Auf Kuba lebt die russisch-orthodoxe KircheEM-INTERVIEW

„Ein Gebetsraum, ein Bus und die Gitarre“

Auf Kuba lebt die russisch-orthodoxe Kirche

Die schneeweiße „Gottesmutter-von-Kazan-Kathedrale“ in der Altstadt von Havanna ist die größte auf dem amerikanischen Kontinent. Als Zeichen der kubanisch-russischen Freundschaft, die die sowjetischen Zeiten anscheinend bruchlos überdauert hat, stimmte Kubas ehemaliger Staatschef Fidel Castro vor zehn Jahren dem Bau des orthodoxen Gotteshauses zu. Die Kathedrale und das integrierte Kulturzentrum „Russisches Haus“ führen heute ein reges Gemeindeleben, verflechten russische religiöse und sowjetische politische Traditionen: sie vermitteln Stile der Ikonenmalerei ebenso wie die nationalen Symbolika Russlands. Orthodoxe Geistliche besuchen Schulen und Kindergärten, aber auch die Gedenkstätte sowjetischer Soldaten. Gefeiert werden nicht nur Weihnachten und Ostern, sondern auch der Internationale Frauentag am 8. März und am 9. Mai der Tag des Sieges. Julia Schatte hat den Priester der Gemeinde, Dimitrij Orechow, interviewt.

Von Julia Schatte

Julia Schatte beim Interview mit Priester Dimitrij Orechow in seinem Arbeitszimmer.
Julia Schatte beim Interview mit Priester Dimitrij Orechow in seinem Arbeitszimmer.
Foto: Schatte

Eurasisches Magazin: Wie viele Jahre sind Sie bereits Priester in der Orthodoxen Gemeinde auf Kuba?

Dimitrij Orechow: Jetzt sind es eineinhalb Jahre, vorher war ich fünf Jahre in Marokko. Priester bin ich bereits seit 15 Jahren, war schon in Moskau, in der Nähe Moskaus und in russischen Provinzen tätig.

EM: Ist es ein Zufall, dass Sie jetzt in Havanna sind?

Orechow: Für einen Christen geschieht nichts durch Zufall, es ist alles Gottes Wille. Von außen gesehen ist es sicher ein Zufall, aus geistlicher Sicht natürlich nicht.

EM . Seit wann existiert das orthodoxe Gotteshaus?

Orechow: Die Kathedrale ist auf Wunsch der russischen Diaspora erbaut worden, darunter sind viele Frauen, die mit Kubanern verheiratet sind und hier leben, Diplomaten der russischen, weißrussischen, ukrainischen, bulgarischen und serbischen Botschaften und Konsulate, sowie Studenten.

Seit den 50-er Jahren gab es in Kuba aber eine griechisch-orthodoxe Gemeinde, in dieser Zeit wurde auch die erste orthodoxe Heiliger Konstantin-und Helena-Kirche erbaut. Nach dem Sieg der kubanischen Revolution 1959 emigrierte die griechische Gemeinde in die Vereinigten Staaten und das Gotteshaus wurde der russischen Gemeinde übergeben.  So wie es in sowjetischer Zeit üblich war, wurde Ende der 70-er/Anfang der 80-er Jahre dann aber ein Jugendtheater daraus.

Diese Gemeinde existiert seit 2001, da erhielt der Priester die Erlaubnis, hierher zu kommen, 2004 wurde der Bau unserer Kathedrale beschlossen, 2008 wurde sie schließlich fertig. Die Kathedrale ist der Gottesmutter von Kazan geweiht und untersteht dem Moskauer Patriarchat. Sie ist sie größte auf dem amerikanischen Kontinent. Mit ihren fünf Kuppeln und dem im Stil des 17.Jh. erbauten Glockenturm erinnert sie an die Blagoveshenskij-Kathedrale im Moskauer Kreml.

Schild vor dem Eingang zur Kirche: „Heilige Russisch-Orthodoxe Kathedrale“.
Schild vor dem Eingang zur Kirche: „Heilige Russisch-Orthodoxe Kathedrale“.
Foto: Schatte

„Es kommen sogar Leute aus den Provinzen zu uns, obwohl  es auf Kuba sehr schwer ist, von Stadt zu Stadt zu reisen“

EM: Welche Aufgabe hat das „Russische Haus“ neben der Kathedrale?

Orechow: Das „Russische Haus“ ist eine Art kulturelles Zentrum, es soll Besucher mit den russischen Traditionen und Bräuchen bekannt machen. Wir haben eine eigene Bibliothek und eine kleine Videothek.  Unser kleiner Chor probt hier,  es finden Festlichkeiten z.B. zum 8. März statt, Konzerte und Ausstellungen.

In unseren Ausstellungsräumen hängen Fotos verschiedener Kirchen und Kathedralen in Russland, so dass kubanische Besucher auch die Unterschiede und Besonderheiten ihrer Architektur wahrnehmen können. Für viele Kubaner ist es ein Kulturschock, wenn sie auf den Fotos Kirchen inmitten einer Schneelandschaft sehen. Unsere Kathedrale hat ja keine Fresken, keine Malerei. Darum möchten wir den Besuchern auch zeigen, welche kunstvollen Innengestaltungen, welche Formen der Ikonenmalerei es gibt. 

Auf weiteren Fotos sieht man Erinnerungen an unsere Festlichkeiten, an Trauungen, an die Besuche orthodoxer Geistlicher bei der Gedenkstätte für sowjetische Soldaten.
Außerdem  bieten wir kostenlosen  Russischunterricht an, dieses Jahr haben wir ca. 50 Kursteilnehmer. Darüber hinaus zeigen wir Filme zu orthodoxen Themen, im Sommer auch einfach aktuelle russische Filme. Im Rahmen der Sonntagsschule  gibt es Vorträge zur russischen orthodoxen Kultur. Es kommen sogar Leute aus den Provinzen zu uns, obwohl  es auf Kuba sehr schwer ist, von Stadt zu Stadt zu reisen.

Natürlich versuchen wir Bedürftigen zu helfen, bemühen uns um persönliche, individuelle Hilfe für Invaliden und Veteranen.

EM: Gibt es auch orthodoxe Gemeinden  und Aktivitäten in anderen kubanischen Städten?

Orechow: Gemeinden gibt es zum Beispiel in Santiago, in Ciego de Avila und Camagüey, aber ein Gotteshaus haben wir nur in Havanna. Die Aktivitäten sind also hauptsächlich beschränkt auf unsere missionarischen Fahrten in diese Städte. Wir haben aber auch Gottesdienste in Privatwohnungen abgehalten und in Räumen, die uns die katholische Kirche zur Verfügung gestellt hat.

EM: Wenn die Menschen in die Kathedrale kommen, was erwarten sie, Ihrer Meinung nach? Ist es für sie zunächst ein religiöser Ort, ist es ein russisches Kulturzentrum, ist es eine staatliche Vertretung?

Orechow: Wir sind hier auch inmitten der Altstadt von Havanna, die touristisch und kulturell sehr bedeutsam ist. Unsere Gemeinde wird als sehr organisch wahrgenommen. Die Leute glauben oft nicht, dass die Kathedrale erst vor einigen Jahren errichtet wurde, man meint, sie wäre schon immer da gewesen.  Generell sind Kubaner mit der sowjetischen und auch der russischen Kultur seit langem vertraut. Sie nehmen daher auch unsere Anwesenheit sehr positiv  und mit großem Interesse auf.

Meist kommen die Kubaner in der Woche zu Gottesdiensten oder um eine Kerze aufzustellen, sie gehen in die Bibliothek oder zu einer unserer Filmvorführungen. Sicher hoffen sie auch auf Zuwendungen oder Geschenke von uns, besonders zu den Feiertagen.

In den letzten vier Jahren wurden 15 Kubaner auch orthodox getauft. Oft sind das junge Leute, die auch den Russischunterricht besuchten und gern in der Tourismusbranche tätig sein wollen.

Russisch- Orthodoxe „Gottesmutter-von-Kazan-Kathedrale“ in der Altstadt von Havanna.
Russisch- Orthodoxe „Gottesmutter-von-Kazan-Kathedrale“ in der Altstadt von Havanna.
Foto: Schatte

„Bei uns finden keine politischen Veranstaltungen statt, sondern nur kulturelle“

EM: Wie oft haben Sie offiziellen Besuch aus Moskau?

Orechow: Sehr oft, ich kann schon gar nicht mehr alle aufzählen. Delegierte waren hier, natürlich der Präsident und der Patriarch.

EM: Sie haben einen speziellen Raum mit russländischen nationalen Symbolika: der Fahne, dem Wappen. Welche Verbindung sehen Sie zu Ihrer Kirche?

Orechow: Diese Symbolika befinden sich im sogenannten „Russischen Haus“, es sind separate Räume. Sie gehören nicht zu der Kirche selbst. Es sind auch nationale Symbole, keine politischen. Die zeigen einfach, dass es eine russische Kirche ist und diese Symbolika gehören auch zum Ursprung der „russischen Welt“. Bei uns finden auch keine politischen Veranstaltungen statt, sondern nur kulturelle.

EM: Wie ist Ihr Verhältnis zu den kubanischen Behörden?

Orechow: Es ist sehr gut, denn auch die Kathedrale wurde ja mit vereinten Kräften gebaut. Es gab einige Treffen zwischen dem Pariarchen und Fidel Castro. Castro selbst hat sich dafür eingesetzt, dass die Kirche groß werden sollte, ebenso wie das freundschaftliche Verhältnis zwischen Kubanern und Russen. Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas hilft uns oft bei administrativen Fragen. Wir laden sie zu orthodoxen Feiertagen zu uns ein, sie uns wiederum zum 1. Mai. Ich hatte auch schon Besuch von der kubanischen Presse und gab einige Interviews.

„Wir haben hier nicht das Gefühl, im Ausland zu sein“

EM: Die Aktivitäten der Gemeinde werden also von offizieller Seite unterstützt?

Orechow: Nicht nur unterstützt, sie werden auch gefördert. Wir haben hier oft nicht das Gefühl, im Ausland zu sein, wir sprechen jeden Tag russisch, viele Kubaner sprechen auch russisch. Das Gemeindeleben ist genauso aktiv, wie in der Heimat.

EM: Wie ist der Kontakt zur Katholischen Kirche?

Orechow: Wir sprechen uns in allen wichtigen Fragen ab. Wir werden auch zu Treffen oder Konferenzen eingeladen, natürlich auch, als der Papst Kuba besuchte. Katholiken kommen auch in unsere Gemeinde, allein schon aus Neugier, und um mehr über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erfahren. Proselytismus betreiben wir jedoch nicht, wir werben niemanden ab, wir achten die traditionelle Konfession des Landes.

Wenn ich kubanische Provinzen besuche und dort Gottesdienste abhalten möchte, spreche ich das mit den katholischen Bischöfen der Regionen ab. Wir bekommen dann Gebetsräume zur Verfügung gestellt, einen Bus und eine Gitarre, um auch mal ein Konzert zu organisieren. Gemeinsame Projekte mit der Katholischen Kirche haben wir jedoch nicht.

EM: Gibt es dennoch auch Konflikte?  Religiöse oder offizielle Vereinigungen , die Ihnen nicht wohl gesonnen sind?

Orechow: Es gibt immer wieder Angriffe seitens verschiedener Sekten wie z.B. den Adventisten des Siebenten Tages. Sie versuchen, unsere Traditionen und Werte auf respektlose Weise in Frage zu stellen. Sie schwärzen uns an und meinen, unsere tief verwurzelten Vorstellungen von Gut und Böse verwischen zu können. Ein Dialog ist aber nur möglich, wenn man einander mit Achtung begegnet.

EM: Verfolgen Sie religiöse Ereignisse oder Diskussionen in Russland? Welche Medien lesen Sie?

Orechow: Ja, die verfolge ich, halte mich aber an die offiziellen Seiten wie Partiarchat.ru und Pravoslavie.ru. Für andere, populistischere Medien bleibt kaum Zeit, auch wird die Realität darin nicht exakt abgebildet. Zudem ist die Internetverbindung auf Kuba äußerst langsam, es macht viel Mühe, eine Seite aufzurufen. Ich war auch als Priester in Moskau tätig und kann mir über viele Themen aus meiner eigenen Erfahrung heraus selbst ein Urteil bilden. Ich mag daher keine Medien, in denen mir vorgefertigte Meinungen vorgehalten werden.

Touristen vor der dreistufigen Ikonostase in der Kathedrale von Havanna.
Touristen vor der dreistufigen Ikonostase in der Kathedrale von Havanna.
Foto: Schatte

„Die Kirche ist für die Gesellschaft wichtiger geworden“

EM: Denken Sie, dass die Ereignisse und Diskussionen der letzten zwei Jahre über Kirche und Orthodoxie das Verhältnis zur Russisch-Orthodoxen Kirche verändert haben?

Orechow: Ich meine, es hat sich verändert. Vorher war die Kirche säkularisiert und getrennt von der Gesellschaft.  Jetzt gibt es vielleicht auch durch die letzten Ereignisse und die kontroversen Medienberichte mehr gesellschaftliches Bewusstsein, mehr Interesse und auch mehr Kenntnisse über  kirchliche Angelegenheiten. Die Kirche ist für die Gesellschaft wichtiger geworden. Egal ob positive oder negative Aspekte diskutiert werden, es gibt generell mehr Information und die Gesellschaft ist nicht mehr gleichgültig.

Die Kirche hat dadurch auch mehr Einfluss auf die Bildung der öffentlichen Meinung. Sie arbeitet momentan an einer sozialen orthodoxen Konzeption z.B. zu Themen wie dem Umgang mit Bedürftigen oder der Kindererziehung- und bildung, sie formuliert ihre offizielle Position zu gesellschaftlichen Fragen. Die öffentliche Resonanz ist somit äußerst wichtig.

EM: Wichtig ist also sowohl  positive als auch negative Resonanz?

Orechow: Negative Resonanz ist doch ein relativer Begriff. In der ganzen Bibel findet sich zum Beispiel kein Wort wie „Problem“. Etwas als Problem zu betrachten, ist dem Christen also nicht eigen. Natürlich gibt es immer Missverständnisse oder Hindernisse, die man zu überwinden sucht. Aber das gehört zum Menschenleben dazu, es ist nichts speziell Negatives. Die Kirche ist ja der Träger höherer geistlicher und moralischer Werte, aber dennoch ist sie Teil unserer Welt mit all ihren Veränderungen und Herausforderungen.

„Wir werden nicht für aufgrund unserer Leistungen irgendwohin gesandt, sondern um diese Leistungen zu vollbringen“

EM: Werden diese Veränderungen auch in Ihrer Gemeinde diskutiert?

Orechow: Weniger, wir haben hier leider nicht das Niveau und den Grad an Informiertheit, um diese Dinge zu diskutieren. Zeitungen erscheinen oft verspätet, die meisten Menschen hier haben keinen oder kaum Zugang zum Internet,  somit bekommen sie neue Tendenzen oft nicht mit. Und es gibt auch kaum spanischsprachige Literatur über die Orthodoxie. Manchmal helfen uns aber Studenten bei Übersetzungen.

EM: Wie lange möchten Sie auf Kuba bleiben?

Orechow: Ich sehe es so: an jedem Ort, zu dem man kommt, muss man sich einen Platz auf den Friedhof suchen.  Man muss bereit sein, sein Leben dort zu verbringen, es nicht nur als eine Station auf seinem Weg zu sehen. Nur so kann man seine Pflichten und Aufgaben langfristig ernst nehmen. Wir werden nicht für aufgrund unserer Leistungen irgendwohin gesandt, sondern um diese Leistungen zu vollbringen. Zudem bin ich Priester und kein religiöser Tourist.

EM: Herr Orechow, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.

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