Imperium Europa – Imperium der ZukunftINTERVIEW

Imperium Europa – Imperium der Zukunft

Imperium Europa – Imperium der Zukunft

Alan Posener hat ein neues Buch geschrieben mit dem Titel „Imperium der Zukunft – warum Europa Weltmacht werden muss.“ Das Eurasische Magazin hat nachgefragt. Die Gedanken und Argumente, die der Kommentarchef der WELT AM SONNTAG hier ausbreitet, sind eine Kostprobe. 

Von Hans Wagner

Alan Posener  
Alan Posener  

E urasisches Magazin: Wie müsste Europa verfasst sein, um der von Ihnen vorgedachten Rolle eines Imperiums auch gerecht zu werden? 

Alan Posener: Jedenfalls nicht so, wie es die meisten Europa-Freunde in Deutschland propagieren, als „immer engere Union“, die schon Züge eines föderalen Nationalstaats annimmt. Wenn EU-Parlament, Europäischer Gerichtshof, Rat und Kommission immer mehr Zuständigkeiten an sich ziehen, wird sich Europa nicht ausdehnen können, weil die Hürden für neue Mitglieder mit jedem Integrationsschritt größer werden. Übrigens sind die Bestimmungen des neuen EU-Vertrags - der Sarkozy'schen „Mini-Verfassung“ - über die Abstimmungsmodi im Rat ebenfalls nicht geeignet, Europas Ausdehnung zu fördern. Weil im Rat die bevölkerungsreichsten Länder auch die meisten Stimmen erhalten - und nicht die gleiche Stimmenzahl, wie im US-Senat, oder eine reduzierte Stimmenzahl im Verhältnis zu den kleinen Ländern gemäß der „Quadratwurzellösung“, wie im Bundesrat -, dürfte sich der innereuropäische Widerstand gegen den Beitritt der Türkei etwa wegen ihrer dann starken Stellung im Rat noch verstärken. Hier hat sich Europa selbst ein Bein gestellt.

„Die Außenpolitik ist das entscheidende Feld für Europa in den nächsten 20 Jahren.“

EM: Welche Organisationsform käme darüberhinaus in Frage, um das Imperium Europa handlungsfähig zu machen? 

Posener: Vor allem muss Europa eine  gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln, sowie die militärischen Fähigkeiten und Kommandostrukturen, die dazu gehören. Da ist es zum Beispiel nicht sehr zielführend, wenn Deutschland einen eigenen Sitz im Weltsicherheitsrat fordert. Wichtiger wäre es, so lange Großbritannien und Frankreich nicht auf ihre Sitze zugunsten Europas verzichten, wenn man dafür sorgen könnte, dass sie immer gemeinsam abstimmen oder sich bei eklatanten Differenzen der Stimme enthalten. Die Außenpolitik ist das entscheidende Feld für Europa in den nächsten 20 Jahren.

EM: Wie müsste Russland heute regiert werden, damit die einsamen und zusehends menschenleeren Dörfer in seinen Weiten, die der Wald verschlingt, ebenso Gerechtigkeit erführen wie der in Ihrem Buch als „Gasprom mit Atombomben“ bezeichnete Staats-Koloss? 

Posener: Russland braucht die Demokratie wie die Luft zum Atmen, sagte Michail Gorbatschow, und er hatte Recht. Man muss zwar so weit Realist sein, dass zurzeit an Demokratie in Russland nicht zu denken ist. Aber wichtig wäre, dass sich Russland, wie etwa vor 20, 30 Jahren Südkorea, von einem autoritären zu einem demokratischen Land entwickelt. Freilich setzt das die Entstehung eines breiten Mittelstands voraus, der immer Träger der Demokratie ist. Augenblicklich ist davon wenig zu merken. Der militärisch-industrielle Komplex beherrscht zusammen mit der Petersburg-Mafia das Land.

„Mit Russland wäre die EU die stärkste Macht auf dem Globus.“

EM: Gehört Russland in Ihren Augen zu Europa oder haben Sie ihm auf dem eurasischen Kontinent eine andere Rolle zugedacht? 

Posener: Russland gehört zu Europa. Langfristig sogar zur Europäischen Union. Mit Russland wäre die EU die stärkste Macht auf dem Globus. Aber natürlich nur mit einem demokratischen Russland. Hier gilt: Annäherung durch Wandel. Und in Sachen Wandel hat Russland eine Bringschuld.

EM: Sie haben den Religionen als Triebkraft eine außerordentliche Rolle zugemessen, von den europäischen Glaubenskriegen bis hin zu George Bushs Sendungsbewusstsein und dem islamischen Imperialismus etc. Ist Religion des Teufels sofern sie nicht in die richtigen Köpfe gerät? 

Posener: Ich finde, George W. Bush gehört nicht in die von Ihnen aufgestellte Reihe. Sein „Sendungsbewusstsein“, wie Sie es nennen, ist vor allem ein demokratisches, nicht ein religiöses. Es geht aus von der Analyse, dass sich die Probleme des Nahen Ostens nicht auf Dauer lösen lassen, wenn die Region von korrupten Autokraten und fanatischen Theokraten beherrscht wird, dass aber alle Probleme lösbar wären, wenn die Mächte der Region Demokratien wären. Im Kern finde ich diese Analyse auch absolut richtig. Der Teufel, von dem Sie sprechen, steckt natürlich in den Details - Details wie der Unmöglichkeit, von heute auf morgen dort Demokratie einzuführen. Also muss man eine Strategie entwickeln, und hier spielt Europa eine entscheidende Rolle, die einerseits die Politik der Annäherung durch Wandel vorantreibt - hier ist die Türkei das Musterbeispiel -, andererseits die Realpolitik nicht aus den Augen verliert, etwa indem man den Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten ausnutzt. Hier sind die USA in der letzten Zeit ziemlich erfolgreich gewesen, übrigens erfolgreicher als ich es mir vorgestellt habe, als ich mein Buch schrieb. Aber zurück zu Ihrer Frage: Ja, die Religion ist des Teufels, wenn sie sich in die Politik einmischt. 

„Das Internet stellt die Kanonen dar, mit denen die Mauern der Madrasse niedergelegt werden und die abgeschottete Welt des Islam mit der Moderne konfrontiert wird.“

EM: Wie lautet Ihr Vorschlag zur Lösung des religiösen Knotens im Nahen und Mittleren Osten – gibt es in Ihren Augen einen gangbaren Weg, um dort Frieden zu stiften? 

Posener: Der Evolutionsbiologe und Religionskritiker Richard Dawkins meint, in 150 Jahren werde die Religion in dieser Region eine ähnlich untergeordnete Rolle spielen wie jetzt in Europa. Und zwar setzt er darauf, dass moderne Kommunikationsmittel wie das Internet sozusagen die Kanonen darstellen, mit denen die Mauern der Madrasse niedergelegt werden und die abgeschottete Welt des Islam mit der Moderne konfrontiert wird. Ich würde ergänzen, dass die gegenwärtige scheinbare Renaissance des radikalen Islam wenigstens teilweise eine Reaktion auf diesen Prozess ist, der längst im Gange ist. Die Hysterie angesichts des Einbruchs der Moderne dürfte uns bekannt vorkommen: schließlich erreichte die Hexenverfolgung ihren Höhepunkt nicht etwa im finsteren Mittelalter, sondern in der Zeit der Renaissance, als die alten Glaubensgewissheiten ins Wanken gerieten. Diese Hysterie fällt in der arabischen Welt zusammen mit dem, was Gunnar Heinsohn einen klassischen „youth bulge“ nennt, einer Bevölkerungsexplosion, die besonders die „überschüssigen Söhne“ ohne sinnvolle Beschäftigung lässt, da die Wirtschaft der arabischen Länder stagniert. Da ist die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eine rationale Berufswahl, wie in den Slums von Chicago die Mitgliedschaft in einer Drogengang, und sogar das Selbstmordattentat erscheint unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht völlig irrational, da der Attentäter damit seiner Familie Status und Versorgungsansprüche verschafft. Also, man muss auf das Abflachen dieser Bevölkerungskurve und das etwa gleichzeitige Abflachen der religiösen Hysterie setzen. Und das muss man von der EU aus mit den entsprechenden Programmen begleiten, die den demokratischen und wirtschaftlichen Wandel in der arabischen Welt unterstützen. Wir reden von Zeiträumen bis 2050 und darüber hinaus. Wer auf eine kurzfristige Lösung setzt, wird enttäuscht sein.  

EM: Was hat Sie beim Verfassen Ihres Buches angetrieben – wollten Sie unterhalten, belehren, die Welt verändern? 

Posener: Nicht belehren. Unterhalten durch neue Gedanken, denn der Kopf ist rund, damit die Gedanken die Richtung ändern können. Und dadurch helfen, die Welt zu verändern. Sie ändert sich aber schon beinahe schneller, als mir lieb ist. Kürzlich hat kein Geringerer als Jose Manuel Barroso, Präsident der EU-Kommission, öffentlich erklärt, er sehe die Europäische Union als ein Imperium. Er hätte wenigstens vorher mein Buch lesen können!  

EM: Herr Posener, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

Siehe auch die Rezension des Buches unter der Rubrik Gelesen in dieser Ausgabe.

Außenpolitik EU Europa Interview

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