten Organs der Kirche, ist Bischof Alexander Emmanuil Schanz, amtierender Bischof ist Alfred Eichholz. Die deutsche Partnerkirche ist die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck. In übergeordneten regionalen Verbänden für Russland und die Nachbarländer kooperieren Lutheraner, Baptisten, Methodisten und Adventisten.

Die Zeugen Jehovas haben laut Religionskommission 41 Gemeinden und nach eigenen Angaben 5.000 Mitglieder, die sich auf Bischkek und die Distrikte Tschui, Issyk-Kul, Naryn, Talas und Dschalalabad verteilen. Wegen ihrer Aggressivität wurde ihnen zeitweilig die Registrierung verweigert. Ihr absolutes Selbstverständnis als einzig wahrer Glaube, ihre Missionstätigkeit mit Wachturm und Hausbesuchen sowie ihr psychisch und physisch schädlicher Einfluss (wie die Ablehnung von Bluttransfusionen) widersprächen nach Ansicht von Juristen und Politikern den in Kirgistan gültigen Prinzipien der Toleranz und des Anti-Extremismus.

Die Neuapostolische Gemeinde hat zwei Gemeinden in Bischkek und Karabalta mit schätzungsweise 50 Mitgliedern.
 
Der Bund der Baptisten Kirgistans bestand 2010 aus 50 „Kirchen“ und 70 Gruppen mit ca. 3000 Mitgliedern. Die Baptisten geraten in Kirgistan immer wieder durch den Islam unter Druck und werden von den Behörden zeitweise mit „Terroristen“ gleichgesetzt. Der Verband gehört der Euro-asiatischen Föderation der Christen-Baptisten an. In Russland und in den anderen Nachfolgestaaten zählt die Baptisten-Gemeinschaft über 250.000 Mitglieder. Vorsitzender des Bundes der evangelischen Christen-Baptisten Kirgistan ist Alexander Schumilin.

Baptisten, Pfingstler und Adventisten

Die Adventisten haben das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion in sieben Konferenzen bzw. Missionen aufgeteilt. Kirgistan gehört dabei zum Südlichen Missionsgebiet Unionsgebiet Mittelasien mit Kasachstan als Mittelpunkt. Der gesamte Raum wiederum gehört zur Euro-asiatischen Division mit der Zentrale in Moskau. Von den insgesamt 18 Millionen Adventisten in der Welt leben im Raum der ehemaligen Sowjetunion etwa 150.000, die meisten davon in der Ukraine und etwa 40.000 in Russland. Die Webseite der Adventisten für Russland und seine Nachbarn adventist.ru gibt für Mittelasien 88 Gemeinden mit über 6000 Mitgliedern an. Die Führer der Großregion haben am 4. März 2014 einen Friedensaufruf an die Beteiligten zur Ukraine-Krise gerichtet, voran der Präsident der Euro-Asiatischen Division Gilermo Biadschi und der Präsident des Südlichen Missionsverbands, zu dem Kirgistan gehört, Rubin Ott. Die Adventisten, die jede Obrigkeit als gottgegeben ansehen, geraten dennoch wegen Militärdienstverweigerung mit den Behörden in Konflikt und müssen stattdessen im Gesundheitswesen oder in den Bautruppen Dienst versehen. 

Während Baptisten, Pfingstler und Adventisten bereits während der Sowjetzeit existierten, wurden die presbyterianischen Gemeinden erst in neuester Zeit gegründet, fast ausschließlich von koreanischen Missionaren, so von Kim San Min aus Südkorea und Tschan Kim Tschu aus Amerika. Im Jahre 2007 gab es in Kirgistan bereits 24 offiziell registrierte presbyterianische Organisationen und Gemeinden. Sie haben eine starke missionarische Ausrichtung und erreichen nicht nur Koreaner, sondern auch Kirgisen. Von der Behörden und der Gesellschaft wird die Gemeinschaft wegen ihres volkskirchlichen Charakters, ihrer überwiegend koreanischen Mitgliedschaft und ihrer Kooperationsbereitschaft respektiert. Bereits Anfang der 1990er Jahre wurde das erste presbyterianische theologische Institut namens „Emmanuil“ gegründet.

Mormonen, Heilige der letzten Tage, Moon-Sekte und Hare-Krishna

Die Mormonen oder die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“, wie sie offiziell heißt, sind erst seit der Wende in Mittelasien aktiv. Offenbar fanden sie im ersten Präsidenten Kirgistans Askar Akaev einen aufgeschlossenen Partner. Ende August 2003 unternahm eine Mormonen-Delegation aus dem US-Staat Utah unter Leitung von Elder Nelson und des Regionalleiters für Mittelasien Elder Callister eine Rundreise durch Mittelasien. Auf ihrem Abstecher nach Kirgistan wurden sie von Präsident Akaev, Premier Tanaev und den Bürgermeistern von Bischkek und Osch empfangen. Sie waren auf Einladung von Außenminister Askar Aitmatov gekommen, der sie bei seinem Besuch in Salt-Lake-City zur 2200-Jahrfeier Kirgistans eingeladen hatte. Mit den Begegnungen legten die Mormonen die Grundlage für ihre Aktivitäten in Kirgistan. Sie warben unter der Bevölkerung mit Sachspenden, Englischkursen und Computern, vermittelten Heiraten und Stipendien für ein Studium in den USA. Die Staatliche Religionsagentur reagierte allerdings verärgert über die unerwartete Mormonen-Invasion. Übrigens richteten die Mormonen auch eine Mission auf der US-Militärbasis in Manas ein, die in diesem Jahr geräumt werden muss.

Die den Kirgisen an sich fremde Pfingstbewegung (amerikanisch: Pentacostalisten, russisch: Pyatidesyatniki), mit weltweit 15 Millionen Anhängern, zählt über 50 Gemeinden in Bischkek sowie in fast allen Distrikten des Landes. Sie wirkt über diverse religiöse Vereinigungen, Fonds und karitative Institutionen wie das Internat für Behinderte und Waisenkinder im Tschui-Distrikt.

Die Jüdische Gemeinde Kirgistans, die früher 5.000 bis 6.000 Mitglieder zählte, sank durch Abwanderung auf 1.500 Juden, davon leben die meisten in Bischkek, wo sich auch die Hauptsynagoge befindet. Juden waren in Kirgistan als bedeutende Experten in der Regierung und der Gesellschaft als Politiker, Künstler, Architekten und Mediziner tätig, viele darunter mit deutschen Namen. Ein Gesundheitsvizeminister und ein Agrarvizeminister waren jüdischer Herkunft. Die bedeutendste Person war Jan Fischer, der in den Jahren 1985-1998 die Ämter des Vizepremiers, des Bauten- und Notstandsminister bekleidet. Hauptrabbiner Kirgistans ist Arie Reichman, Vorsitzender der Gemeinde ist Israil Raubenovitsch Matejew.

Die Gemeinde der Bahai hat auch in Kirgistan Eingang gefunden, sie hat in Bischkek ca. 200 Anhänger, nach anderen Schätzungen im ganzen Lande mehrere Tausend. Mindestens 24 Missionare sollen in Kirgistan tätig sein.

Die Moon-Sekte, die unter harmlosen Namen wie „Kirche der Vereinigung“ oder „Verband für Einheit und Frieden in der Welt“ auftritt, wurde vom Obersten Gerichtshof Kirgistan wegen Beeinträchtigung der Grundrechte und Freiheiten der Bürger verboten. Die Hare-Krishna-Bewegung wurde bereits 1999 registriert, sie soll 400 Anhänger haben.

Buddhisten, Tengristen, Schamanen und Satanisten

Die Buddhistische Gesellschaft „Chamsen“ wurde von Koreanern, die in Kirgistan leben, gegründet. Vorsitzender ist Oleg Zoy, der sich als Spezialist für östliche Medizin, Kampfsport und „Cigun“ anpreist und regelmäßig im kirgisischen Fernsehen auftritt. in Bischkek gibt es einen buddhistischen Tempel namens „Poriz“. Oft kommt aus Korea ein Mönch des Chege-Ordens angereist, der Erleuchtung durch Licht des Mondes und Harmonie predigt. Der Buddhismus gehört zu den vorislamischen Religionen, die sich wieder großer Beliebtheit erfreuen – bei Kirgisen und der zweitgrößten Bevölkerungsgruppe der Uighuren.

In Bischkek wurden Konfuzius-Institute 2007 an der Bischkek Humanwissenschaftlichen Universität und 2008 an der Kirgisischen National Universität eingerichtet. Eigentlich dienen sie keiner Religion, verbreiten aber eine bestimmte Geistes- und Lebenshaltung und werben um Verständnis für die chinesische Kultur und Politik.

Die Scientology Church wurde 2001 auch in Kirgistan als „Religion“ anerkannt, was ihr Steuererleichterungen und rechtlichen Schutz verschafft. Kirgistan gehört zu den wenigen Ländern (ca. 16) und dem einzigen im GUS-Raum, das die „Kirche“ zunächst ungehindert agieren lässt. In Russland wird Scientology als „extremistisch“ oder für Gesundheit und Geist eingestuft. Nach einer Intervention der Staatlichen Religionskommission stellte Scientology 2012 seine Tätigkeit (angeblich) ein.

In Reaktion auf die Militanz radikal-islamischer Missionare und westlicher Sekten entstand die Gruppe der Tengristen im Bemühen, prä-islamische, bodenständige Religionen Kirgistans wiederzubeleben. Der Koran und die Ziele des Islam passten ebenso wenig wie das Christentum in seiner verworrenen Vielfalt zu den nomadisch-spirituellen Traditionen der Kirgisen. Alte turkstämmige Glaubensrituale der mittelasiatischen Steppe wie Animismus, Paganismus, Schamanentum und Satanismus will die Ideologie des Tengrismus vereinen. Tengristen beten zu ihren Vorfahren, beschwören die Geister der Natur und des Tengri, des ewig blauen Himmel. Führer der Tengristen ist Anarbek Usupbajew, einstiger Sekretär der kommunistischen Partei Kirgistans und jetzt Direktor der Stiftung zur Förderung alter Traditionen „Manas Ordo“. So ändern sich die einstigen Spitzenfunktionäre des Landes. Die Bewegung findet laut Berichten ständigen Zulauf und habe bereits Tausende von Anhängern, nicht nur in Kirgistan, sondern auch im benachbarten Kasachstan.

Religion -  ein Sicherheitsproblem

Nach Ansicht des Muftiyats sei Tengrismus eher eine philosophische Bewegung, zumal sie im Unterschied zu den großen Religionen kein heiliges Buch und auch keinen Propheten habe. Die Staatliche Religionskommission lehnte mehrfach eine Registrierung dieser Bewegung ab. Ihr Leiter Moldaliev meinte, die Gruppe suche lediglich Publizität. Jedoch dem widersprach ein Brief prominenter Persönlichkeiten an Präsident Atambaev, die die Suche nach einer neuen nationalen Identität forderten, denn der aus dem Nahen Osten kommende arabisch geprägte Islam widerspreche den kirgisischen Traditionen, der Kultur, den Sitten und der Sprache des Landes.

Religion ist in Kirgistan ein Sicherheitsproblem. So wurde auf der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats im Februar 2014 die Entwicklung einer neuen Konzeption zur Religionspolitik beschlossen. Der Leiter der staatlichen Religionskommission Moldaliev forderte, die Religion in der Gesellschaft in ihre Schranken zu weisen und ihr die Einmischung in die Politik zu verwehren, jedoch sei es in den meisten Fällen ratsam, mit den religiösen Organisationen zusammenarbeiten. Der Islam müsse wieder Erfüllung seiner sozialen Funktionen befähigt werden. Dazu müsse aber „die religiöse Sphäre“ in Ordnung gebracht werden. Ein Schritt dazu ist die kürzlich erfolgte Gründung eines Forschungsinstituts der Islamkunde, das die Problem de Islams mit wissenschaftlichen Methoden angehen und eine öffentliche Kampagne gegen religiösen Extremismus führen soll. Ein Religionsexperte äußerte die Befürchtung, dass das Wiederaufleben des Konflikts zwischen Russland und dem Westen der Konfrontation den Radikalen Auftrieb geben und die Lage in Kirgistan destabilisieren werde.

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