„Lukaschenko will, dass alle schweigen“EM-INTERVIEW

„Lukaschenko will, dass alle schweigen“

„Lukaschenko will, dass alle schweigen“

Sie sitzen in Käfigen vor Gericht: Oppositionelle in Weißrussland (Belarus), die wegen ihrer Proteste gegen die unfreie Präsidentenwahl im Dezember 2010 protestiert hatten. Nach dem Anschlag auf die Minsker Metro gerieten weitere Bürgerrechtler ins Visier der Sicherheitsbehörden. Unter Ihnen auch Olga Karatsch. Die 32-Jährige aus Witebsk ist Vorsitzende der Bürgerinitiative „Nasch Dom“ (Unser Haus). In der Zeitung „Witebskij Kurier“, die Karatsch herausgibt, prangern sie und ihre Mitstreiter das Fehlverhalten von Politikern und Beamten an. Sie selbst wurde in ihrem Leben bereits fünfzig Mal verhaftet. Im Interview spricht Olga Karatsch über Schläge während des Polizeiverhörs, die Schauprozesse gegen Oppositionelle, aber auch über neue Möglichkeiten für die unterdrückte Opposition.

Von Diana Laartz

Olga Karatsch
Zur Person: Olga Karatsch
Olga Karatsch wurde 1979 im weißrussischen Wittebsk geboren. Sie ist freie Journalistin und leitet die Bürgerrechtsbewegung „Nasch Dom“ (Unser Haus) in Witebsk. Dabei handelt es sich  eine der wenigen Nichtregierungsorganisationen in Weißrussland überhaupt.  Sie informiert Bürger über ihre Rechte. Außerdem hilft sie bei Alltagsproblemen von hohen Mieten bis hin zur Trinkwasserqualität.

Olga Karatsch gibt als freie Journalistin die unabhängige Zeitung „Witebskij Kurer“ heraus. Sie ist Mitglied der weißrussischen Oppositionspartei „UCP“ und deren Vorsitzende in der Region Witebsk.

E urasisches Magazin: In Minsk stehen wieder Oppositionelle vor Gericht, unter ihnen auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat Andrej Sannikow. Wegen des Aufrufs zu einer Großdemonstration nach der Wahl im Dezember wird ihm massive Störung der öffentlichen Ordnung vorgeworfen. Was glauben Sie, wie wird der Prozess enden?

Olga Karatsch: Wie meistens mit einer Gefängnisstrafe. Ich rechne mit mehr als fünf Jahren. Und das nicht etwa, weil Sannikow ein so großer Held der Opposition wäre, sondern weil Lukaschenko immer die Schuld für Unruhen bei anderen sucht. Er ist ein sehr emotionaler Politiker. (Anmerkung der Redaktion: Inzwischen  wurde wießrussische Oppositionsführer Andrej Sannikow wegen seiner Proteste zu fünf Jahren Haft verurteilt.)

EM: Bei den Präsidentenwahlen etliche wurden auch andere Protestierer verhaftet.  Im April kamen bei einem Bombenanschlag auf die Minsker Metro 14 Menschen ums Leben und die Sicherheitsbehörden nahmen die Bürgerrechtler ins Visier. Wie ist jetzt die Stimmung unter den Oppositionellen?

Karatsch: Der endlose Strom der Verdächtigungen und Verhaftungen erzeugt natürlich eine gewisse Depression. Ich würde sagen, wir haben alte Möglichkeiten verloren, aber auch neue gewonnen.

„Die Bevölkerung ist heute mehr bereit, uns zuzuhören“

EM: Welche sind das?

Karatsch: Die Menschen glauben Lukaschenko nicht mehr alles, sie schauen nach links und rechts, suchen Alternativen. Ja, es gibt ungeheure Repressalien, aber die Bevölkerung ist heute mehr bereit, uns zuzuhören.

EM: Sie selbst wurden als Bürgerrechtlerin und als Herausgeberin einer oppositionellen Zeitung insgesamt 50 Mal verhaftet. Nach dem Anschlag auf die Minsker Metro gerieten Sie wieder ins Visier der Sicherheitsbehörden und wurden am 19. April festgenommen. Wie kam es dazu?

Karatsch: Wir hatten uns in der Wohnung des bekannten Bürgerrechtlers Walerij Schtschukin getroffen, wo wir über eine neue Kampagne berieten. Es klingelte es an der Tür. Draußen standen zwei Polizisten und ein paar Männer in Zivil, so treten gewöhnlich die Leute vom Geheimdienst auf. Sie forderten uns auf, die Türen zu öffnen. Sie sagten, es handele sich um eine planmäßige Überprüfung der Pässe. So etwas gibt es in Belarus nicht, also haben wir nicht geöffnet.

EM: Aber wenig später wurden sie dennoch festgenommen?

Karatsch: Etwa nach 40 Minuten wollten Oleg und Pawel, zwei Männer unserer Gruppe, losfahren. Vor der Tür standen Polizisten. Sie sagten, die beiden müssten mitkommen. Oleg hat mich angerufen. Ich bin sofort heraus und habe gesagt, dass ich die beiden als Verteidigerin begleiten möchte, so wie es Artikel 62 unserer Verfassung garantiert. Uns wurde erklärt, wir würden verdächtigt, etwas mit dem Anschlag auf die Metro in Minsk zu tun zu haben.

„Man brachte mich allein in ein Verhörzimmer. Dort wurde ich geschlagen“

EM: Sie sind freiwillig mitgegangen?

Karatsch: Ja, dass ich verhaftet worden bin, habe ich erst realisiert, als man mich allein in ein Verhörzimmer brachte und ich geschlagen wurde.

EM: Wer hat Sie geschlagen?

Karatsch: Ein Polizist sprang auf und beschimpfte mich aufs Übelste. Er drohte, dass er mich auf der Toilette vergewaltigen wird. Und dabei schlug er mich mit voller Kraft ins Gesicht. Ich stand vollkommen unter Schock. Umso mehr, weil er gar nichts von mir wissen wollte. Er wollte von mir kein Geständnis, dass ich den Anschlag auf die Metro begangen habe oder etwas Ähnliches. Er wollte nur meine Angst sehen.

EM:  Waren Sie allein mit dem Polizisten in einem Raum?

Karatsch: Da waren noch sechs andere Männer. Sie haben gelacht, niemand hat etwas unternommen.

EM: Wie ging es weiter?

Karatsch: Am frühen Abend wurden wir alle in ein kleines Gefängnis gebracht. Wir hatten kein Essen, kein Wasser, es war bitterkalt, nur Beton, kein Schlafplatz. Dort haben wir die Nacht verbracht. Alle zwei Stunden kam ein Wärter vorbei und hat kontrolliert, dass wir nicht schlafen. Am nächsten Tag hat man uns ins Gericht gefahren. Das spottet eigentlich jeder Beschreibung. Alle meine Rechte waren schließlich verletzt worden. Ich wurde zu einer Geldstrafe von umgerechnet 160 Euro verurteilt. Die Männer mussten acht bis zehn Tage ins Gefängnis. Wir durften die Dokumente nicht einsehen, Zeugen gab es nicht.

„Ich werde die Strafe nicht bezahlen. Wenn nötig, gehe ich damit bis zum  Gerichtshof der UNO“

EM: Wofür wurden Sie verurteilt, was stand im Urteil?

Karatsch: Wir sollen die Polizisten vor Schtschukins Haus beschimpft und geschlagen haben.

EM:  Haben Sie die Geldstrafe bezahlt?

Karatsch: Nein, und ich werde auch nicht bezahlen für etwas, das ich nicht getan habe. Wenn nötig, gehe ich damit bis zum  Gerichtshof der UNO.

EM: Glauben Sie, all das wäre auch ohne den Anschlag auf die Metro passiert?

Karatsch: Die Anschuldigung, wir hätten etwas mit dem Anschlag zu tun, war nur ein Vorwand. Wir sind gegen den Bau eines Atomkraftwerkes. Man wollte einfach verhindern, dass wir an der Tschernobyl-Demonstration am 26. April teilnehmen.

EM: In zwei offenen Briefen haben Sie Alexander Lukaschenko vorgeworfen, er habe zumindest vorher von dem Anschlag auf die Minsker Metro gewusst, wenn ihn nicht sogar geplant. Wie kommen Sie zu dieser Auffassung?

Karatsch: Man muss einfach nur schauen, wem dieser Terrorakt hilft. Er bringt der Opposition überhaupt nichts, den einfachen Leuten auch nicht, das ist klar. Keine islamistische Gruppe hat sich zu dem Anschlag bekannt.

„Wer Gerüchte über Lebensmittelknappheit und Währungskrise verbreitet, wird strafrechtlich verfolgt“

EM:  Was bringt Alexander Lukaschenko der Terrorakt?

Karatsch: Er rechtfertigt damit zum Beispiel, dass Menschen, die Gerüchte über Lebensmittelknappheit und Währungskrise verbreiten, nun strafrechtlich verfolgt werden können. Im Namen des Anschlages schränkt er die Menschenrechte weiter ein. Er will, dass alle schweigen, und so seine Macht sichern.

EM: Haben sie Beweise, dass Lukaschenko etwas mit dem Anschlag zu tun hat?

Es mag sein, dass er ihn nicht persönlich befohlen hat. Vielleicht handelt es sich um einen Machtkampf innerhalb der staatlichen Strukturen. Dass der Anschlag von Lukaschenkos Anhängern geplant wurde, ist für mich eine unverrückbare Tatsache.

EM: Frau Karatsch, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.

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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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