„Vergesst Auschwitz! Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage“ von Henryk M. BroderGELESEN

„Vergesst Auschwitz! Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage“ von Henryk M. Broder

Wie kommt ein in Inhalt, Sprache, Stil und Dramaturgie ausnehmendes Buch zu einem so dämlichen Titel, der in keinem Zusammenhang zu seinen Aussagen steht? Das etwa war mein erster Gedanke bei der Lektüre, den ich aber bald korrigierte: Der Titel hat sehr wohl engsten Konnex zum Inhalt – er ist dessen kürzeste Kurzfassung!

Von Wolf Oschlies

„Vergesst Auschwitz! Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage“ von Henryk M. Broder  
„Vergesst Auschwitz! Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage“ von Henryk M. Broder  

D ie Kurzfassung besagt: Vergesst Auschwitz und den gesamten Holocaust, da alle Erinnerung mittlerweile nur noch „eine Übung in Heuchelei, Verlogenheit, Scheinheiligkeit und Opportunismus“ ist.

Natürlich weiß Broder, dass es unmöglich ist, Auschwitz zu vergessen oder auch nur zu vernebeln, wie es die Titelgraphik seines Buchs andeutet. Auschwitz stellt eine „Wasserscheide“ der bezeichnenden Art dar. Bis Auschwitz konnte man einem (im Grunde harmlosen) „Salon-Antisemitismus“ anhängen: Zwar mochte man keinen „jüdisch eklen Gauch“ (Ludwig Uhland), aber man tat dem Juden (zumeist) auch nichts. Nach Auschwitz muss sich jeder, der explizit etwas gegen Juden äußert, fragen (lassen), ob er etwa Auschwitz vergessen habe. Das hat er gewiss nicht, aber viele haben „Auschwitz“ sozusagen einer Inhaltswäsche unterzogen, es zum Steinbruch degradiert, aus ihm gewisse Versatzstücke und Denkmuster genutzt - gegen die Zionisten als „die Nazis unserer Tage“, gegen die „israelischen Faschisten“, die „ganze Landstriche Palästinas araberfrei“ machen wollen.

„Israel ist das Problem – Palästina die Lösung“. Israel ist an allem schuld, Israel darf sich nicht wehren, weil Israel eine „Eskalation der Gewalt“ auslösen würde, und was die Islamversteher und Judenhasser unserer Tage weiter absondern.

Die ganze verkommen Mischpoche

Broder nennt dieses angebliche „fortschrittliche politische Milieu“ eine „verkommene Mischpoche“, die er seit Jahrzehnten beobachtet und deren „reinen Antisemitismus im Kostüm des Antizionismus“ er akribisch und spitzzüngig dokumentiert. Keinen Blick wirft er auf die lange „Ahnengalerie“, die die „Mischpoche“ aufweisen kann: Die „Widerstandskämpferin“ Luise Rinser himmelte dichtend den „großen Führer“ Hitler an, Günter Grass „schreibt sich SS“ (wie Kabarettisten höhnten), der Schauspieler und Regisseur Harry Buckwitz (1904-1987), Galionsfigur der deutschsprachigen „fortschrittlichen“ Theaterszene der 1960er Jahre, bekannte 1940 „Ich bin ein Deutscher und deshalb Nationalsozialist“. Als Hans Habe 1970 Buckwitz’ „Propaganda für den Hitler-Krieg“ aufdeckte, „erklärte sich die gesamte intellektuelle Linke Deutschlands und der Schweiz solidarisch mit Buckwitz“, ähnlich bei ähnlichen Fälle, die Habe in seinem vierbändigen „Leben für den Journalismus“ anführte.

In Broders Buch dominiert die Aktualität, es liest sich mitunter wie eine Fortsetzung und Vertiefung von Broders Blog „Achse des Guten“, was Gedächtnisstütze der besten Art ist. Es tut gut, Broders „Feldzug“ gegen den RBB-Moderator Ken Jebsen und sein „Jugendprogramm“, „übelste antiamerikanische und antisemitische Propaganda eines Moderators am Rande des Nervenzusammenbruchs“, in allen Details nochmals zu lesen. Auch den weiteren Gang der Causa Jebsen, die mit dem Rausschmiss Jebsens (in Etappen) endete, nachdem die RBB-Bosse seine Hetze zehn Jahre lang toleriert hatten.

Wie ist so etwas möglich? Broder hat so seine Erfahrungen: „Eher gibt eine Oma aus Altötting auf dem Totenbett zu, dass sie als junge Frau auf dem Strich gearbeitet hat, als dass ein öffentlich-rechtlicher Sender einräumt, dass er einem Antisemiten eine Programmnische geboten hat“.
 
Der RBB bot eine, und als der Antisemit endlich weg war, zeigte sich, dass er der Cheerleader eines ganzen antisemitischen Bodensatzes war, der sich nun an Broder verbal austobte: „Fette Judenfotze“, „Sie sind der NAZI!“, „kann nun ohne Zweifel sagen, dass Hitler recht hatte!“, „6-Millionen-Lüge“, „euch Untermenschen“, „dreckiges, jüdisches Schandmaul“ und so weiter – endlos!

Das alte „Juda-verrecke“-Vokabular

So etwas steht neben gezierten Ratschlägen, „nicht (...) die letzten hierzulande verbliebenen kritischen Journalisten zu rufmorden“, „sich mit Herrn Jebsen in einem Gespräch auseinander zu setzen“, „Sie bestätigen wirklich JEDES jüdische Klischee perfekt!“, „Broder sollte sich auf der Stelle!!! bei Ken Jebsen, dem RBB und allen Hörern (...) entschuldigen“.

Broder hat dankenswerterweise Beschimpfungen, Beschuldigungen, Drohungen etc. abgedruckt, die ihn erreichten, aber nicht berührten. Das ist das alte „Juda-verrecke“-Vokabular, bei dem man nur staunen kann, wie jung es immer noch aufzutreten vermag. Broder geht es um etwas anderes, nämlich um die verleumderische Natur des „linken Antizionismus“, der sein Gift in der Gewissheit verstreut, dass Linke unter keinen Umständen Antisemiten sein können. Wenn Linke gegen Juden auftreten, dann weil diese immer und überall „Fremdkörper“ sind – als Schicksalsgemeinschaft unter Staaten, als „nationale“ Zionisten unter Multi-Kulti-Völkern und als gefährliches „Gebilde“ im arabischen Nahen Osten, das umgehend „entschärft“ werden muss. Gegen Juden etwas zu sagen oder zu unternehmen, ist nach fester Überzeugung der aktuellen Antisemiten kein Antisemitismus, sondern eine rechtzeitige Warnung vor dem „terroristischen“ Israel, das heute den Palästinensern alles das antut, was andere vor sechs, sieben Jahrzehnten den Juden antaten – „Gaza“ gleich „Warschauer Ghetto“, „Israel stellt eine Gefahr für den Weltfrieden dar“, und ist folglich an allem selber schuld, was andere ihm antun. Originalton des Grünen-Sprechers Hans-Christian Ströbele 1991: „Die irakischen Raketenangriffe auf Israel sind die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels“. 
  
Wer derartiges für durchgeknallt hält (ein Lieblingsausdruck Broders), hat zweifellos Recht, sofern er zwei Dinge berücksichtigt: Israel ohne Grund und Beweis der schlimmsten Verbrechen zu beschuldigen, ist längst „mainstream“ bei den immer zahlreicher werdenden „Israelkritikern“. Und es gibt offenkundig Plätze, wo man ungestört und unbestraft „den antisemitischen Schweinehund von der Leine lassen“ darf, sofern man nur „Jude“ durch „Zionist“ ersetzt. Als solchen Platz hat Broder die Kölner Domplatte ausgemacht, wo ein (vermutlicher) Obdachloser auf einer „Palästinawand“ Hetzparolen der schlimmsten Art ablässt, wohl um zu testen, was als nächste antisemitische Sprengmine tolerabel ist: „Den Zionisten geht es nicht um FRIEDEN, sondern um UNTERWERFUNG der Palästinenser unter ihr DIKTAT“, „Hitler ist Vergangenheit. Aber Israel ist Gegenwart. Nicht noch einmal“.

„Mischung aus Größenwahn und Impotenz“

Der Stadt ist das wegen der Touristen peinlich, aber sie findet „kein Mittel gegen eine  antisemitische Dauerdemo“, und einer mutigen Kölnerin, die Anzeige stellte, wurde bedeutet, sie sei nicht „strafantragsberechtigt“, da sie weder Jüdin noch Israelin sei.

Köln verhält sich blamabel dumm, der Deutsche Bundestag äußert sich in einer „Mischung aus Größenwahn und Impotenz“, wenn er am 1. Juli 2010 die Sicherheitspolitik Israels verurteilt, weil diese „den israelischen Sicherheitsinteressen“ nicht dienlich sei. Sofern sich nicht ein Fähnlein von Aufrechten in Krankheit oder Dienstreise flüchtete, votierte das Parlament der Deutschen einstimmig gegen Israel, den Staat der Juden! Darüber kann Broder nur in bitteren Hohn ausbrechen: „Die größte deutsche Spezialität ist es, zu wissen, was anderen guttut (...) Wir sind nicht nur die Weltmeister der Herzen, wir sind auch die Weltbesten im Erteilen von Ratschlägen. (...) Überall im Nahen Osten, insbesondere in Israel und Palästina, scharten sich die Menschen um ihre Volksempfänger, um zu hören, was der Bundestag zur Lage im Nahen Osten zu verkünden hatte. (...) War früher die sogenannte Judenfrage das überparteiliche Band, das die Deutschen zusammenhielt, so ist es heute die Palästina-Frage, die ein Gefühl der nationalen Einheit erzeugt“.

Postskriptum:

Ich schreibe diese Rezension am Vormittag des 21. März und muss meine Aufmerksamkeit zwischen PC und TV teilen. Auf dem Bildschirm läuft eine Sondersendung zu Vorgängen in Toulouse, wo die Polizei den Unterschlupf des Terroristen Mohammed Mehra umstellt hat. Der Mann wirkt wie die Figur aus einem Polizeilehrbuch: 23-jähriger Araber, streng islamische Familie, Al-Kaida-Ausbildung, Kampferfahrung in Afghanistan und Pakistan, dutzendfach vorbestraft, noch vor wenigen Tagen jüdische Lehrer und Kinder gemordet, „um den Tod palästinensischer Kinder zu rächen“. Diese Begründung hatte ihm tags zuvor ausgerechnet die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton suggeriert, als sie Mehras Morde mit Israels berechtigter Verteidigung in Gaza verglich. Israel hat auf Ashtons „antisemitischem Reflex“ (Grünen-MdB Volker Beck) erstmals erbittert reagiert, nachdem es jahrelang den antisemitischen Scheiß’ aus Deutschland und Westeuropa souverän ignorierte. Aber Ashtons Melodie wird – Wetten, dass...? – in nächster Zeit von einem wachsenden Chor der Weißwäscher aufgenommen werden. Antisemiten aller Länder, vereinigt euch! Fortsetzung nach Henryk M. Broders Devise „Weiter im Pogrom!“

*

Rezension zu: „Vergesst Auschwitz! Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage“ von Henryk M. Broder, Albrecht Knaus Verlag, München, März 2012, 176 Seiten, 16,99 Euro, ISBN-13: 978-3813504521.

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