09.08.2023
17.04.2016
Europas Flüchtlingsdrama war gestern. Ein neues Thema beherrscht die Medien: die Panama-Papiere. Inhalt: geheime Konten in Steueroasen. Betroffen: Autokraten, Oligarchen, Kleptokraten und amtierende Politiker. Auffällig: ins Visier werden politische Eliten in Russland und China gerückt.
Ein Kommentar von Wilfried Arz
Veröffentlichungen geheimer Dokumente haben wiederholt weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Nicht erst seit Wikileaks 2010 (Julian Assange, Bradley Manning) über sensitives Material von US-Diplomaten und Amerikas Kriege im Irak und Afghanistan, sowie Enthüllungen von Edward Snowden über globale Datenspionage der USA 2013. Enthüllungsjournalisten und Whistleblower lancierten bereits viel früher politisch hochbrisante Themen an die Öffentlichkeit: die Pentagon-Papiere (1971) über geheime US-Operationen im Vietnamkrieg durch Daniel Ellsberg, den Watergate-Skandal (1973) über kriminelle Methoden im amerikanischen Wahlkampf unter Präsident Nixon (durch Bob Woodward und Carl Bernstein) und schließlich Enthüllungen über Israels geheimes Atomwaffenprogramm (1986) durch Mordechai Vanunu.
Seit April liefern Medien nun wieder ein globales Schlagzeilenspektakel: die Panama-Papiere. Autokraten, Oligarchen, Kleptokraten und amtierende Politiker transferieren zusammengeraffte Milliardenvermögen in sichere Steueroasen (der Karibik und den britischen Kanal-Inseln). Darum geht es in den Panama-Papieren, deren dosierte Veröffentlichungen zur Aufhellung dieser skandalösen Umtriebe beitragen sollen. Wirklich brisante Inhalte von politischer Tragweite werden nicht geboten. Dafür erlebt die Öffentlichkeit ein Musterbeispiel selektiv gesteuerter Preisgabe von Informationen. Zudem bleiben Motive der Übermittlung interner Dokumente der Anwaltskanzlei Mossack-Fonseca in Panama an die Süddeutsche Zeitung ebenso nebulös wie Identität/Anonymität des mysteriösen Unbekannten “John Doe”.
Erste Medienberichte über die Panama-Papiere wurden gezielt verknüpft mit dem korrupten Umfeld von Russlands Präsidenten Putin. Wohlgemerkt: Umfeld. Der Name Putin selbst taucht in den Panama-Papieren offenbar nicht auf.
Kleptokratisches Gebaren der politischen Klasse Russlands waren vor Veröffentlichungen der Panama-Papiere ohnehin bekannt. Doch bieten neue Details über Transfers von rund zwei Milliarden US-Dollar in Steueroasen - im Mittelpunkt wird der mit Putin eng befreundete russische Cellist Sergei Roldugin genannt - nun (endlich?) willkommenen Anlass, Amerikas politischen Widersacher Putin öffentlichkeitswirksam als Teil korrupter Netzwerke zu präsentieren und zu diskreditieren.
Russlands milliardenschwere Oligarchen im Westen kommen in den bislang durchgesickerten Inhalten der Panama-Papiere dagegen auffallend ungeschoren davon. Diese offensichtliche Einseitigkeit der Informationspreisgabe fügt sich in die westliche Stimmungsmache gegen Russland. Putin-bezogene Enthüllungen über Geheimkonten in Steueroasen liefern weitere Mosaiksteine im Informationskrieg gegen Russland. Neben aktuellen Kontroversen zwischen Washington und Moskau um Krim und Syrien rücken Russlands Wahlen 2018 näher. Schließlich vermuten Verschwörungstheorien hinter den Panama-Papieren gar eine Revanche Amerikas für Russlands Protektion von Edward Snowden und Julian Assange (Wikileaks).
Auch Chinas rote Aristokratie bekam in ersten Meldungen über die Panama-Papiere ihr Fett ab: Familienangehörige führender KP-Funktionäre sollen ebenfalls Unsummen in Steueroasen verstecken. Auch hier keine wirklichen Neuigkeiten, die das Attribut “Enthüllung” verdienten. Aufmerksame China-Beobachter werden bestätigen: Medien in Taiwan und Hongkong haben das Thema korrupter KP-Funktionäre und deren Nachwuchs vor Jahren schon in detaillierten Recherchen publik gemacht. Dennoch bringen die Panama-Papiere den seit 2013 amtierenden KP-Chef und Staatspräsidenten Xi Jinping in peinliche Bedrängnis.
Xi Jingping versetzt seit Jahren mit seiner landesweiten Anti-Korruptionskampagne Chinas KP-Funktionäre in Angst und Schrecken. Innenpolitisch zielt Xis Kampagne auf die Ausschaltung politischer Widersacher und deren einflussreicher Netzwerke. Zudem regt sich in weiten Bevölkerungskreisen Wut gegen weitverbreitete Korruption von KP-Kadern. Diese Stimmung könnte sich zu einem sozialen Pulverfass entwickeln und die Systemstabilität Chinas gefährden. Mit den Panama-Papieren wird Xi Jinping nun als doppelzüngiger KP-Funktionär demaskiert.
Neben Russland und China richteten Medienberichte über die Panama-Papiere ihr Visier in einem Atemzug auf weitere Vertreter der Eliten Asiens. Die Familie des Staatspräsidenten von Aserbaidschan, Ilham Aliyev, den ehemaligen Staatspräsidenten Irans, Mahmoud Ahmadinejad, den Staatspräsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Khalifa bin Zayed Al Naya von Dubai und die Familie des pakistanischen Regierungschefs Nawaz Sharif. Wohlgemerkt: alle genannten Politiker sind seit Jahren als Kleptokraten hinreichend bekannt. Dennoch dürfte die Auswahl nicht dem Zufall überlassen worden sein.
Die politischen Führer von Aserbaidschan, Iran, Dubai und Pakistan verbindet ein gemeinsames Profil: sie passen offenbar nicht mehr so recht in Amerikas geostrategische Interessen: • Das energiereiche Aserbaidschan entwickelt sich unter Ilham Aliyev zu einem Brennpunkt: Korruption, Unterdrückung politischer Opposition, Menschenrechtsverletzungen und der ungelöste Konflikt mit Armenien um Berg-Karabach. • Dubai positioniert sich seit Jahren als politischer Akteur mit destabilisierenden Folgen. • Pakistan bleibt unter Nawaz Sharif ein vom Zerfall bedrohter islamischer Atomwaffen-Staat, der zudem enge Beziehungen zu China pflegt. Das Nachbarland Afghanistan wird überschattet von einer potenziellen Machtübernahme durch die islamistischen Taliban. Regimewechsel in den genannten Ländern werden von US-amerikanischen Think Tanks seit langem diskutiert.
Die der Süddeutschen Zeitung übermittelten Dateien der panamaischen Anwaltskanzlei sollen rund 11,5 Millionen Dokumente auf 2.600 Gigabyte Speicherplatz umfassen. Ein Jahr lang wurden diese Dateien von weltweit rund 400 Journalisten algorithmisch ausgewertet. Die den Veröffentlichungen zugrunde gelegten Auswahlkriterien bleiben unklar. Zudem hatten offenbar nicht alle Journalisten uneingeschränkt freien Zugang zu den Dateien. Gab es eine Vorauswahl, politische Vorgaben für die Veröffentlichungen der Panama-Papiere?
Deutlich hingegen führen Wege von den Panama-Papieren in die USA. Eine zentrale Rolle bei der Auswertung spielte das Internationale Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) in Washington. Das ICIJ wird von US-Stiftungen (Ford, Rockefeller und der Open Society des Finanzspekulanten George Soros) finanziert. Das ICIJ wiederum ist Teil des Organized Crime and Corruption Reporting Project (Projekt Organisierte Kriminalität und Korruption) - finanziert von der US-Entwicklungshilfeorganisation USAID mit rund drei Millionen US-Dollar/Jahr. George Soros versucht seit Jahren über seine Nichtregierungsorganisationen in Russland politischen Einfluss zu gewinnen. Deshalb wird Soros auch ein besonderes Interesse an gezielten Veröffentlichungen diskreditierender Informationen gegen Wladimir Putin unterstellt. Was in den Papieren fehlt Ebenso wie Russlands Oligarchen glänzen auch amerikanische Steuerflüchtlinge in den portionierten Veröffentlichungen der Panama-Papiere durch Abwesenheit. Dort sollen zwar Namen von (nur) zweihundert US-Bürgern auftauchen, aber keine Offenlegung ihrer Identität erfolgen. Bekanntlich verfügen die USA selbst über eigene “Steueroasen” (Delware, Wyoming), in denen Milliardensummen deponiert werden. Auch über Namen von Mega-Steuerflüchtlingen aus Europa haben sich Medien in ihren Panama-Papieren bislang verdächtig ausgeschwiegen.
Die inszenierte Vermarktung der Panama-Papiere fällt in eine Zeit globaler Wirtschaftskrisen und Staatsverschuldungen, die von Lohnsenkungen, Arbeitsplatzverlusten, Sozialabbau und Verarmung begleitet werden. Ihr steht eine superreiche Elite gegenüber, die Billionen in Steueroasen versteckt. Eine unerträgliche Situation. Hier offenbaren die Panama-Papiere den eigentlichen Kern eines politisch hochbrisanten Pulverfasses - nicht nur in Eurasien.
Wilfried Arz ist Politikwissenschaftler in Bangkok/Thailand.
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