„Russland und seine GUS-Nachbarn. Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und Konflikte in einer ressourcenreichen Region“ von Christian Wipperfürth.GELESEN

„Russland und seine GUS-Nachbarn. Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und Konflikte in einer ressourcenreichen Region“ von Christian Wipperfürth.

Kann Russland heute als außenpolitischer Partner oder eher als eine potenzielle Bedrohung gesehen werden? Wird die Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Westen intensiviert werden oder gehen beide Seiten dazu über, sich als Konkurrenten und Gegner zu betrachten? Wie wirkt sich Russlands Politik gegenüber seinen GUS-Nachbarn auf die Kooperation mit der euroatlantischen Welt aus? Diesen Fragen geht Dr. Christian Wipperfürth nach – seine Analyse ist realistisch und daher stellenweise auch nachdenklich und besorgt.

Von Julia Schatte

„Russland und seine GUS-Nachbarn: Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und Konflikte in einer ressourcenreichen Region“ von Christian Wipperfürth  
„Russland und seine GUS-Nachbarn: Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und Konflikte in einer ressourcenreichen Region“ von Christian Wipperfürth  

D as Ziel der Analyse Christian Wipperfürths war es festzustellen, ob Russland heute als außenpolitischer Partner zu betrachten oder zu einer potenziellen Bedrohung geworden ist, welche Schlussfolgerungen die deutsche Politik daraus ziehen kann und welche politische Strategie für eine stabile Entwicklung in der Region am effektivsten wäre.

Die Fragen, die der Autor untersucht, ergeben sich aus dem derzeitigen Zustand der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, der tendenziell besorgniserregend ist. Es ist noch unklar, ob die zukünftige Zusammenarbeit intensiviert oder beide Seiten sich als Konkurrenten und Gegner ansehen werden – eine Entwicklung, die angesichts der in den deutschen Medien emotional dargestellten „Droh- und Machtpolitik“ Russlands gegenüber den GUS-Staaten und dem Westen denkbar ist.

Nach einer kurzen Darstellung der russischen Politik gegenüber seinen GUS-Nachbarn in den 90-er Jahren und Wladimir Putins erster Amtszeit (2000-2004) konzentriert sich der Autor hauptsächlich auf die zweite Amtsperiode des Präsidenten. In einzelnen Kapiteln beleuchtet er Russlands Beziehungen zu den mittelasiatischen Staaten, Moldau und Transnistrien, sowie Weißrussland.

Besonderes Augenmerk legt Wipperfürth auf das Verhältnis Russlands zur Ukraine und Georgien. Die Ereignisse um die Orange Revolution in der Ukraine 2004 und der Gasstreit 2005/2006 sowie die „eingefrorenen Konflikte“ um Südossetien und Abchasien werden sehr detailliert und akribisch nachgezeichnet. In der abschließenden Zusammenfassung zeichnet der Autor Aspekte und Faktoren auf, die eine starke Stellung Russlands im GUS-Raum fördern oder behindern, sowie die Auswirkung der jeweiligen Positiv- oder Negativszenarien auf das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen. Er bewertet die Möglichkeiten für eine zukünftig überzeugendere und effektivere Zusammenarbeit.

Russlands Suche nach Identität und Streben nach Wohlstand

Wipperfürth konstatiert, dass die russische GUS-Politik seit Wladimir Putins Amtsantritt berechenbarer geworden ist. Ebenso sei Russland selbst durch hohe Energiepreise wirtschaftlich stärker und leistungsfähiger, was zu einer Verbesserung der materiellen Lage der Bevölkerung und dem Beginn der Herausbildung einer Mittelklasse geführt hat. Er schätzt Russland auch als innenpolitisch gefestigter und handlungsfähiger, den Staat als konsolidiert ein.
Die wirtschaftliche Stärke bedeute allerdings auch eine einseitige Abhängigkeit von Rohstoffexporten und eine veraltete Infrastruktur, die staatlichen Organe seien nur begrenzt handlungsfähig. Das Land befinde sich immer noch im Zustand einer Identitätskrise, die sich innenpolitisch auch in besorgniserregenden nationalistischen Stimmungen äußere, die durch große soziale Unterschiede innerhalb des Landes, sowie die demographische Entwicklung belebt würden.

Die Grundlage für die Sicherung außenpolitischen Einflusses soll eine stabile Staatsmacht und der ökonomische Fortschritt bilden, wobei Wipperfürth feststellt, dass „aus russischer Sicht Stabilität die Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung  und letztlich Demokratie war und ist, während westliche Beobachter andersherum demokratische Verhältnisse als Voraussetzung für eine langfristig stabile Entwicklung betonen.“

Russland und die GUS-Staaten: Wirtschaftskraft ohne politische Dominanz

Bei seinen GUS-Nachbarn, für die Russland ökonomisch immer noch von großer Bedeutung ist, führte dies zu einem außenpolitischem Verhalten, das zunehmend von nationalistischen Abwehrreflexen und ethnozentristischen Stimmungen bestimmt wird.

In Russland wird eine gewisse Dankbarkeit für zahlreiche zivilisatorische und materielle Leistungen, sowie die Übernahme aller Auslandsschulden der UdSSR erwartet. Der Kreml hat während  der letzten Jahre außerdem versucht, seinen Einfluss durch ökonomische Instrumente weiter zu steigern, allerdings hat er deren Wirkung überschätzt. Die GUS- Staaten sind darauf bedacht, ihre eigene Identität zu definieren und ihre Souveränität gegen mögliche imperiale Ambitionen eines potenziellen Hegemons abzusichern.

Obwohl Russland für die GUS-Staaten weiterhin ein wichtiger Handelspartner ist, verleiht das nicht unbedingt mehr politischen Einfluss, eine Ausrichtung der Außenpolitik nach den Präferenzen des Kremls ist unrealistisch. Damit kann insgesamt von einem abnehmenden Einfluss und einer Schwächung der Position Russlands im GUS-Raum gesprochen werden, wobei auch Faktoren wie der Bedeutungsverlust der russischen Sprache besonders in der jüngeren Generation sowie der kulturellen und menschlichen Verbindungen eine große Rolle spielen.

Russland und der Westen: wachsendes Misstrauen und Konkurrenz

Nach Einschätzung des Autors hat das Ansehen des Westens in Russland nach einer Vorbildfunktion, die dieser in der ersten Hälfte der 90er Jahre noch genoss, heute einen Tiefpunkt erreicht. Dadurch seien auch der Kooperationswille und die Fähigkeiten zur Zusammenarbeit beeinträchtigt. Gleichzeitig hätten der wirtschaftliche Aufschwung und die Rohstoffexporte das russische Selbstbewusstsein so sehr gestärkt, dass man nun westlichen Ratschlägen gegenüber nicht mehr zugänglich ist. In Russland wachse stattdessen die Befürchtung, dass der Westen Russland in eine dauerhafte Defensive zwingen will.

Das gegenseitige Misstrauen und eine wachsende Entfremdung zwischen Russland und dem Westen kam nach Analyse des Autors besonders während der Orangen Revolution in der Ukraine Ende 2004 zutage: „Der Westen war der Ansicht, dass Russland einen undemokratischen Machtwechsel habe legitimieren wollen, das ukrainische Volk habe dagegen rebelliert, und der Westen stehe auf der Seite der Menschen des Volkes (...) Die russische Seite hingegen argumentierte: Die Proteste nach der Wahl seien von langer Hand durch westliche Nichtregierungsorganisationen mit US-Rückendeckung vorbereitet worden. (...) In der russischen Elite war und ist die Auffassung verbreitet, dass der westlichen Ukrainepolitik eine grundsätzlich unfreundliche Einstellung gegenüber Russland immanent sei.“

Auffällig wird hierbei die Bemühung des Autors um ein tiefergehendes Verständnis der Positionen aller Beteiligten durch eine objektive Darstellung und Gegenüberstellung der Ansichten: „Für einflussreiche US-Strategen ist die Ukraine der Schlüssel für eine Dominanz über die eurasische Landmasse. Dieser dürfe keinesfalls wieder in Moskauer Hand fallen. Die Einbindung der Ukraine in die NATO solle vielmehr die USA auf Dauer zur entscheidenden Macht auf dem Doppelkontinent machen. Im Kreml gibt es ähnliche machtpolitische Überlegungen: Russland besitzt auf sich allein gestellt auf Dauer unzureichende demographische und wirtschaftliche Ressourcen, um eine Großmachtpolitik betreiben zu können.“

Als Indikator für das sich verschlechternde Verhältnis zwischen Russland und dem Westen wird auch die russisch-georgische Krise gesehen, bei dem Georgien nach Wipperfürths Einschätzung eine revolutionäre und provokative Politik gegenüber Russland betreibe, für die sich in den internationalen Beziehungen der letzten Jahrzehnte kaum Vergleiche finden ließen.

Andererseits weckten die im Oktober 2006 von Seiten Russlands verhängten Sanktionen wie die Kappung der Verkehrsverbindungen in der Welt noch mehr Sympathie mit Georgien. Es werde  im Westen weithin betrachtet als „ein kleines Land mit einer jungen Führung, die liberale und demokratische Ideale verwirklichen will, daran jedoch von einem übermächtigen Nachbarn mit imperialen Gelüsten gehindert wird“, während es jedoch die USA  bislang auf seiner Seite hatte.

Der Autor prognostiziert auch weitere Spannungen und Krisen, die für die russisch-westlichen Beziehungen nachteilig sein werden – wie etwa im (inzwischen bereits eingetretenen) Falle der Unabhängigkeit des Kosovos, die ja inzwischen auch von Deutschland anerkannt worden ist.

Ein Plädoyer gegen falsche Frontstellungen

Wipperfürth übt berechtigte Kritik an der emotionalisierten, oft einseitigen und undifferenzierten, sowie von Unkenntnis der wirtschaftspolitischen und gesellschaftlich-kulturellen Zusammenhänge und Hintergründe geprägten westlichen Berichterstattung und Kommentierung aktueller Ereignisse. Die Medien des Westens übernähmen häufig kritiklos die Sicht von Gegnern Wladimir Putins. Dies sei während des russisch-ukrainischen Konflikts um den Gaspreis 2005/2006 besonders deutlich geworden, als die westliche Presse „emotionsgeladen ganz überwiegend auf Seiten der Ukraine“ gestanden habe.

Hierbei sei auch an die Eröffnung der Leipziger Buchmesse im März 2006 erinnert, als die Rede des ukrainischen Schriftstellers Jurij Andrjuchowitsch anlässlich seiner Auszeichnung mit dem „Buchpreis für Europäische Verständigung“ zu frenetischen Beifallskundgebungen geführt habe. Der Grund war neben einem Plädoyer für einen EU-Beitritt der Ukraine der, dass sich Andrjuchowitsch gegen russische Vereinnahmungsstrategien aussprach.

 

Im Gegensatz dazu konfrontiert Wipperfürth das in westlichen Medien präsente Bild mit der Vielschichtigkeit der Konflikte in der Realität und macht deutlich, dass Russland und der Westen einander zwar fremd, doch aufeinander angewiesen seien. Er plädiert für Verhandlungen auf Augenhöhe, sachbezogene und ideologiefreie Gespräche über Menschenrechte - eine westliche „Beharrlichkeit ohne erhobenen Zeigefinger“ sei produktiver und führe zu mehr Überzeugungskraft.

Einige Einschätzungen des Autors, besonders hinsichtlich der weitgehenden Einstellung der „imperialen Rhetorik und Drohgebärden“ von Seiten des Kremls mit dem Jahre 2000, der innenpolitischen Stabilität Russlands und der Bedeutung klassischer machtpolitischer Ziele sind sicherlich diskutabel. Sie werden zum Teil auch von russischen Experten wie z.B. Lilija Schevcova weniger optimistisch beurteilt.

Zum Gesamteindruck ist jedoch zu sagen, dass Christian Wipperfürth unter Einbeziehung politischer, wirtschaftlicher, aber auch gesellschaftlicher und kultureller Aspekte – als Beispiel hierfür seien die Ausführungen zur Sprachenfrage in der Ukraine genannt - eine Analyse verfasste, die sich durch detaillierte Hintergrundkenntnisse und durch Verständnis der komplexen Zusammenhänge auszeichnet. „Russland und seine GUS-Nachbarn“ ist ein aufschlussreiches, individuelles und sachlich-objektives Buch, jenseits des medialen und wissenschaftlichen „mainstream“.

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Rezension zu: „Russland und seine GUS-Nachbarn: Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und Konflikte in einer ressourcenreichen Region“ von Christian Wipperfürth und Andreas Umland, Ibidem Verlag 2007, 248 Seiten, 29,90 Euro, ISBN: 3-898-21801-5.

GUS Rezension Russland Ukraine

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