Die unentdeckte Perle am MittelmeerALBANIEN

Die unentdeckte Perle am Mittelmeer

Die unentdeckte Perle am Mittelmeer

Ende Juni wählte Albanien ein neues Parlament. Das kleine Balkanland, das über 40 Jahre vollständig isoliert war, hofft nach dem NATO-Beitritt vom April auf ein besseres Image im Westen. Mit seinem touristischen Potential will es nun seine Wirtschaft in Schwung bringen. Zwischen Betonbunkern und Badebuchten, liegt ein kleines Paradies. 362 Kilometer Küste – ein verlockendes Urlaubsdorado. Doch ein neues Mallorca für Westeuropäer wird Albanien wohl kaum. Es ist eher ein Geheimtipp für Individualtouristen.

Von Norbert Rütsche

Zu Hunderttausenden überziehen sie das ganze Land – am Straßenrand genauso wie entlang der Küste, neben Schulen nicht anders als in Parkanlagen oder auf freiem Feld: die kleinen Einmann-Bunker aus Beton, die wie Champignons aus dem Boden ragen. Sie zeugen von einer Zeit, als sich Albanien – und vor allem dessen stalinistischer Diktator Enver Hoxha – von allen Seiten bedroht fühlte. Am meisten aus dem Süden, vom Nachbarn und Nato-Mitglied Griechenland. Die Pilzköpfe aus Beton, jeder mit einer Schießscharte in Richtung Feind ausgestattet, sind das sichtbarste Überbleibsel von mehr als 40 Jahren Isolation und kommunistischer Diktatur, die 1990 in sich zusammenbrach.

Wo sich Adriatisches und Ionisches Meer treffen

  Sechs Jahrzehnte vom Kommunismus gebeutelt
  Nach der Befreiung vom Faschismus errichtete Partisanenführer Enver Hoxha in Albanien eine kommunistische Diktatur stalinistischer Prägung. Daran hielt er auch nach der Entstalinisierung in der Sowjetunion fest, 1961 kam es deshalb zum Bruch mit Moskau. Hoxha suchte nun die Nähe zur Volksrepublik China.

1967 trat Albanien aus dem Warschauer Pakt aus, der Diktator verhängte ein vollständiges Religionsverbot über das Land. 1978 brach er auch mit Peking, Albanien war fortan vollständig isoliert.

1985 starb Enver Hoxha. Zu seinem Nachfolger wurde der Parteifunktionär Ramiz Alia bestimmt, der eine zaghafte außenpolitische Öffnung seines Landes einleitete. 1990 wurde das kommunistische Regime gestürzt, es setzte ein Massenexodus aus dem bitterarmen Land ein.

20 Jahre später ist Albanien nicht mehr wieder zu erkennen. Dort, wo sich Adriatisches und Ionisches Meer treffen, liegt es – das letzte unentdeckte Paradies Europas. Auch wenn viele der Bunker geblieben sind. Militärisch haben diese längst ausgedient, jetzt werden sie im nach wie vor armen Land mit gut drei Millionen Einwohnern oft als Ziegen- oder Schafställe genutzt. Doch Hunger oder greifbare Not, direkt nach der Wende noch vielerorts zu sehen, herrschen in Albanien kaum noch. Das Brutto-Inlandprodukt pro Jahr und Einwohner hat nach IWF-Angaben seit dem Umsturz 1990 von damals 654 auf heute über 4000 US-Dollar zugenommen. Zum Fortschritt beigetragen hat auch die Milliardenunterstützung aus dem Westen – allein aus Deutschland flossen in den letzten 20 Jahren mehr als 800 Millionen Euro als Entwicklungszusammenarbeit nach Albanien. Das ist mehr als in jedes andere Land der Welt, gerechnet pro Kopf der Bevölkerung.

Der Staat hat sich zu einer Demokratie gewandelt und will unbedingt Mitglied der EU werden. Ende April hat Ministerpräsident Sali Berisha (65) der tschechischen Ratspräsidentschaft das EU-Beitrittsgesuch eingereicht. Bis Albanien in Brüssel angekommen sein wird, dürften zwar noch einige Jahre vergehen – zu stark hat Albanien noch immer mit Problemen wie Korruption und mangelnder Rechtsstaatlichkeit zu kämpfen. Doch der Beitritt zur Nato am 1. April 2009 verlieh dem Land einen gewaltigen Schub. „Das ist die größte Errungenschaft meines Landes nach der Unabhängigkeit“, sagt der konservative Ministerpräsident Sali Berisha stolz.

Die eigentliche Nagelprobe auf dem weiteren Weg in Richtung EU sind die Parlamentswahlen vom 28. Juni, deren Ausgang derzeit völlig offen scheint. Berishas Herausforderer ist der Sozialistenchef und Bürgermeister von Tirana, Edi Rama (45). Verlaufen die Wahlen frei und fair, würde Albanien dem EU-Kandidatenstatus wieder ein Stück näher kommen.

Zweieinhalb Millionen Touristen bringen die Wirtschaft in Schwung

Die Fortschritte in der euro-atlantischen Integration sind gerade auch für das Image Albaniens, das in Westeuropa zu oft noch mit Chaos, Massenauswanderung und organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht wird, von enormer Bedeutung. Inzwischen zahlen sie sich auch aus: Über 2,5 Millionen Gäste reisten 2008 nach Albanien. Auf 362 Kilometern zieht sich die albanische Küstenlinie vom Grenzfluss zu Montenegro zuerst dem Adriatischen und schließlich dem Ionischen Meer entlang bis an die Grenze zu Griechenland.

Traumhafte Buchten und unberührte Strände locken vor allem im Süden des Landes, rund um die Städte Vlora, Himara und Saranda. Dahinter überziehen wilde Berglandschaften 70 Prozent des Staates, der insgesamt gut zwei Drittel der Fläche der Schweiz umfasst. Dazu kommt die boomende Hauptstadt Tirana, die sich in den letzten Jahren zu einer aufstrebenden Metropole Südosteuropas entwickelt hat. „Tourismus ist das bei weitem größte Potential unseres Landes“, sagt Regierungschef Berisha. Die meisten Touristen kommen aus Nachbarländern wie Kosovo und Mazedonien oder sind im Ausland lebende Albaner. Deutsche, Schweizer und andere Westeuropäer sind eher eine Ausnahme.

Das dürfte sich nach Einschätzung des Berliner Touristik-Experten Gerd Hesselmann in nächster Zeit auch kaum ändern. Denn für Badetourismus im großen Stil sieht er in Albanien wenig Chancen: „Erstens stimmt dafür der Standard nicht, und zweitens wächst das Marktsegment Badetourismus ganz allgemein nicht mehr weiter. Da gibt es für Albanien kaum noch etwas zu holen.“

Hauptattraktion ist die „Andersartigkeit“ Albaniens

Auch das internationale Immobilien-Business ist bislang nicht ins Rollen gekommen – obwohl Albanien als das letzte unentdeckte Paradies am europäischen Mittelmeer gilt. Noch immer ist die Verteilung des Bodens, der während der stalinistischen Diktatur ausnahmslos dem Staat gehörte, nicht abschließend geregelt. Heute melden oft mehrere Personen und auch der Staat Anspruch auf ein- und dasselbe Grundstück an. „Derzeit ist es unmöglich, bei uns etwas zu kaufen“, gibt zum Beispiel Vladimir Kumi, Bürgermeister der Südküstengemeinde Lukova, unumwunden zu. Potentielle Investoren würden lediglich auf einen „informellen Markt“ treffen. Helmut Eisner, Seniorchef einer Anwaltskanzlei im baden-württembergischen Lauda-Königshofen und Kenner von Albanien, rät allerdings dringend ab, davon Gebrauch zu machen. Die Rechtslage für den Grundstückskauf sei derzeit zu unsicher: „Wir mussten erfahren, dass hier Eigentum nicht gleich Eigentum ist.“

Abseits des Badetourismus hat das kaum bekannte südosteuropäische Land Einzigartiges zu bieten. Kulturhistorische Orte wie die osmanisch geprägten Städte Gjirokastra und Berat oder die archäologische Stätte Butrint – alle drei zum Unesco-Weltkulturerbe gehörend – und deren Einbettung in eine faszinierende Landschaft machten Albanien äußerst attraktiv, urteilt Jörg Kahlmeier, Projektleiter beim Studienreisen-Anbieter Weit-Blicke aus Leipzig.

Das Spannendste aber seien, so Kahlmeier, „die bis heute wahrnehmbaren Spuren der über 40-jährigen Isolation Albaniens und der besonderen Form des Kommunismus im Land“. Es ist das Unentdeckte und Andersartige, das Authentische und Geheimnisvolle, das für Individualtouristen oder kleine Gruppen von interessierten Westeuropäern den Reiz des Landes ausmacht. Jörg Kahlmeier bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Der Mensch strebt von Natur aus danach, weiße Flecken zu entdecken. In Albanien kann er das!“

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Der Autor ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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