100 Tage Donald Tusk: Gute Noten in der BevölkerungPOLEN

100 Tage Donald Tusk: Gute Noten in der Bevölkerung

100 Tage Donald Tusk: Gute Noten in der Bevölkerung

Drei Stunden hatte der neue polnische Regierungschef Donald Tusk bei seinem Amtsantritt gesprochen. Am Sonntag hingegen reichten ihm 20 Minuten, um die Ergebnisse seiner ersten 100 Tage im Amt zusammenzufassen. Zu den größten Erfolgen dieser Zeit zählte Tusk die Änderungen in der Außenpolitik und den geplanten Rückzug der polnischen Truppen aus dem Irak noch in diesem Jahr.

Von Agnieszka Hreczuk

100 Tage nach der Wahl würden Umfragen zufolge fast 60 Prozent der Polen erneut die Bürgerplattform von Donald Tusk an die Regierung wählen.  
100 Tage nach der Wahl würden Umfragen zufolge fast 60 Prozent der Polen erneut die Bürgerplattform von Donald Tusk an die Regierung wählen.  

Außenpolitisch hat sich in Polen seit dem Abtritt der Regierung Kaczynski einiges getan. Unter Radoslaw Sikorski, dem neuen Außenminister, tritt Polen in Verhandlungen mit den USA härter auf, gegenüber Russland hingegen zeigt es sich kompromissbereiter. Zum ersten Mal seit 2003 besuchte im Februar dieses Jahres ein polnischer Ministerpräsident die russische Hauptstadt. Schon vorher hatten die Polen ihr Veto in den Verhandlungen zwischen Russland und der OECD zurückgezogen, Moskau hob daraufhin das Einfuhrverbot für polnisches Fleisch auf. Weitere Zugeständnisse machte der russische Präsident Wladimir Putin seinem polnischen Gast Donald Tusk zwar nicht, etwa in der Frage der Ostsee-Pipelines oder des Raketenabwehrschirm. Dennoch wurde der Besuch selbst als ein Zeichen des Tauwetters in den gegenseitigen Beziehungen beider Länder gewertet.

Außer Moskau besuchte Tusk in den ersten Tagen seiner Amtszeit weitere europäische Partner Polens: Er war in Vilnius und in Paris, im Vatikan, in Brüssel, Prag und Berlin. Und obwohl auch seine Regierung gegen Erika Steinbach und ihre Idee eines Zentrum gegen Vertreibungen protestiert, gab Tusk sein Einverständnis zu einer von der Bundesregierung geplanten Institution unter dem Arbeitstitel „Sichtbares Zeichen“.

Polen und die USA – eine Ernüchterung

Einzig und allein Washington wartet bisher noch auf einen Besuch des polnischen Premiers. Mit dieser Politik, erklären Beobachter, wolle Donald Tusk zeigen, dass Polen die USA nicht anders behandle als seine strategischen Partner in Europa. In der Tat gehen die Verhandlungen um das Raketenabwehrsystem inzwischen schwerer voran als in der Regierungszeit von Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski. „Raketenschirm ja – aber nur, wenn er deutliche Vorteile für Polen mit sich bringt“, heißt jetzt das Prinzip. Polnischen Medien zufolge wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Verhandlungen scheitern, immer größer.

In der polnischen Innenpolitik allerdings läuft die Sache nicht ganz so gut. Zum ersten Mal seit Jahren sinkt die Zufriedenheit der Polen mit ihrer Situation. Seit Anfang des Jahres fordern immer neue Berufsgruppen Gehaltserhöhungen. Nach den Medizinern schlossen sich nun auch Lehrer, Bahnmitarbeiter, Bergleute und Bauern den Protesten an.

Die Regierung lehnt deren Forderungen ab. „Keine Gehalterhöhung ohne nötige Reformen“, erklärte Ewa Kopacz, die Gesundheitsministerin, den streikenden Ärzten. Das gesamte Gesundheitssystem müsse reformiert werden, genau wie das Bildungssystem. Erst dann könne sich Wirtschaftswachstum auch in den Gehältern widerspiegeln.

Fast 60 Prozent würden Tusk wieder wählen

Während viele Experten diese Politik loben, weisen andere darauf hin, dass Reformpläne in den meisten Gebieten bisher entweder gar nicht vorgestellt worden sind oder aber über die notwendigen Änderungen keine Einigkeit besteht. 100 Tage seien für die neue Regierung zu wenig, um die nötigen Änderungen durchzuführen, meinen Beobachter. Allerdings verwundert, dass Tusks Bürgerplattform, die sieben Jahre lang in der Opposition war und einst sogar ein eigenes Schattenkabinett angekündigt hatte, in dieser Zeit offenbar keinen einzigen Gesetzentwurf ausgearbeitet hat. Außer auf ein paar Stichpunkte und Slogans konnten sich die Politiker der Bürgerplattform bisher nicht auf konkrete Maßnahmen einigen. „Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich die Sache in den nächsten Monaten schlagartig entwickelt“, kommentiert der Politologe Marek Migalski aus der Schlesischen Universität Kattowitz.

100 Tage nach der Wahl würden Umfragen zufolge fast 60 Prozent der Polen erneut die Bürgerplattform an die Regierung wählen. Nur jeder Vierte unterstützt die oppositionelle Partei Recht und Gerechtigkeit von Jaroslaw Kaczynski. Die anderen Parteien mit jeweils weniger als fünf Prozent der Stimmen sind in der polnischen Politik kaum mehr von Gewicht. Tusk ist damit hinter Kazimierz Marcinkiewicz, der das Land zwischen Oktober 2005 und Juli 2006 regierte, der populärste Ministerpräsident in Polen seit 1989. Die besten Noten in der Regierung erteilen die Wähler Donald Tusk selbst und seinem Außenminister Radoslaw Sikorski.

Wie Jäger Kaczynski das polnische Rotkäppchen retten möchte

Die Opposition allerdings hat Tusk schon vor seiner Rede am Sonntag scharf kritisiert. „Schluss mit den Lügen“, rief Tusks Vorgänger Jaroslaw Kaczynski die Regierung am Samstag auf. Kaczynski wirft dem Premier vor, keine eigenen Ideen mitzubringen und lediglich die Projekte seiner Regierung fortzuführen. „Ich warte auf Taten, nicht nur auf Worte“, kommentierte Kaczynski die Jubiläumsrede. Und zu den Plänen der Regierung bis 2015 sagte er: „Jeder darf träumen.” Auch die Linken kritisierten die Regierung. Keines der Versprechen, die Tusk im Wahlkampf gemacht habe, sei bisher erfüllt worden, meint Wojciech Olejniczak, der Vorsitzende der Linken und Demokraten.

Unmittelbar nach der Jubiläumsrede stellte die Regierung weitere Pläne vor: schrittweise für die nächsten 300 Tage, die nächsten drei Jahre und dann bis 2015 – sollte die Bürgerplattform auch nach der Wahl 2011 an der Macht bleiben. Zu den wichtigsten Zielen gehören die Einführung einer einheitlichen Steuer, Vereinfachungen und Kostenersparnisse in der Verwaltung, die Einführung einer Berufsarmee und die Abschaffung der zweiten Parlamentskammer.

Nie zuvor hatte die Bilanz der ersten 100 Amtstage einer Regierung in Polen für derartiges mediales Interesse gesorgt. Die Parteien setzen damit das Prinzip ihrer Wahlkampagne fort: tagelange Berichtserstattung in allen Medien, große Shows, Fernsehspots und multimediale Konferenzen. In der vergangenen Woche präsentierte die Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit einen Werbespot im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, in dem Tusk einen bösen Wolf spielt und sein Gegner und Vorgänger Jaroslaw Kaczynski einen Jäger, der Rotkäppchen und seine Oma vor dem bösen Tusk retten will.

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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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