09.08.2023 13:11:56
VIETNAM
Von Hans-Joachim Hoppe
Vietnam legt Wert auf eine Stärkung der Beziehungen zu Russland, heißt es. Die Pläne gehen offenbar schon auf das Jahr 2012 zurück. Den Wunsch zum Beitritt zur Zollunion hatte der vietnamesische Präsident Truong Tan Sang schon im Juli 2012 bei seinem Besuch in Moskau geäußert. Wenige Monate später am 7. November 2012, dem 95. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution von 1917, wurde bereits ein Vorabkommen mit der Zollunion unterzeichnet. Vietnam beabsichtige, mit den Ländern der Zollunion (Russland, Belarus und Kasachstan) ein Freihandelsabkommen zu schließen. Dabei will Russland Vietnam offenbar als Testfall für die Ausdehnung der Zollunion auf die Asien-Pazifik-Region nutzen.
Inzwischen geht es Putin um ein viel ambitionierteres Projekt, nämlich um die Ausdehnung der Eurasischen Wirtschaftsunion, die auf der Basis der Zollunion entstanden ist. Ein Freihandelsabkommen zwischen Vietnam und der Zollunion ist erst der Anfang einer breiten Kooperation. Im Mai 2014 teilte der russische Minister für Wirtschaftsentwicklung, Aleksei Uljukajew mit, dass die Unterzeichnung eines Freihandelsabkommen zwischen der Zollunion und Vietnam Ende 2014 bis Anfang 2015 zu erwarten sei.
Diese Erklärung gab Uljukajew auf dem Forum der Handelsminister der 21 Mitglieder der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation (APEC) am 17.-18. Mai 2014 in Qingdao, VR China ab (Qingdao ist die Halbinsel Tsingtau nördlich von Shanghai, eine ehemalige kaiserlich-deutsche Kolonie bis zum Ersten Weltkrieg!). Auf dem APEC-Forum wurde nicht nur über Vietnam, sondern über die Schaffung einer viel weitergehenden asiatisch-pazifischen Freihandelszone gesprochen.
Minister Uljukajew betonte, dass Russland und Vietnam insbesondere ein gemeinsames Ziel haben, nämlich die Steigerung des Handels und der beiderseitigen Kooperation in Wirtschaft, Politik und auf militärischem Gebiet. Auf die Vorzüge der Schaffung einer „Freihandelszone“ zwischen Russland und Vietnam habe Präsident Wladimir Putin bereits bei seinem Besuch in Vietnam im November 2013 hingewiesen. Ein Freihandelsabkommen biete hervorragende Möglichkeiten für einen Ausbau des Handels: Das gegenwärtige Handelsvolumen von vier Milliarden Dollar soll bis zum Jahre 2015 auf sieben Milliarden Dollar und bis 2020 zehn Milliarden Dollar ansteigen. Ein Kooperationsabkommen zwischen Russland und Vietnam soll die Entwicklung der Öl- und Gasförderung, die Nuklearindustrie und die Rüstungsbetriebe umfassen.
In einer Zeit der Spannungen mit dem Westen sucht Russland in Asien neue Partner. Neben China, Japan und Südkorea bemüht sich Russland in Südostasien um weitere Absatzgebiete für seinen Energieexport. Die Initiative ist aber auch eine Antwort auf die chinesische Expansion in Richtung Mittelasien, ins russische Vorfeld, und auf die Dominanz Chinas im langgestreckten Asien-Pazifik-Raum. Vietnam wiederum sucht in Russland einen Partner zur Entwicklung seiner in sowjetischer Zeit aufgebauten Wirtschaft sowie strategischen Rückhalt gegenüber China angesichts der Konflikte um Inseln und Energievorräte im südchinesischen Meer. Anhand neuer Investitionsprojekte wird deutlich, dass Russland mit Blick auf China und die USA in Vietnam auch seine militärische Präsenz in Südostasien erneuern will.
Vietnam gehörte einst zur Kolonie Französisch-Indochina. Im zweiten Weltkrieg wurde Indochina von den Japanern besetzt. Nach Abzug der Japaner versuchte Frankreich vergebens, seine Kolonialherrschaft in Indochina wiederherzustellen. Im Februar 1950 erkannte die Sowjetunion die Regierung der kommunistischen vietnamesischen Minh an, wobei beim denkwürdigen Treffen Ho Chi Minhs mit dem Sowjetherrscher Josef Stalin und dem Vorsitzenden der chinesischen Kommunistischen Partei Mao Tse-tung alle drei übereinkamen, dass China für die Unterstützung der Viet Minh-Bewegung verantwortlich ist.
Nach der Schlacht von Dien Bien Phu 1954 wurde Vietnam entlang des 17. Breitengrads analog zu Korea in einen kommunistisch regierten nördlichen und einen prowestlichen südlichen Staat geteilt. Im Indochinakrieg und im Vietnamkrieg gegen die USA unterstützten Russland und China den Norden. Nach der Niederlage der USA wurde Vietnam 1976 unter kommunistischer Herrschaft vereint. Im Konflikt zwischen Moskau und Peking machte sich Russland zum Patron Vietnams und unterhielt dort Truppen, einen Marinestützpunkt und Radaranlagen.
Parallel zum Tauwetter in Russland führte die Kommunistische Partei Ende der 1980er Jahre in Vietnam Reformen durch, ohne das Land zu demokratisieren. In den 1990er Jahren begann sich Vietnam in die internationale Staatengemeinschaft zu integrieren und nahm 1995 mit den USA diplomatische Beziehungen auf. Dies eröffnete Vietnam neue Entwicklungsmöglichkeiten durch Kontakte zum Westen und den Ländern des Pazifischen Raumes bis nach Australien und Südamerika. Trotz der Erfahrungen mit der französischen Kolonialherrschaft ist Vietnam – in Asien neben Laos und Kambodscha - heute stolz auf seine Mitgliedschaft in der „Francophonie“, der Organisation der französischsprechenden Nationen.
Ho Chi Minh, der Vater des modernen Vietnam, hatte nach Aufenthalten u.a. in Frankreich, Deutschland und den USA in den 1920 und 1930erJahren für die Komintern in Russland gearbeitet, bevor er nach China reiste, um den Kampf um Unabhängigkeit und eine Revolution in seinem Heimatland vorzubereiten. Seine oft idealisierte Person ist umstritten: während sein Unabhängigkeitskampf allgemein anerkannt wird, stößt seine Schreckensherrschaft auf weite Kritik.
Ein Großteil der Führungsmitglieder des damaligen Regimes waren in der vom Stalinismus geprägten Sowjetunion ausgebildet und geschult worden. Auch die Mitglieder der jetzigen Klasse der Technokraten haben an russischen Universitäten studiert und großenteils den gesellschaftlichen Wandel von Gorbatschows Perestroika zu Jelzins Übergangsphase und der Restitution unter Putin mit eigenen Augen miterlebt.
Die Energiekooperation zwischen Russland und Vietnam begann 1959, als die Sowjets Nordvietnam auf Bodenschätze hin erkundeten. Zu einer verstärkten Kooperation kam es 1981 mit der Gründung eines Joint Venture „Vietsovpetro“ (Vietnam Sowjet Petroleum) Vietnams erste Ölgesellschaft, die 1987 die Förderung von Rohöl in den Bạch Hổ („Weißer Tiger“) Offshore Ölfeldern östlich des Mekong-Deltas aufnahm.
Auf militärischem Gebiet war die Sowjetunion nach Vietnams Bruch mit Peking (1965/1968) Vietnams Hauptsponsor. Moskau unterstützte Nordvietnam im Krieg mit den USA. Nach dem Abzug der Amerikaner richteten die Sowjets 1979 auf deren ehemaligen Gelände eine eigene Marinebasis in der Cam Ranh Bay ein als Antwort auf Chinas Invasion in Vietnam und dem Stellvertreterkrieg in Kambodscha.
Nach dem Niedergang des Kommunismus und der Auflösung der Sowjetunion kühlten die Beziehungen ab. Während Russland eine gesellschaftliche Wende durchmachte, blieb in Vietnam ein kommunistisches Regime am Ruder, das aber wie China in sein System marktwirtschaftliche Formen zu integrieren versuchte.
Als Präsident Wladimir Putin im Kreml die Nachfolge antrat, versuchte er, Einiges an verlorenem Terrain für Russland zurückzugewinnen. 2001 unternahm Putin seinen ersten offiziellen Besuch in Vietnam, um die einst engen Beziehungen wieder anzukurbeln. Beide Länder vereinbarten eine „strategische Partnerschaft“. Ein weiterer Besuch Putins im Jahre 2006 stärkte die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Beim Besuch des russischen Premiers Dmitry Medwedjew im November 2012 in Hanoi bauten beide Länder ihre Beziehungen zu einer umfassenden strategische Partnerschaft aus, dabei bot Russland Vietnam den Beitritt zur Zollunion an. Bei seinem Besuch in Hanoi im November 2013 unterzeichnete Putin 17 Abkommen für Investitionen im Energiesektor, im Maschinenbau, zum Bau von Atomreaktoren, in der Raumfahrt und Kommunikationstechnologie sowie im Rüstungs- und Verteidigungssektor.
Außer der Suche nach neuen Märkten in Südostasien für seine Energieexporte will Moskau mit seinen jüngsten Schritten Vietnam politisch, wirtschaftlich und militärisch stärken - als Bastion gegen Chinas wachsenden Einfluss und nicht zuletzt gegenüber den USA. In den letzten Jahren vereinbarte Russland Militärexporte vor allem für Vietnams Marine: 2009 verkaufte Russland Vietnam sechs U-Boote der Kilo-Klasse, zwei wurden 2012 geliefert, weitere vier sollen bis 2016 folgen. 2011 lieferte Russland zwei Fregatten der Gepard-Klasse an Vietnam, das zwei weitere im September bestellte. Außerdem bot Putin die Herstellung von Militärtechnologie in Vietnam sowie Training und weitere Waffenlieferungen an.
In Verbindung mit den zahlreichen Treffen schlossen russische und vietnamesische Firmen Abkommen über Flüssigkeitsgas (LNG), Öllieferungen und Energiegewinnung. 2009 hatten der russische Staatskonzern Gazprom und der vietnamesische Konzern „PetroVietnam“ das Joint Venture „GazpromViet“ mit Anteilen von 51 zu 49 Prozent gegründet. Ziel ist die Förderung von Gas in Russland sowie an der Küste vor Vietnam und die Produktion von LNG-Flüssigkeitsgas. An den vielfältigen Projekten sind u.a. die russischen Firmen Gazprom, Rosneft, Transneft und Zarubeschneft und der japanische Konzern Idemitsu beteiligt. Gazprom erwarb zudem 49 Prozent Anteile an Vietnams einziger Ölraffinerie in Dong Quat, Mittelvietnam. Inzwischen errichtete „PetroVietnam“ eine weitere Raffinerie „Nghi-Son“ (ohne russische Beteiligung) südlich von Hanoi. Russland begann außerdem Öl über die Ost-Sibirien-Pazifik-Pipeline und von Wladiwostok aus auf dem Seeweg nach Vietnam zu liefern. Vorher hatte Vietnam seinen gesamten Öl-Import aus dem Nahen Osten bezogen.
Der russische Öl-Konzern Rosneft trat in ein weiteres Raffinerieprojekt im Süden des Landes in der Nhon Hoi Wirtschaftszone ein, das sich wegen der Unruhen in Thailand und wegen der hohen Kosten immer wieder verzögerte. Rosneft will außerdem einen Minderheitsanteil an einem Offshore Ölfeld im strittigen Südchinesischen Meer erwerben. Vietnams Ölkonzern PetroVietnam wiederum erwarb Konzessionen in der russischen Arktis zur Erkundung und Förderung von Gas im Petschora-Meer in Sibirien. Gazprom, das schon 2009 Erdgas im südchinesischen Meer zu fördern begann, plant Vietnam mit Flüssiggas aus dem geplanten Wladiwostok-LNG-Projekt (mit japanischer Beteiligung) zu versorgen und zwar die beiden geplanten Regasifizierungsterminals bei Thi Vai und Son My (2014 bzw. 2018).
Russland kann sich gegen seinen Rivalen China in der Asien-Pazifik-Region erfolgreich nur in Kombination mit Ländern wie Japan, Südkorea und denen Südostasiens durchsetzen. Vietnam, das übrigen mit mehr als 90 Millionen Einwohnern kein kleines Land ist, ist ein wichtiger Teil dieser Strategie.
Vietnam wiederum kann sich nur mit russischer und gelegentlich auch amerikanischer Unterstützung des Einflusses Chinas erwehren und seine Seerouten und Gewässer schützen. Die russische Verteidigungshilfe wie auch die Energiekooperation greifen in den Blöcken des Südchinesischen Meeres, wo Vietnam und die Philippinen mit China um ihre Souveränität streiten. Im Konflikt um diese Sektoren konnte Vietnam nur dank der Beteiligung russischer Konzerne - Gazprom und Rosneft - die Ansprüche Chinas abwehren. Moskau kann somit seine Beziehung zu Vietnam nutzen, um Chinas Vormarsch im Pazifik-Raum zu bremsen.
Mit einem Beitritt zur Zollunion und einem Freihandelsabkommen mit der Eurasischen Wirtschaftsunion sucht Vietnam abermals Rückhalt in der russischen Hemisphäre. Durch wirtschaftlichen und politischen Einfluss, eine Militärbasis und Radarinstallationen wird Vietnam erneut zu einer wichtigen Bastion Russlands in Südostasien.
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