Warten bis die Amerikaner kommen!RUMÄNIEN

Warten bis die Amerikaner kommen!

Ein Eisenbahnzug voll mit US-Soldaten und Ausrüstung, der Rumänien Richtung Serbien durchquert. Die Zugfahrt endet an einem Dorfbahnhof wegen fehlender Zollpapiere. Es ist Kosovokrise. Doch der Film geht tiefer, er durchmisst die ganze Tragik des rumänischen Lebens und den Zusammenprall der amerikanischen mit der osteuropäischen Kultur. Was passiert, wenn amerikanische Militärs in einem rumänischen Dorf unfreiwillig stranden? Was passiert, wenn zwei Kulturen, die miteinander selten in direkten Kontakt stehen, aufeinander treffen?

Von Melanie Fröhlich

R umänien - das Land aus dem die guten Filme kommen? Seitdem Cannes 2007 gleich zwei Filmproduktionen aus dem jüngsten EU-Land ehrte, ist Rumänien kein weißer Fleck für Cineasten mehr. Regisseur Cristian Mungiu erhielt in Cannes die Goldene Palme für das Gesellschaftsdrama „Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage“, das von einer illegalen Abtreibung in der Zeit der Ceauşescu-Diktatur erzählt. Und in der Kategorie „Un certain regard“ war „California Dreamin´ (nesfarsit)“ von Cristian Nemescu preiswürdig.

Die jüngsten Erfolge des rumänischen Kinos kommen überraschend. Den 21 Millionen Einwohnern stehen gerade einmal 70 Kinos zur Verfügung. In diesen laufen in der Regel Hollywoodproduktionen. Die rumänische Filmindustrie hatte nach dem Zusammenbruch des Kommunismus einen Tiefpunkt erreicht. Noch immer gibt es wenig Geld. Reich aber ist Rumänien an jungen Regisseuren, die gewillt sind, ihre Filmideen auch mit einfachen Mitteln umzusetzen. Nemescus Drama „California Dreamin“ wirft unterschwellig die Frage auf, wie es überhaupt zur Errichtung der kommunistischen Diktatur kommen konnte und beleuchtet die ganze Tragik des rumänischen Lebens.

Authentische Bilder, die man nur im Ausland für übertrieben hält

Das Drama des 1979 geborenen Regisseurs spielt 1999 zur Zeit der Kosovo-Krise. Zehn Jahre nach der Revolution, nach dem Ende des weltspaltenden Systemgegensatzes hat sich nicht allzu viel verändert. Im Juni 1999 begleitet eine amerikanische Marine-Truppe einen NATO-Zug mit militärischer Ausrüstung vom Schwarzen Meer bis zur serbischen Grenze. Sie haben eine mündliche Zusage aus Bukarest. Weit kommen sie nicht. Die Zugfahrt endet in einem unbedeutenden Dorfbahnhof wegen fehlender Zollpapiere. Soweit die reale Begebenheit, die dem Film zu Grunde liegt.

Unvorstellbar? Nicht für den rumänischen Kinogänger. Das Lachen im Kinosaal ist groß über Situationen, die hier jeder so oder so ähnlich kennt. Es sind authentische Bilder, die in Dogma-Manier über die Leinwand flimmern, die dem ausländischen Zuschauer aber wahrscheinlich als maßlose Übertreibung erscheinen müssen. Das Problem der Papiere wird bürokratisch gelöst und ein Fax vom Militärminister Richtung Transportminister gesendet, bis es am Ende in einem großen Papierberg verschwindet. Auf Rumänisch sagt man dazu „problema se rezolvă“, was soviel heißt wie, die Probleme lösen sich – nur muss man warten.

Der Bahnhofsvorsteher hat seit dem Krieg eine Rechnung mit den Amis offen

Der Filmsaal verwandelt sich in einen großen Wartesaal – mit den Amerikanern wartet der Zuschauer darauf, dass sich endlich etwas bewegt. Doch der eigentliche Wartende sitzt nicht im Zug, sondern er hält ihn an: der Bahnhofschef Doiaru. Der hat noch eine Rechnung aus dem Zweiten Weltkrieg offen. Doiaru kann die Amerikaner, auf die er (nesfarsit) ohne Ende gewartet hat, nicht einfach fahren lassen, auch wenn der Grund ihres Kommens mittlerweile ein anderer Krieg ist.

 Jeder Tag, den er den Zug aufhält, schließt mit einem Rückblick, bis am Ende als Anklage die Frage steht: Warum seid ihr nicht gekommen? Doiarus Eltern, Fabrikbesitzer, flohen am Ende des Zweiten Weltkrieges vor den Kommunisten und ließen ihn mit dem Trost zurück: Wenn die Amerikaner kommen, dann sehen wir uns wieder. Sie kamen nicht, nicht als die Sowjets kamen, nicht als Ceauşescu kam und seine Eltern sah er niemals wieder.

Die nächste Frage, die der Film aufwirft: Was passiert, wenn amerikanische Militärs in einem rumänischen Dorf unfreiwillig stranden? Was passiert, wenn zwei Kulturen, die miteinander selten in direkten Kontakt stehen, aufeinander treffen? Nur der Zweite Weltkrieg scheint reale Erfahrungen an die Amerikaner zu wecken. Sie fallen meist vom Himmel, wie Rückblenden uns glauben machen – in Form von Bomben made in USA oder als Pilot. Der Bürgermeister des Dorfes bewahrt eine Fotografie vom ersten schwarzen Mann auf rumänischen Boden als Trophäe auf.

Doch es ist nicht nur der Bahnhofschef, der Grund hat, die Amerikaner aufzuhalten. Da die Amerikaner sich so selten nach Rumänien verirren, ist es jetzt an der Zeit, die eigenen Belange vorzutragen. Die Fabrikarbeiter nutzen den angekündigten Zug für einen Streik auf den Gleisen mit der Botschaft „Ne' foame!“ (dt.: Wir haben Hunger). Der Bürgermeister möchte mit der Hilfe der Amerikaner sein Dorf bekannt machen, um wirtschaftlich davon zu profitieren oder wenigsten eine Partnerschaft mit der Heimatgemeinde des amerikanischen Captains herausschlagen. Die jungen Mädchen träumen beim Anblick der amerikanischen Soldaten von einem Leben in Amerika. Der rumänische Übersetzer nur von einer amerikanischen Uniform. Alle legen sich also mächtig ins Zeug. Der Bürgermeister lässt das 100-jährige Dorffest zur Ehren der Amerikaner nochmals feiern – auch gegen den leisen Einwand: Das war doch schon.

„United“ schreien sie gemeinsam und stürmen das Bahnhofsgebäude

Nemescu gelingt eine unglaubliche Mischung aus authentischen Bildern, die das rumänische Dorfleben einfangen und zur Satire werden: Das Dorffest gerät zur Wiederauferstehung amerikanischer Kultur, von der Elvis-Parodie bis zum texanischen Cowboy. Vor dem Hintergrund dieses bunten Treibens wird das Duell um Fahren oder Nicht-Fahren vom Bahnhofschef Doiaru (Razvan Vasilescu) und dem amerikanischen Captain Jones (Armand Assante) ausgetragen. Jones scheint lange der Unterlegene. Selbst ein Minister aus Bukarest kann ihm nicht helfen. Erst ein Bündnis mit dem Bürgermeister, der die Macht des zudem korrupten Bahnhofsleiters, der über ein gewaltiges Depot an verschwundenen Waren herrscht, das ihm den Schutz der Polizei garantiert, bringt Bewegung ins Spiel. Jones schwört die Dorfbevölkerung auf sich und gegen den kleinen Diktator ein. „United“ schreien sie da gemeinsam und stürmen das Bahnhofsgebäude, ein Ablenkungsmanöver, das die Amerikaner zur unbehelligten Weiterfahrt nutzen.

Bittere Wahrheiten verstecken sich hinter dem heiteren Dorftreiben. Das Drama, das Nemescu aufführt, ist das Drama zweier aufeinander treffender Kulturen, deren Verständigung zum Scheitern verurteilt ist. Schon der Bruderkuss des Bürgermeisters geht beim amerikanischen Captain Jones ins Leere. Die Versuche der Dorfbewohner, vom Streik der Arbeiter, bis zum Fest und denjungen aufgetakelten Mädchen, stehen am Ende für den Kampf für oder den Traum von einem besseren Leben. Doch es gibt keinen Ausweg aus der rumänischen Einöde.

Ein Drama voller bittrerer Wahrheiten

Am Ende setzt sich der Zug wieder in Bewegung, an Bord amerikanische Soldaten mit Erinnerungen an eine versüßte Wartezeit und Unterhaltung. Das Gleichgewicht und Machtgefüge des Dorfes ist mit den Amerikanern ins Wanken geraten.

„California Dreamin´“ ist wahrhaftt sehenswert. Der Film wird auch im Ausland Kinoerfolge feiern - nur wahrscheinlich eher als Komödie, bestenfalls als Tragikomödie, aber wohl kaum als Drama. Diesen Irrtum wird Cristian Nemescu nicht mehr aufklären können. Er kam am Ende der Filmproduktion gemeinsam mit seinem Toningenieur bei einem Autounfall ums Leben. Schuld an dem Unfall am 24. August 2006 in Bukarest war ein britischer Staatsbürger, der mit seinem Porsche Cayenne eine rote Ampel missachtete und die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 60 km/h überschritt. Zusammenprall der Kulturen. Im rumänischen Kinosaal war das Lachen am Ende verhallt, untermalt von melancholischen Klängen: California Dreamin´.

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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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