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EUROPÄISCHE INTEGRATION
Von Hartmut Wagner
Richard N. Graf Coudenhove-Kalergi (1894-1972) |
r gilt als Begründer der ersten europäischen Einigungsbewegung – der Paneuropa-Bewegung. Otto von Habsburg verficht gar den Standpunkt, ohne Richard N. Graf Coudenhove-Kalergi (1894-1972) gäbe es heute keine Europäische Union.
Die französischen Europapolitiker Jean Monnet oder Robert Schuman sind einer großen Zahl von Europäern ein Begriff, Coudenhove-Kalergi ist weit weniger bekannt. Zu Unrecht. Am 17. November hätte Coudenhove-Kalergi seinen 110. Geburtstag begangen. Kein zwingender, aber doch ein willkommener Anlaß, um an die Arbeit des politischen Schriftstellers zu erinnern.
Coudenhove-Kalergi wuchs in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie auf, im westböhmischen Schloß Ronsberg seiner Eltern. Seinen Doppelnamen trägt der Graf bereits von Geburt an. Er geht zurück auf die Hochzeit seiner Großeltern, Franz Coudenhove und Marie Kalergi. Nach dem Zusammenbruch der KuK-Monarchie nahm Richard Coudenhove-Kalergi erst die tschechoslowakische, dann die französische Staatsbürgerschaft an. Eigentlich wollte er Philosoph oder mindestens Professor für Philosophie werden. Der Erste Weltkrieg aber brachte ihn zur Politik. „Den ersten Weltkrieg empfand ich als Bürgerkrieg zwischen Europäern: als Katastrophe erster Ordnung,“ faßte der Schriftsteller seine damalige Haltung später zusammen.
Auf Schloß Würting in Oberösterreich schrieb Coudenhove-Kalergi im Jahr 1923 sein programmatisches Buch „Pan-Europa“. Im gleichen Jahr also, als Adolf Hitler mit dem „Marsch auf die Feldherrnhalle“ den nationalsozialistischen und die „proletarischen Hundertschaften“ der KPD den kommunistischen Umsturz in Deutschland versuchten. Das politische Manifest des Grafen zeigte eine alternative Entwicklungsperspektive für Deutschland und Europa auf – die Bildung eines Staatenbundes von Polen bis Portugal. Er nannte ihn wahlweise die Paneuropäische Union oder die Vereinigten Staaten von Europa.
1924 gründete Coudenhove-Kalergi die Paneuropa-Bewegung, die bald die Unterstützung prominenter europäischer Politiker erhielt: Österreichs Bundeskanzler und sein Stellvertreter, Ignaz Seipel und Karl Renner, führten das Präsidium der österreichischen Sektion der Paneuropa-Bewegung. Der französische Außenminister und Friedensnobelpreisträger Aristide Briand übernahm das Amt des Ehrenpräsidenten der Internationalen Paneuropa-Union. Auch der tschechoslowakische Außenminister Edward Benesch , sowie der französische Ministerpräsident Edouard Herriot schlossen sich der Paneuropa-Bewegung an. Coudenhove-Kalergi war bis zu seinem Tod 1972 Internationaler Präsident der von ihm ins Leben gerufenen Bewegung. Sein Nachfolger in diesem Amt ist heute Otto von Habsburg, der älteste Sohn des letzten österreichischen Kaisers Karl I.
Mit seiner Paneuropa-Bewegung machte Coudenhove-Kalergi den Begriff Europa, der bis dato nahezu ausschließlich geographisch verwandt wurde, zu einem Politikum. Folgerichtig wurde der Graf 1950 erster Preisträger des Internationalen Karlspreises zu Aachen, mit dem
Persönlichkeiten und Institutionen ausgezeichnet werden, die sich um Europa und die europäische Einigung verdient gemacht haben. Jean Monnet (1953) und Robert Schuman (1958) erhielten diese ruhmreiche Auszeichnung erst später.
Was bezweckte Graf Coudenhove-Kalergi mit der Gründung einer Paneuropäischen Union? Antworten hierauf finden sich in seinem Werk „Pan-Europa“ aus dem Jahr 1923, auf das sich die folgenden Ausführungen beziehen. Seine ehrgeizigen politischen Ziele begründete der Vorkämpfer Europas mit den sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Vorteilen, die den Europäern durch ihre Verwirklichung entstünden. Paneuropa sei „stark genug, jede militärische Invasion und jede wirtschaftliche Konkurrenz erfolgreich abzuwehren.“ Die Sicherung von Frieden und Wohlstand in Europa haben für den Grafen Priorität. Beides sieht er durch zwei Großmächte außerhalb Paneuropas in Gefahr: Rußland und die USA.
Der Frieden Europas ist nach Auffassung von Coudenhove-Kalergi in erster Linie durch eine russische Invasion gefährdet. Rußland wäre zu Lande der einzige Nachbar einer Paneuropäischen Union gewesen, abgesehen von der kurzen Grenze zur Türkei. Dem „Drang nach Osten“, der oftmals der deutschen Außenpolitik nachgesagt wurde, stellt Coudenhove-Kalergi einen „Drang nach Westen“ seitens Rußlands gegenüber. Der Wille, Europa zu beherrschen, sei eine Konstante der russischen Politik. Auch die Oktoberrevolution von 1917 habe daran nichts geändert. Was dem Zarenreich im Ersten Weltkrieg mißlang, hätten die Bolschewiki wenig später versucht mit der kommunistischen Weltrevolution zu erreichen. Allein eine Paneuropäische Union verfügte über die militärische Macht, die Westexpansion Rußlands verhindern zu können. Erstens könnten seine Gliedsstaaten mit ihrer doppelt so hohen Einwohnerzahl wie das russische, bzw. sowjetische Imperium auch eine doppelt so große Armee aufstellen, zweitens komme Paneuropa seine höherentwickelte Industrie zu Paß.
Die Frage nach den Grenzen Europas ist so alt wie die Geschichte der europäischen Integration. Auch Coudenhove-Kalergi nimmt sich dieser Frage an. Er stellt klar, daß sein Verständnis von Europa ein politisches ist, die Grenzen Paneuropas daher nach politischen Gesichtspunkten gezogen werden müßten. Eurasien ist hingegen für Coudenhove-Kalergi – anders als etwa für die Geopolitiker Karl Haushofer („Der Kontinentalblock“, 1941) und Zbigniew Brzezinski („Die einzige Weltmacht“, 1999) – ausschließlich eine geographische Einheit: „Geographisch gibt es keinen europäischen Kontinent. Es gibt nur eine europäische Halbinsel des eurasischen Kontinents.“
Das Territorium Europas ist durch die russische Oktoberrevolution halbiert worden, konstatiert Coudenhove-Kalergi im Jahr 1923. Rußland habe sich durch die Einführung des Sowjetsystems von Europa losgesagt. Der Graf teilt das geographische Europa in zwei politische Teile: einerseits die 26 überwiegend demokratischen Staaten eines zukünftigen Paneuropas, andererseits die kommunistische Sowjetunion. Großbritannien konnte nach Auffassung von Coudenhove-Kalergi nicht Mitglied Paneuropas werden, da das damals noch bestehende britische Imperium ein eigenständiges Weltreich darstelle. Die Türkei sollte ebenfalls nicht an Paneuropa angeschlossen werden, da es politisch zu Asien gehöre. In seiner Dankesrede anläßlich der Verleihung des Aachener Karlspreises, ein Vierteljahrhundert nach Erscheinen des Manifestes „Pan-Europa“, nannte der Graf die Türkei jedoch als Bestandteil Europas.
Als politisches Ziel lag Coudenhove-Kalergi Ameropa wesentlich näher als Eurasien. Rußland, den größten eurasischen Staat, stufte er als „unkultiviertestes Land Europas“ ein, die USA hielt er hingegen für „das reichste, mächtigste und fortgeschrittenste Land der Welt“. Immer wieder weist der Schriftsteller auf die Vorbildrolle hin, die die USA und die panamerikanische Bewegung für die Gründung Paneuropas spielen sollten. Schon allein die Bezeichnung die „Vereinigten Staaten von Europa“, mit der Coudenhove-Kalergi den von ihm propagierten Staatenbund immer wieder belegte, macht dies deutlich. Als internationale Verkehrssprache innerhalb Paneuropas präferierte der Graf Englisch.
Analog zur panamerikanischen Bewegung forderte Coudenhove-Kalergi: „Europa den Europäern!“. Ebenso wie sich die USA mittels der Monroe-Doktrin (1823) jede Einmischung von nichtamerikanischen Staaten in die Angelegenheiten des gesamten amerikanischen Kontinents verbat, sollten sich die Europäer gegen die Einflußnahme außereuropäischer Mächte schützen.
Coudenhove-Kalergi hat die einzelnen Schritte, die zur Gründung der Paneuropäischen Union führen sollten, bereits 1923 genannt: Einberufung einer paneuropäischen Konferenz, Unterzeichnung eines gemeinsamen Schieds- und Garantievertrages durch jedes Mitgliedsland und die Gründung einer paneuropäischen Zollunion. Die Krönung wäre schließlich die Konstituierung der Vereinigten Staaten von Europa nach dem Muster der USA. Selbst die Flagge des künftigen Staatenbundes hat Coudenhove-Kalergi entworfen: ein rotes Kreuz auf goldener Sonne. Das Sonnenkreuz solle zum Symbol werden für ein einiges Weltreich des Friedens und der Freiheit, der Humanität und der Vernunft.
Das Gros der Äußerungen aus Coudenhove-Kalergis „Pan-Europa“ entspricht bis heute den Grundüberzeugungen von Europabefürwortern. Ansichten, wie sie der Graf zur kulturellen Aufgabe der Europäer vorträgt, sind jedoch durchaus kritikwürdig. Coudenhove-Kalergi spricht ausdrücklich von der Kulturmission, zu der die Europäer berufen seien. So müßten etwa die afrikanischen Kolonien der europäischen Staaten „kulturell erschlossen werden“. Missionarischer Eifer, wie er sich hier manifestiert, ist freilich auch heutzutage noch verbreitet. Selten wird er aber so explizit manifestiert.
Coudenhove-Kalergis Schrift „Pan-Europa“ garantiert auch heutzutage noch, über ein Dreivierteljahrhundert nach seinem Erscheinen, eine gewinnbringende Lektüre. Der Stil des Verfassers gefällt durch Präzision und Verständlichkeit. Bei manchen seiner Einschätzungen, liegt aber der Verdacht nahe, daß weniger die Analyse der europäischen Wirklichkeit, als vielmehr Zweckoptimismus der Vater des Gedankens war. So äußert Coudenhove-Kalergi beispielsweise die Meinung, daß die Initiative zur Gründung Paneuropas „auf dem ganzen Kontinent ein begeistertes Echo wecken würde“. Daß er sich – bedauerlicherweise – in diesem Punkt irrte, zeigte die Geschichte: das Aufkommen des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus und natürlich der Zweite Weltkrieg. Erst diese größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts machte es möglich, Coudenhove-Kalergis Ideale einer europäischen Integration schrittweise zu verwirklichen. Zu den Vereinigten Staaten von Europa ist es indes noch ein weiter Weg.
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Das Buch „Pan-Europa“ von Richard N. Coudenhove-Kalergi wird vom Pan-Europa-Verlag verlegt. Der 1998 erschienene Faksimile-Nachdruck (178 Seiten) der Erstveröffentlichung von 1923 enthält auch eine kurze Geschichte der Paneuropa-Bewegung.
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