Wirtschaftskrise hausgemacht und importiertOSTEUROPA

Wirtschaftskrise hausgemacht und importiert

Die osteuropäischen Staaten können für sich in Anspruch nehmen, dass sie nicht Ursprung der Krise waren, die von den USA ausging und erst nach über einem Jahr auch für sie negative Folgen zeitigte. Anders als westeuropäische Banken haben sich die osteuropäischen Institute nicht an den faulen Krediten vergriffen, die den Auslöser für die Finanzkrise darstellten. Die starke Abhängigkeit von fremdem Kapital, einer der wichtigsten Faktoren für den Aufschwung der vergangenen Jahre, bringt die osteuropäischen Länder nun jedoch arg in Bedrängnis.

Von Michael Derrer

D ie Länder Osteuropas haben über ihre Verhältnisse gelebt. Zu Zeiten der Aufbruchstimmung, vor dem Hintergrund des Zuflusses ausländischer Investitionen und erstarkenden nationaler Währungen, hatten sich viele osteuropäische Unternehmen und private Haushalte in fremden Währungen verschuldet. Meist in Euro oder Schweizer Franken. Wieso sollte man die hohen Zinsen in der eigenen Währung bezahlen, wenn die Kredite in Fremdwährungen so viel günstiger waren?

Rückblickend muss man sich nun fragen, ob das Währungsrisiko wirklich verstanden wurde. Als Akt kollektiven Fehlverhaltens von Kreditgebern und Kreditnehmern kann diese Verschuldung in ausländischer Währung mit dem Subprime-Debakel in den USA verglichen werden.

Die Kreditaufnahme von Haushalten, Banken und Unternehmen hatte derartige Ausmaße, dass das Volumen der vergebenen Kredite die Einlagen beträchtlich überstieg und aus dem Ausland, insbesondere durch westeuropäische Banken, finanziert werden musste.

In fast allen Staaten der Region werden mehr als 50 Prozent des Bankkapitals von ausländischen Anteilseignern gehalten.

Die regionalen Banken Osteuropas - einheimische oder lose beaufsichtigte Niederlassungen westlicher Banken - hatten in den letzten Jahren sehr gute Erträge erzielt. Der Bedarf der Privatkunden, Unternehmen und öffentlichen Institutionen nach Giro- und Sparkonten, Kreditkarten, Hypotheken und Instrumenten zur Unternehmensfinanzierung haben ihre Expansion beflügelt. In fast allen Staaten der Region werden mehr als 50 Prozent des Bankkapitals von ausländischen Anteilseignern gehalten. Es dominieren große europäische Banken und Finanzgruppen, die in Osteuropa gesamthaft 1,3 Billionen US-Dollar an Kreditforderungen halten.

Jetzt hat sich jedoch die Furcht (oder die Not) im Westen zurückgemeldet, und die Mutterkonzerne ziehen Kapital aus ihren Tochtergesellschaften ab, um ihre eigenen Finanzlöcher zu stopfen. Die Refinanzierung auf den internationalen Märkten ist schwieriger geworden. Bei einer weiteren Abwertung der lokalen Währungen und einem kontinuierlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit könnten viele Haushalte in Zahlungsnot geraten, und es drohen Kreditausfälle der Firmenkunden. Die Analysten von Goldman Sachs ermittelten die möglichen Spitzen für notleidende Kredite in den einzelnen Ländern und kamen zu folgendem Ergebnis:

Es stellt sich die Frage, ob die westlichen Mutterbanken ihre osteuropäischen Töchter bei akuter Bedrohung mit Kapital und Liquidität versorgen würden. Sollte eine ausländische Bank eine Niederlassung in einem osteuropäischen Land fallen lassen, so dass Einleger ihre Ersparnisse nicht zurück erhalten, würde dies das Vertrauen in das ganze regionale Bankensystem untergraben.

Die Banken verschärfen nun ihrerseits die Kreditbedingungen gegenüber Unternehmen und Privatkunden, erhöhen die Zinsen und prüfen fortan Kreditnehmer genauer – neben den schwindenden Exportmärkten ein signifikanter Dämpfer für das Wirtschaftswachstum.

Von der Finanz- zur Wirtschaftskrise

Das Szenario ähnelt früheren Krisen: In einem Kreditboom werden große Verschuldungen in ausländischer Währung aufgenommen. Dann kommt ein Schock – in diesem Fall die Kreditkrise und Anzeichen einer weltweiten Rezession. Das Vertrauen schwindet. Westliche Banken, Investmentfonds und Immobilienverwalter bauen ihr Engagement in der Region schnellstmöglich ab. Der massive Rückzug verschlechtert die Zahlungsbilanzen der betroffenen Länder und setzt deren Währungen unter Druck. Im Zuge der Abwertung wird der Schuldendienst für Fremdwährungskredite teurer, die Geldzuflüsse sinken, die Laufzeiten der Kredite sind kürzer, und die Risikoprämien steigen. Die lokalen Banken werden geschwächt. Es kommt eine Teufelsspirale in Gang. Die staatlichen Finanzen kollabieren.

Die Situation ist der Asien-Krise von 1997 nicht unähnlich, wobei sich die „ostasiatischen“ Tiger” durch den Export rasch erholen konnten, was in der aktuellen weltwirtschaftlichen Situation kaum möglich sein wird. Osteuropa hat immerhin den Vorteil, dass das ausländische Kapital einen größeren Anteil Direktinvestitionen enthält, das nicht von einem Tag auf den andern abgezogen werden kann.

Die Schuldendienste Ungarns, Lettlands und Rumäniens entsprechen fast deren gesamten Währungsreserven

Die osteuropäischen Länder müssen allein 2009 rund 400 Milliarden Dollar an Verbindlichkeiten zurückzahlen – für Ungarn, Lettland und Rumänien entspricht der Schuldendienst fast ihren gesamten Währungsreserven. In der globalen Rezession fließen auch weniger ausländische Direktinvestitionen in die Region. Der IWF rettet die notleidenden Länder vor der Zahlungsunfähigkeit: Ungarn, Ukraine, Lettland, Rumänien, Serbien, Belarus – die Liste wird immer länger. Die Auflagen des IWF sind bekannt: die makroökonomischen Ungleichgewichte müssen reduziert werden. Eine Korrektur der einheimischen Nachfrage wird notwendig, um die Importe und das Leistungsbilanzdefizit zu verringern. Die Senkung der Gehälter, Renten und Sozialausgaben auf der einen Seite und höhere Steuern auf der anderen gehören zu den typischen Maßnahmen. Es erstaunt nicht, dass es bereits in mehreren Ländern zu Unruhen auf der Strasse gekommen ist.

Das Wachstumsmodell mit billiger externer Finanzierung ist in Osteuropa bis auf weiteres nicht mehr möglich. Niedrigere Wachstumsraten oder eine höhere Sparquote wären die Alternative. Der Anstoß zur Erholung wird jedoch mittelfristig wieder aus dem Ausland kommen müssen, denn die relativ kleinen osteuropäischen Wirtschaften sind auf den Export angewiesen. Bis dahin sollten diese Staaten aber die Zeit nutzen, um ihre Wirtschaft neu auszurichten und um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Es ist wahr, dass die osteuropäischen Länder nicht alle in einen Topf geworfen werden dürfen – Polen und die Tschechische Republik z.B. stehen in punkto heimmarktgetriebenem Wachstum, Handelsbilanz, ausländischen Direktinvestitionen, Sparquote und Auslandsverschuldung besser da als ihre östlichen und südlichen Nachbarn. Die Kredite in ausländischer Währung machen in Polen z.B. 30 Prozent der privaten Kredite aus – in Ungarn ist dieser Wert doppelt so hoch. Auf den internationalen Finanzmärkten wird den Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern und ihrer wirtschaftlichen Verfassung oftmals nicht genügend Rechnung getragen. Schlechte Meldungen aus einem Land schlagen sich auf die umliegenden Länder nieder, ob dies nun gerechtfertigt ist oder nicht. So haben z.B. Ungarns Probleme zum Abwertungsdruck auf den Polnischen Zloty beigetragen.

Berechtigter Glaube an eine  europäische Solidarität?

Die EU-Erweiterung war für die westlichen Länder ein lukratives Unterfangen. Die neuen Mitgliedstaaten importierten massiv Investitions- und Konsumgüter. Die vom westlichen Finanzkapital über die Vergabe von Krediten generierte Nachfrage wurde von westlichen Handelsfirmen abgeschöpft.

Der Wirtschaftsabschwung stellt nun die europäische Solidarität auf die Probe. In ihrer Forderung nach ausländischer Unterstützung verwenden osteuropäische Politiker bereits das Bild eines „neuen eisernen Vorhangs, der sich zwischen West und Ost schließe“. Sie verlangen, dass die Regeln des Gemeinsamen Markts, insbesondere der freie Warenverkehr und die Personenfreizügigkeit, nicht in Frage gestellt werden. Protektionistische Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft zeigen jedoch bereits Resultate, wenn Automobilhersteller aus der Slowakei nach Frankreich rückverlagern. In einem Wettbewerb der Subventionen würden die osteuropäischen Länder gegenüber den reichen westlichen Nachbarn den Kürzeren ziehen.

Die Osteuropäer werden künftig noch mehr Regionalhilfen beanspruchen, weil sie nicht mehr so viel Wachstum aus eigener Kraft generieren können. Viele neue EU-Mitgliedstaaten setzen auf milliardenschwere, durch die EU finanzierte Infrastrukturprojekte als Konjunkturförderung.  Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn die osteuropäischen Länder, die in den letzten Jahren auf freien Markt pochten, mit tiefen Steuersätzen Firmen anlockten und sich dem Vorwurf des Sozial- und Fiskaldumpings ausgesetzt sahen, nun westliche Hilfe verlangen.

Der Euro verliert durch Osteuropas Probleme an Wert

Die Regierungen dieser Staaten möchten auch den Euro schneller einführen, um eine größere Stabilität zu erreichen und weil sie derzeit ihre Zinsen zur Verteidigung ihrer Währung höher halten müssen als dies aufgrund der konjunkturellen Lage angebracht ist. Die Befürchtung, dass die westlichen EU-Länder ihren östlichen Nachbarn aus der Patsche helfen müssen, hat den Euro bereits geschwächt.

Kritiker sagen, dass manche osteuropäischen Länder zu früh in die EU eingetreten sind, für diesen Schritt aber eigentlich noch nicht bereit waren. Die geliehenen Milliarden wurden für Bautätigkeit und Konsum verschwendet. Wieso sollte da Westeuropa helfen?

Wenn diese Hilfe erfolgt, so geschieht dies aus purem Eigeninteresse. Denn es ist wesentlich billiger, jetzt Finanzhilfe zu gewähren, als untätig zuzusehen, wie eine Wirtschaft, etwa in Ungarn oder Lettland, kollabiert. Die Folgen könnten dramatisch sein, und nicht nur in finanzwirtschaftlicher Hinsicht. Eine solche Katastrophe könnte nationalistischen und populistischen Kräften Auftrieb verleihen. Zentrifugale Kräfte könnten in Gang kommen, die den Bestand der EU in Frage stellen.

Falls die Märkte, die oftmals verborgenen und verdrängten Gefühlen und Ängsten Ausdruck verleihen, daran zweifeln, dass die europäische Solidarität existiert, kann das ebenfalls dramatische Folgen haben. Dass die Finanzsysteme und die Wirtschaften dieser Länder nicht aufgefangen werden könnten, würde die osteuropäischen Länder immer tiefer nach unten ziehеn und gewissermaßen zu einer sich selbst erfüllenden Vorhersage werden.

Chancen in der Krise

Strukturbereinigungen haben bekanntlich auch positive Seiten. Kleine und mittelständische Unternehmen im produzierenden Sektor sollten künftig mehr Beachtung und Unterstützung erhalten, denn sie gehören zu den Strukturen, die nachhaltiges Wachstum ermöglichen.

Der Anstieg von Löhnen und Preisen ist vorerst gebremst und zum Teil im Fallen begriffen. Somit entstehen wieder mehr Anreize, um in Osteuropa produzieren zu lassen oder selbst zu investieren. Die Kostenvorteile waren diesen Ländern in den letzten Jahren immer mehr abhanden gekommen. Die Abwertung der Währungen trägt zur Wettbewerbsfähigkeit bei – ein Mechanismus, von dem die Slowakei, Slowenien (Euro), Bulgarien und die Baltischen Länder (lokale Währung an Euro gebunden) jedoch nicht profitieren.

Der Wettbewerbsvorteil westlicher Unternehmen, über einen besseren Zugang zu Krediten zu verfügen, wird wieder bedeutsamer. Aufgrund der finanziellen Nöte mancher osteuropäischer Firmen werden auch günstige Übernahmen möglich.

Bei Export und Investitionen aus dem Westen gilt es zu eruieren, ob die betreffende Branche zu denjenigen mit strukturellem Nachholbedarf und längerfristigem Wachstumspotential gehört oder ob sie Teil einer Blase war. Wichtiger noch als in den rosigen Zeiten ist es, die Situation und Dynamik des jeweiligen Marktes (Region, Sektor) zu verstehen und auch genaue Abklärungen über die Firmen zu tätigen, mit denen man zusammenarbeiten will.

Antizyklisches Handeln kann sich lohnen – beim nächsten Aufschwung ist man vor Ort bereits etabliert.

*

Michael Derrer, Mag.res.pol., ist Consultant und Dolmetscher für Osteuropa. Er leitet die Firma Ascent Swiss Business Management, Dienstleister für westliche Unternehmen in den osteuropäischen Ländern.
www.ascent-ag.ch
contact@ascent-ag.ch

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