Versprechen einer neuen Dynamik für die OSZEKASACHSTAN

Versprechen einer neuen Dynamik für die OSZE

Versprechen einer neuen Dynamik für die OSZE

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist die weltweit größte regionale Staatenkonferenz zum Thema Sicherheit und gleichzeitig wichtiges Dialogforum zwischen Ost und West. Die Organisation leidet seit Jahren unter den Divergenzen, die immer wieder vor allem zwischen den beiden größten Mitgliedsstaaten, Russland und den USA, zu Tage treten und die konstruktive Zusammenarbeit erschweren. Zum 1. Januar 2010 übernimmt Kasachstan den Vorsitz. Er soll unter dem Motto „Toleranz“ stehen.

Von Nadja Douglas

A ktuell geht es um einen erneuten Anlauf für eine politisch-militärische Stabilisierung Europas. Hierzu bedarf es neuer Rahmenabkommen – aber seit dem letzten OSZE-Gipfel 1999 in Istanbul stagnieren die Verhandlungen. Jetzt übernimmt zum 1. Januar 2010 Kasachstan für ein Jahr den Vorsitz der OSZE – als erstes postsowjetisches Land in der Geschichte der Organisation. Das junge, aufstrebende Land hat große Pläne für das kommende Jahr und ist überzeugt, die Zeit sei reif für einen OSZE-Gipfel 2010 (den ersten im neuen Jahrtausend) in seiner Hauptstadt Astana.

Neue Impulse für die OSZE

Während hierzulande der Stellenwert der OSZE in Regierungskreisen eher ab- als zugenommen hat, wird die Bedeutung der Organisation in Astana sehr hoch eingeschätzt. Präsident Nursultan Nasarbajew erklärte den bevorstehenden OSZE-Vorsitz zur „nationalen strategischen Priorität“. Das Land sieht den Vorsitz nicht nur als Chance für die eigene Weiterentwicklung, sondern vor allem „als enorme Verantwortung“.
 
„Es ist bezeichnend für die derzeitige Lage der OSZE, dass die Ministerratstreffen in den letzten Jahren keine einzige politische Abschlusserklärung zustande gebracht haben“, erklärt Außenminister Kanat Saudabajew während eines Interviews mit europäischen Journalisten in Astana. Natürlich habe Kasachstan „eine eigene Vision“, wie es den Aktivitäten der OSZE eine neue Dynamik geben möchte. Saudabajew unterstreicht: „Es gibt eine Reihe brennender Themen in allen drei OSZE-Dimensionen [politisch-militärische, wirtschaftlich-ökologische und humanitäre], die die Regierungschefs der OSZE-Staaten veranlassen sollten, einen Weg nach vorne für die OSZE zu finden“.

Saudabajew, der lange Jahre kasachischer Botschafter in den USA war und erst seit September das Amt des Außenministers übernommen hat, betont in seinem Abriss über die Topthemen der kasachischen OSZE-Agenda für das kommende Jahr besonders das Motto „Toleranz“.

Toleranz und Multiethnizität in Kasachstan

Zur Person: Nadja Douglas
Nadja Douglas ist Absolventin der Internationalen Beziehungen des IEP Paris. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie acht Monate bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Kopenhagen, wo sie sich mit politischen Entwicklungen und Wahlbeobachtung, besonders in osteuropäischen und zentralasiatischen Ländern, beschäftigte. Zuletzt verbrachte sie mehrere Monate in Russland, u. a. bei der Menschenrechtsorganisation Memorial in Perm. Zur Zeit arbeitet Nadja Douglas an einem Promotionsvorhaben zum Thema ethnischer Föderalismus in Russland.
Nadja Douglas
Nadja Douglas

Kasachstan ist mit seinen über 140 ethnischen und 46 verschiedenen religiösen Gruppierungen eines der heterogensten Länder unter den ehemaligen Sowjetrepubliken. Traditionell ein Einwanderungsland, hat es im Laufe der russischen und sowjetischen Geschichte viele größtenteils zwangsumgesiedelte ethnische Minderheiten aufnehmen müssen. So repräsentierten Kasachen am Vorabend der Unabhängigkeit 1991 als Titularnation nur noch 42 Prozent der Gesamtbevölkerung. Heute hat sich das Verhältnis wieder zu Gunsten der Kasachen austariert, denn viele ethnische Minderheiten kehrten in ihre Ursprungsregionen zurück.

Dennoch, die  Völkergruppen aus dem Kaukasus, die Deutschen aus der ehemaligen Wolgarepublik, sowie Koreaner aus dem Fernen Osten Russlands, um nur einige Beispiele zu nennen, sind immer noch prägend für die ethnische Vielfalt des Landes. Die kasachische Regierung wird nicht müde zu betonen, dass das Land in all den Jahren seit der Unabhängigkeit den Frieden und die Harmonie zwischen den Ethnien hat bewahren können. Im Gegensatz zu einer Reihe anderer Sowjetrepubliken kam es in Kasachstan zu keinerlei interethnischen Konflikten oder gar Blutvergießen, was mit einem gewissen Stolz als Nachweis der „sozialen Kompetenz“ der Republik gesehen wird.

Versammlung der Völker Kasachstans

 „Für andere OSZE-Mitgliedsstaaten mit multi-ethnischem Hintergrund könnten unsere Erfahrungen im interethnischen Dialog und in der Gestaltung eines friedlichen Zusammenlebens von Bedeutung sein“, erklärt Saudabajew.

Institutionalisiert wurde die nationale Völkerverständigung in der „Versammlung der Völker Kasachstans“. Dieses 1995 von Präsident Nasarbajew gegründete Beratungsorgan ist eine wichtige Einrichtung für den Dialog zwischen der Regierung und den Vertretern der ethnischen Gruppen des Landes. Neun der 382 Mitglieder sind zugleich Deputierte im Parlament (Majilis) und bringen Gesetzesinitiativen aus den Reihen der ethnischen Minderheiten ein. Die Versammlung bindet durch Vertretungen in allen 14 Oblasts Kasachstans auch die Regionen ein.

Einen Einblick in die Arbeit der ethno-kulturellen Organisationen des Landes gibt bereitwillig Salman Gerojew, Mitglied der Tschetschenisch-Inguschetischen Vereinigung. „In der Versammlung liegt unser Augenmerk auf der Bewahrung der Rechte jeder einzelnen ethnischen Gruppe in Kasachstan“. Gerojew, 70 Jahre alt und  Gründungsmitglied der Völkerversammlung, ist besonders auf die Sprachenpolitik des Landes stolz, denn neben der Tschetschenisch-Inguschetischen Schule in Kasachstan gäbe es weitere 108 Schulen, in denen in 22 ethnischen Sprachen unterrichtet würde. In der Tat erhält Kasachstan seit einiger Zeit auch Unterstützung bei der Förderung der mehrsprachlichen Bildungsarbeit durch den Hohen Kommissar für Nationale Minderheiten der OSZE, Knut Vollebaek. Bei seinem letzten Aufenthalt in Kasachstan im September 2009 wendete Vollebaek jedoch ein, dass die Völkerversammlung - wäre sie eine gewählte Institution - eine bedeutende Zunahme an Autorität, Legitimität und politischer Präsenz in der kasachischen Bevölkerung erfahren könnte.

Auf die Frage nach Unterstützung durch den Staat verweist Gerojew auf den fruchtbaren Dialog mit dem Kulturministerium, das allein seine Vereinigung mit drei Millionen Tenge (rund 13.500 Euro) pro Jahr großzügig unterstütze. „Wir werden häufig vom Ministerium oder auch der Regierung in kulturellen Fragen konsultiert“, fährt er fort. Im Hinblick auf den OSZE-Vorsitz ist Gerojew ebenfalls überzeugt, dass das „kasachische Modell als Beispiel für andere Länder“ gelten könne, „als Grundlage für gesunde wirtschaftliche Entwicklung“. Schließlich erwähnt er noch, dass vor kurzem das ethnische Modell Kasachstans in Brüssel vorgestellt wurde und außerdem zurzeit an der Staatlichen Universität Moskau der Erfolg des Modells überprüft werde.

Afghanistan als Schlüssel für die Sicherheit in Europa

Die Regierung Nasarbajew, die mit dem Thema „Toleranz“ jene in der Vergangenheit gerade von Russland und den ehemaligen sowjetischen Republiken stiefmütterlich behandelte dritte OSZE-Dimension (Humanitäre Fragen und Menschenrechte) abgedeckt sieht, ist entschlossen auch die harten Sicherheitsthemen anzugehen. Afghanistan steht hier an erster Stelle.

„Obwohl Afghanistan geographisch außerhalb des OSZE-Raumes liegt, ist es doch ein regionaler Nachbar der OSZE“, so Außenminister Saudabajew. 32 der 56 OSZE-Mitgliedsstaaten seien ohnehin derzeit auf die eine oder andere Weise in Afghanistan involviert. „Ohne eine Stabilisierung der Situation in Afghanistan können wir gar nicht über Stabilität in unserer Region oder die Sicherheit in Europa reden“, bekräftigt Saudabajew. Kasachstan hat zwangsläufig ein Interesse an Stabilität in der Region, da es der Bedrohung durch Grenzkonflikte, Drogenhandel, Terrorismus und religiösen Fundamentalismus der umliegenden Länder unmittelbar ausgesetzt ist. Saudabajew, der gerade erst von einem Besuch in Kabul zurückgekehrt ist und dort 50 Millionen US-Dollar für die Ausbildung junger Afghanen zusagte, betont: „Kasachstan ist darauf bedacht, die humanitäre Komponente in Afghanistan zu stärken“.

Eurasische Sicherheitsstruktur

Doch nicht nur in Afghanistan sieht sich die Regierung in Astana als geeigneter Vermittler. Als Brückenbauer zwischen Ost und West will Kasachstan im kommenden Jahr sowohl seine traditionell starke Bindung mit Russland (wichtigster Handelspartner) als auch seine Rolle als strategischer Kooperationspartner des Westens in der Region ausspielen.

Kasachstan, das sich selbst als zentralasiatische Führungsmacht sieht, ist überzeugt von der Wichtigkeit einer neuen „eurasischen Sicherheitsstruktur“. „Die OSZE geht über Europa hinaus, unsere komplexe Region Zentralasien ist genauso Teil der Organisation und genauso wichtig wie die atlantische Dimension, “ betont Saudabajew. Die Offensive für ein OSZE-Gipfeltreffen auf höchster Ebene in der zweiten Hälfte 2010 könnte dem international verhalten aufgenommenen Vorstoß des russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur einen Rahmen für Verhandlungen bieten. Außenminister Saudabajew ist überzeugt: „Es gibt Möglichkeiten, die europäische Sicherheitsstruktur in einem erweiterten OSZE-Rahmen zu überdenken“.

Inwieweit Kasachstan im kommenden Jahr wirklich als Vermittler zwischen Europa und Asien agieren und den Reformprozess innerhalb der OSZE beleben kann, bleibt abzuwarten. Vieles wird auch davon abhängen, ob Kasachstan dem Vertrauensvorschuss gerecht werden kann, der mit der Übertragung des OSZE-Vorsitzes verbunden ist, auch hinsichtlich weitergehender innenpolitischer Reformen, die von NGOs und Menschenrechtlern nach wie vor gefordert werden.

Eines ist jedoch sicher, 2010 wird ein frischer Wind in den erstarrten, westlich dominierten Strukturen der OSZE wehen.

Außenpolitik Zentralasien

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